Alles Gute kommt von Süden
Wer als Künstler oder als Baumeister im 16. und 17. Jahrhundert etwas auf sich hielt, reiste nach Italien. Von dort kamen Ideen, die unserer Region bis heute ein Gesicht geben
Der Weg zur Kunst führte über die Alpen. Im November des Jahres 1600, als der 27-jährige Elias Holl, der erst vor wenigen Jahren die Meistergerechtigkeit als Maurer erworben hatte, von seiner Heimatstadt Augsburg nach Süden aufbrach, da wusste er genau, was er wollte: Die Baukunst Italiens wollte er sehen, die Palazzi, Kirchen und Plätze, von denen alle, jedenfalls die gebildeten Stände, so schwärmten. Die Architektur von Florenz und Venedig, das war „Leitkultur“, war der Maßstab für einen Baumeister der Freien Reichsstadt, die schon seit Jahrhunderten in enger Beziehung, in politisch, wirtschaftlich und kulturell regem Austausch mit Italien stand und von dort vielerlei Impulse erhalten hatte.
Denn auch der Weg der (Bau-)Kunst führte über die Alpen, dieser aber vorwiegend von Süden nach Norden. Schon eineinhalb Jahrtausende vor Elias Holls Italienreise hatte das Weltreich der Römer seine Spuren hinterlassen – römische Siedlungen und Befestigungen, von denen heute noch in ganz Schwaben Relikte zu besichtigen sind, etwa der Tempel von Cambodunum (Kempten), das Bad nahe Marktoberdorf, das Forum von Aelia Augusta, wie Augsburg einst hieß oder – als zwei der schönsten Artefakte – der glänzend erhaltene Mosaikfußboden einer römischen Villa in Westerhofen bei Eichstätt und der bronzene Pferdekopf aus Augsburg, Teil einer Reiterstatue zu Ehren des vergöttlichten Kaisers.
Auch nach dem Ende des Imperium Romanum, in den so oft dunkel genannten Jahrhunderten des Mittelalters, funktionierte der Kulturtransfer von Süd nach Nord weiter. Italienische Steinmetze und Maurer brachten als Wanderarbeiter ihre mit – davon zeugen in Regensburg die Allerheiligenkapelle und die hohen Geschlechtertürme nach toskanischem Vorbild. Auch die romanische Basilika von Altenstadt bei Schongau ist wohl von einer lombardischen Wanderbauhütte errichtet worden, nach dem Modell der Kirche San Savino in Piacenza.
Nach dem Mittelalter aber kam, was einen regelrechten „Bauboom“nach italienischem Muster entfachte – die Renaissance, jene Geistesbewegung, die eine Erneuerung von Kultur und Alltag durch die Rückbesinnung auf die Antike vertrat. Architektur der Renaissance, das meinte Proportion und Ordnung wie an den Bauten des alten Rom und
Athen, meinte Säulen, Bögen, Kuppeln, Fassadengesimse in genau festgelegter Ordnung. Der Humanist Leon Batista Alberti (1404–1472) hatte es in seinen „Zehn Büchern über die Baukunst“aufgeschrieben, wie ein Architekt nun zu arbeiten hatte.
Nach den Vorgaben war auch schon Großes in Augsburg gebaut worden, als der junge Elias Holl seinen Beruf lernte. Die reichen Kaufleute Georg, Ulrich und Jakob Fugger hatten 1506 für ihre Familie eine Grablege in der Annakirche in Auftrag gegeben. Der Nürnberger Albrecht Dürer war vermutlich an der Planung beteiligt (auch er gehörte zu den vielen Künstlern, die über die Alpen zogen, um von Italien zu lernen), sicher waren die Brüder Daucher, Hans Burgkmair d. Ä., Jörg Breu d. Ä. und Hans Hieber dabei. Mit ihren Arkaden, der Marmorbalustrade, den Reliefs und dem Intarsienboden gilt die Fuggerkapelle als das früheste und vollkommenste Raumkunstwerk der Re- naissance in Deutschland. Die venezianische Kirche Maria dei Miracoli soll dafür Pate gestanden haben.
Wenig später ließ Jakob Fugger II., der Reiche, seinen Palast in der Augsburger Maximilianstraße nach welscher Art erneuern. Der Damenhof mit seinen schlanken Arkaden ist erkennbar dem venezianischen Fondaco dei Tedeschi nachempfunden, jenem Palast, in dem die Fugger ihre Niederlassung am Rialto hatten. Ein Nachkomme des Reichen engagierte um 1570 einen Florentiner Architekten und Mitarbeiter von Giorgio Vasari (der war der Star-Architekt im Italien des 16. Jahrhunderts), um sich sein „studiolo“(Wunderkammer und Studierzimmer, seltsamerweise Badstuben genannt) garantiert italienisch ausstatten zu lassen. Und dann erst die Augsburger Prachtbrunnen: Sie konnten natürlich nur von Schülern des berühmten Giambologna (der Bildhauer arbeite für die MediciFürsten in Florenz) entworfen werden – Hubert Gerhard und Adriaen de Vries.
So viel italianità also gab es schon in Augsburg zu sehen, als Elias Holl im November 1600 aufbrach. Der junge Baumeister hätte übrigens auch im nahen Neuburg an der Donau italienische Baukunst studieren können, mit dem Schloss, das Fürst Ottheinrich nach italienischer Mode mit Triumphbögen, Gewölben, Vestibülen „modernisiert“hatte. Doch Holl zog, gemeinsam mit Anton Garb (für ihn hatte er schon ein Haus gebaut), direkt nach Venedig. Er blieb nur zwei Monate in der Lagunenstadt, und bis Florenz, dem Zentrum der Renaissance-Architektur, schaffte er es gar nicht. Doch die Eindrücke reichten Elias Holl aus, um nach seiner Rückkehr nach Augsburg und der Berufung zum Stadtwerkmeister seine Hauptwerke zu errichten – Siegelhaus, ZeugBauformen haus, Stadtmetzg, und das mächtige Rathaus. Das zeigt in seinen hochgereckten Fassaden, dem Grundriss und der Dekoration Holls Auseinandersetzung mit dem Dogenpalast in Venedig und anderen venezianischen Stadtpalästen. Mit den Bauten, die er nach seiner Italienreise schuf, „machte Elias Holl Augsburg zur nördlichsten Stadt Italiens“, urteilt der Historiker und Holl-Biograf Bernd Roeck.
Solch mediterranen Glanz wollten offenbar auch andere Städte in Schwaben haben: In Kempten engagierte man für die Basilika St. Lorenz den Architekten Michael Beer, der die Werke des großen Andrea Palladio studiert hatte, und den Stuckateur Giovanni Zuccalli für die Dekoration. Und in Dillingen beeinflusste Elias Holl mit seinem italienischen Wissen den Neubau der Peterskirche. Auch nach Holl führte für ehrgeizige Baumeister der Weg zur Kunst über die Alpen: Johann Jakob Herkomer (1652–1717) aus dem kleinen Dorf Sameister nahe Lechbruck lebte insgesamt über 15 Jahre in Venedig und studierte dort intensiv die Kirchenbauten von Andrea Palladio und Baldassare Longhena, vor allem die große Kirche Santa Maria della Salute. Was er in Venedig gelernt hatte, demonstrierte er zuerst mit der kleinen Kapelle in Sameister, eine Kreuzkuppelkirche im Mini-Format, die die Renaissance-Erscheinung ins Barocke fortführt. Danach widmete sich Herkomer dem Füssener Kloster St. Mang, dessen Klosterkirche er nach venezianischen Vorbildern prachtvoll erfand.
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