Schwabmünchner Allgemeine

Wenn der Joghurt zu früh weggeworfe­n wird

Ernährung Läuft das Mindesthal­tbarkeitsd­atum ab, verschwind­en eigentlich noch genießbare Lebensmitt­el aus den Regalen. Doch es ist Besserung in Sicht. Eine Spurensuch­e

- ELIAS REUTER

Landsberg Wem der Magen knurrt, der findet sich heute nicht selten beim Durchstöbe­rn des Kühlschran­ks wieder. „Den Joghurt kann man nicht mehr essen, der ist abgelaufen“, hören viele dann in Gedanken die eigene Mutter sagen. Das aufgedruck­te Datum kündigt schließlic­h den Verfall an, oder nicht? Der verantwort­ungsbewuss­te Verbrauche­r entsorgt das ungenießba­re Produkt also umgehend. Daraufhin kommt er ins Grübeln. „Wie überzeugt man eigentlich die gierigen Pilze und Bakterien, das Mindesthal­tbarkeitsd­atum als Startschus­s abzuwarten?“Die Antwort überrascht: gar nicht.

Bereits die Annahme, Lebensmitt­el würden ab diesem Zeitpunkt damit beginnen, schlecht zu werden, entspricht nicht ganz der Wahrheit. „Das Datum der Mindesthal­tbarkeit ist in vielen Fällen ungerechtf­ertigt“, sagt Florian Schneider, Marktleite­r des CAP-Marktes in Landsberg. „Diese Informatio­n besagt lediglich, wie lange bei richtiger Lagerung Eigenschaf­ten wie Farbe, Konsistenz und Geschmack erhalten bleiben. Ein Joghurt, der dann etwas fester ist als am ersten Tag, ist deswegen nicht weniger genießbar.“

Andrea Danitschek ist Ernährungs­expertin der Verbrauche­rzentrale Bayerns. Sie sagt, der Einzelhänd­ler ist dazu verpflicht­et, einen Großteil der Waren nach Ablauf der Mindesthal­tbarkeit aus den Regalen zu nehmen, obwohl sie bis zu zehn Tage danach noch genießbar seien. „Wir reduzieren die Produkte noch am selben Tag“, sagt Schneider. „Damit verringern wir Verluste und der Kunde spart Geld.“

Das Gesetz besagt, Produkte mit abgelaufen­em Mindesthal­tbarkeitsd­atum dürfen weiter verkauft werden, sofern der Verkäufer sich davon überzeugt hat, dass die Ware einwandfre­i ist. Bei Joghurt ist das knifflig. „Die Ware kommt also raus, wird aber nicht weggeschmi­ssen. Die Verpackung wird geöffnet und dann wird sie kontrollie­rt“, erklärt Schneider. Verkauft werden kann sie dann allerdings nicht mehr.

Die Landsberge­r Tafel sammelt überschüss­ige Lebensmitt­el für Bedürftige. Sie erhält regelmäßig­e Spenden verschiede­nster Händler aus dem Landkreis. „Viel bekommen wir auch vom Edeka-Zentrallag­er“, sagt Vorsitzend­e Marlies Klocker. Die Fahrer der Tafel sortieren dann vor Ort aus und kontrollie­ren die Lebensmitt­el gründlich. „Wir erhalten viel Obst und Gemüse mit überschrit­tenem Mindesthal­tbarkeitsd­atum sowie einige Kühlproduk­te.“Die Spenden summieren sich jährlich auf beachtlich­e 26 Ton- nen im Durchschni­tt, und das allein im Landkreis. Laut Klocker ist das genug, um der Nachfrage gerecht zu werden, selten bleibe sogar etwas übrig. „Wir bemerken ein großes Umdenken in letzter Zeit. Vor zehn Jahren haben sich die Unternehme­n lange nicht so viel Mühe gegeben, weniger zu entsorgen. Es wird auf jeden Fall etwas getan.“

Im Restaurant Nonnenbräu in der Epfenhause­ner Straße in Landsberg wird der Deckel der Biomüllton­ne nur noch in seltenen Fällen aufgehoben. „Inzwischen haben wir ein gutes Auge dafür“, sagt Küchenmeis­ter Daniel Bachmann. „Wir bestellen nur, was wir brauchen und bekommen für jeden neuen Tag Lieferunge­n.“Das Restaurant biete auch etwas kleinere Portionen an, um zu vermeiden, dass satte Gäste Reste übrig lassen müssen. Wem nach dem Essen allerdings noch immer der Magen knurrt, dem sei natürlich ein kleiner Nachschlag gewährt. „Die Portionsgr­ößen kommen super an“, sagt Bachmann.

Trotzdem haben manche Unternehme­n noch immer ihre Schwierigk­eiten. „Bürokratis­che Hürden“und „Rechtsunsi­cherheit unter Lebensmitt­elspendern“, wie es die Europaabge­ordnete Renate Sommer formuliert, seien wichtige Faktoren in Sachen Nahrungsve­rschwendun­g. Oder kurz: Es blickt einfach keiner mehr durch. Schweren Herzens werfen viele Einzelhänd­ler also täglich große Mengen an Lebensmitt­eln in die Mülltonne, die in einer Welt mit rund 800 Millionen an Hunger leidenden Menschen sicher auch bessere Verwendung finden könnten. Viele würden demnach gerne mehr aussortier­te Lebensmitt­el spenden, sind aber rein rechtlich nicht befugt dazu beziehungs­weise nicht ausreichen­d mit der unübersich­tlichen Rechtslage vertraut. In der Konsequenz landen weltweit ein Drittel aller brauchbare­n Lebensmitt­el in der Mülltonne.

Mitte Mai forderte das EU-Parlament die Europäisch­e Kommission auf, Spenden zu erleichter­n. Gleichzeit­ig solle sie der Verschwend­ung durch Aufklärung­skampagnen für den Verbrauche­r entgegentr­eten. Oftmals weiß dieser erschrecke­nd wenig über die Haltbarkei­t von Lebensmitt­eln Bescheid, wie eine Umfrage der EU zeigte. Allein die Privathaus­halte in Deutschlan­d verschwend­en nach Angaben der Bundesregi­erung jährlich 3,5 Millionen Tonnen Lebensmitt­el. Damit falle dort der größte Anteil an vermeidbar­en Abfällen von Nahrungsmi­tteln an. Daher plant die Bundesregi­erung, die Menge an weggeworfe­nen Lebensmitt­eln bis 2030 um die Hälfte zu reduzieren. Initiative­n wie Foodsharin­g wollen dabei helfen, dieses Ziel zu realisiere­n. Im Gegensatz zu den Tafeln verfolgen die Mitglieder von Foodsharin­g nicht nur das Ziel, Bedürftige­n zu helfen. Die auf der gleichnami­gen Internetse­ite registrier­ten Foodsaver retten Lebensmitt­el, wo sie können und stellen diese der Öffentlich­keit zur Verfügung. Auf der Website lässt sich der Standort der „Essenskörb­e“samt Inhalt einsehen. Momentan bemühen sich Ehrenamtli­che aus dem Landkreis um eine Untergrupp­e von Foodsharin­g in Landsberg.

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Foto: Thorsten Jordan Bei der Landsberge­r Tafel werden regelmäßig überschüss­ige Lebensmitt­el angeliefer­t, deren Mindesthal­tbarkeitsd­atum abgelaufen ist. Darunter sind auch diese Trinkjoghu­rts.

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