Jungsein in Deutschland
Zwei literarische Debüts spiegeln unsere Probleme von heute und morgen – ganz oben und ganz unten
Deutschland, wie geht es dir? Und wie blickst du in die Zukunft? Die Antwort auf solche Fragen wird oft in Umfragen gesucht. Und als besonders aussagekräftig in Bezug auf die Perspektiven gelten da Aussagen jüngerer Menschen. Sie sollen schließlich die Zukunft gestalten. Sehen sie mehr Chancen oder Gefahren? Gerade angesichts der aktuellen und weiterer bereits dräuender Krisen in der Welt stellen sich diese Fragen ja tatsächlich schärfer als in vielen Jahrzehnten zuvor – und in einem Wahljahr mit politisch wirklich virulenten Problemen ja ohnehin.
Dann bitteschön: Hier sind zwei aktuelle Befunde, die nachdenklich stimmen und in ihrer individuellen Tiefe auch mehr sagen als irgendwelche Umfragen in der Breite. Und sie künden aus unterschiedlichsten Richtungen von Problemen auf dem Weg in die Zukunft. Ganz unten: von gravierendem Zerfall sozialer Milieus, dem Alltag als Anpassungsund Behauptungskampf, vor allem bei Jugendlichen und gerade in Metropolen. Ganz oben: von einer geistigen Krise, die die jüngeren Generationen durchsetzt, die keine emanzipatorische Kraft haben, kein Wir, keine Rebellion und keine Freiheit des Empfindens mehr kennen und auch nicht mehr danach verlangen. Warum? Weil sie von der digitalisierten Wirklichkeit, der prekärer gewordenen Karriereplanung, der Suche nach einem fragwürdiger gewordenen Glück und irgendeinem zumindest individuellen Sinn oder überhaupt nur dem Ringen um ein zumindest als gelingend erscheinendes Leben vereinnahmt und gestresst sind. Dieser letzte, eher geistig desaströse Befund stammt aus dem Pamphlet eines vergleichsweise Prominenten. Simon Strauß ist nicht nur Sohn des deutschen Großautors Botho Strauß, sondern auch Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen. „Sieben Nächte“heißt sein in der Branche freudig begrüßtes und gerne diskutiertes Debüt, in dem er sich in einer Mischung aus Essay und Roman in eine Läuterung durch die Sieben Todsünden schickt. Wohlgemerkt: keine versuchte Läuterung von den Sünden hin zu Tugendhaftigkeit – sondern durch die Sünden hin zur Intensität, zu einer „neuen Sinnlichkeit“, zu einer Unmittelbarkeit des Lebens.
Und Strauß schreibt aus Angst: „Ich habe Angst vor Eheverträgen und stickiger Konferenzluft. Angst vor Gleittagen und dem ersten vorgetäuschten Lächeln…“Es ist wie eine Mischung aus „Tristesse Royale“(1999) und „Futuristisches Manifest“(1909) – eine Luxusmelancholie also, aber auch ein Aufschrei nach Befreiung zur einer offenen Zukunft, einem Ruf nach Bedeutung für Ich und Wir, über das Funktionieren hinaus, weg von der Bürgerlichkeit. In Marinettis Manifest lautete eine Lösung damals: dann lieber Krieg! Bei Strauß: gibt es keine… Also: ja, das ist ein Problem. Denn da staut sich was auf.
Felix Lobrecht schreibt über andere Probleme, ganz konkrete nämlich. Mit seinem Debüt, dem Roman „Sonne und Beton“, führt der bekannte Poetry-Slamer hinein in das Leben eines Teenagers in BerlinNeukölln. Wo Familien meist nur noch Flickwerk, deutsche Schüler in der Klasse schon die absolute Minderheit sind und wo der schon ein Opfer ist, der nicht im GangsterStyle rumläuft. Es ist ein starkes Stück Milieu-Studie, auch ein Lehrstück über die eigentliche Ignoranz der vermeintlich Liberalen und Toleranten, weil das Problem wirklich unbequem für sie ist. Lobrecht zeigt die Realität einer gescheiterten Integration, die nicht einfach sozialpädagogisiert werden kann. Denn da schwelt schon was. Und nein, hier geht es Deutschland nicht gut.
» Simon Strauß: Sieben Nächte.
Blumenbar, 145 S., 16 ¤ » Felix Lobrecht: Sonne und Beton. Ullstein, 225 S., 18 ¤