Der Heilige ist auch nur ein Mensch
Michael Köhlmeier schreibt über Hochmut und Zweifel des heiligen Antonius von Padua. Viel Bedenkenswertes zur Religion und zum Glauben findet sich in der Erzählung
Die Szene ist dramatisch. Denn: Wie stirbt ein Mann, der schon zu seinen Lebzeiten als Heiliger verehrt wird? Öffnet sich im Moment seines Todes der Himmel und Gott nimmt ihn direkt zu sich auf? 3000 Menschen sind ihm gefolgt, um das zu sehen, und blicken nun gebannt auf Antonius, wie er da auf seinem letzten Weg zurück in die Heimat Padua zusammenbricht und vor dem Kloster von Arcella liegt, jeder Atemzug kann sein letzter sein.
Die Fragen sind tiefgründig. Denn: Was macht einen Menschen zu einem Heiligen? Von diesem Antonius nämlich, der damals als großer Prediger verehrt wird und uns heute als Helfer bei der Suche nach Verlorenem ans betende Herz gelegt ist, wird auch erzählt: Er kennt den Hochmut und die Eitelkeit – und auch nach seinem Gang in die Einsiedelei haben ihn die Zweifel an Gott, dessen Allwissen und Allmacht nicht verlassen. Ist ein Heiliger auch nur ein Mensch?
Der Erzähler Michael Köhlmeier hat immer wieder bewiesen, dass er die Geschichten der Bibel und die Mythen der Antike so lebendig aufbereiten kann, dass sie auch im 21. Jahrhundert noch unmittelbar zu den Menschen sprechen. Und er hat gezeigt, dass er sowohl das große Format – in Romanen wie „Abendland“– wie auch das kleine Format – wie zuletzt im märchenhaften Flüchtlingsstück „Das Mädchen mit dem Fingerhut“beherrscht. Michael Köhlmeier, 67 Jahre alt, Österreicher: Der kann also eigentlich alles.
Aber in seiner Antonius-Novelle „Der Mann, der Verlorenes wiederfindet“scheitert er. Am besten ge- lingt ihm noch das Tiefgründige. Gestützt auf das Nachdenken des heiligen Mannes über antike Philosophen und sein Vorbild Franziskus setzt der Autor so manche Weisheit ins Werk. Etwa, „dass es größerer Tugenden bedarf, das Glück zu ertragen als das Unglück“. Oder der Gedanke, dass nicht das, was man weiß, zeigt, wer man ist, sondern das, was man liebt. Über solcherlei lässt sich innehalten und nachdenken in diesem Buch. Und über so manche feine Beobachtung: „Nie ist mir aufgefallen, dass unser Vaterunser nur aus Imperativen besteht, sagte Antonius. Wir befehlen Gott. Dürfen wir das denn?“
Das Dramatische und sein sonst so großartiges Erzählen aber verlieren sich in einem plaudernden Mäandern – ohne dabei einen stimmigen Ton für seinen „Chronisten“zu finden. Es ist einerseits eine kundige, etwas pathetische Reflexion über theologische Fragen mit immer wieder eingestreuten Zitaten aus Psalmen und von Evangelisten. Ein Spiel mit Exegesen, etwa über Hiob, aber auch über die letzte Predigt des Antonius, die sich vom Bäcker bis zum Baumeister jeder auf seine Art erklärt. Und es ist andererseits eine eher sentimentale, ja teilweise kalauerige Schilderung des Lebens dieses Heiligen, der am 13. Juni 1231 auf dem Weg nach Padua starb. Denn der Heilige hatte ein Leben auch als Mann, er liebte eine Frau … Bloß finden diese beiden Seiten im Buch nie zusammen, dreht es bloß eine Pirouette nach der anderen. Wie schade. 160 S., 20 ¤
Hanser,