Kettensäge
Werkzeuge sind nützlich und ihr Gebrauch alltäglich. Gärtner benutzen Spaten, Köche Kellen, Zimmerleute greifen zum Hammer, Elektriker zum Schraubenzieher, Metzger schwingen das Hackebeil. Das alles ist nicht aufregender als eine Hauptversammlung der Handwerkskammer und so gewöhnlich wie die Werbefilmchen, die im Baumarkt auf Monitoren flimmern und erklären, wie segensreich die neue Generation von Schraubzwingen einsetzbar ist.
Doch es gibt einen Kippmoment, der stinknormales Werkzeug in Horrorobjekte verwandelt. Eine Pistole ist eine Pistole und als solche eine Waffe – aber ein stahlblitzender Spaten in der Hand eines Angreifers, ein Rasender, der einen schweren Hammer gegen andere schwingt: Das sind albtraumhafte Angstbilder. Das Bild mit dem größten Grauen und Schreckenspotenzial, etwas, das immer Gänsehaut macht und nicht steigerbar ist, hat diese Woche in vielen Köpfen gespukt: Jemand geht mit laufender Kettensäge in einem Büro auf andere los! Allein dieses Geräusch … Der Angriff des „KettensägenMann“genannten Täters in der Schweiz ist ein Szenario, das an Splatterfilme denken lässt, an bluttriefendes Schockerkino der Güte „Kettensägenmassaker“und an schauderhafte Wunden. Jede Abwehrbewegung zwecklos. Gegen die Kettensäge ist ein Schwert ein chirurgisches Instrument.
Die Aufregung, welche die technisch gesprochen: Zweckentfremdung eines Werkzeugs auslöste, ist im Fall des „Kettensägen-Angreifers“noch dadurch gesteigert, dass der Mann zuletzt im Wald lebte – also dort, wo das Aufheulen einer Motorsäge kaum aufmerken lässt. Als der „Kettensägen-Mann“nach seinem blutigen Angriff auf Kassenangestellte in Schaffhausen gefasst wurde, trug er übrigens keine Säge mehr bei sich, sondern – in der Schweiz seit Wilhelm Tell mythologisch aufgeladen – zwei Armbrüste samt Pfeilen. Waffen, die nicht an das Horrorpotenzial der grobmotorischen Tatwaffe heranreichen und eher folkloristisch als fürchterlich wirken, auch wenn sie tödlicher sein können.
Wer sich einliest in die Geschichte der Kettensäge und hier insbesondere ein Augenmerk auf die Sicherheitsaspekte hat, staunt über die raffinierten Schutzeinrichtungen, die von der Fliehkraftkupplung über die Gashebelsperre, den Kettenfangbolzen und den Krallenanschlag bis zum Vibrationsdämpfer reichen. Bloß sind das alles Faktoren, die der Unversehrtheit des Sägenden selbst dienen. An die Werbung „Kettensägen für jede Anwendung“muss man sich jetzt wieder neu gewöhnen.