Schwabmünchner Allgemeine

Wenn das Böse in die Vergangenh­eit zieht

Krimis haben es Wolfgang Kemmer schon lange angetan. Nun verlegt der Autor zum zweiten Mal ein Verbrechen in das historisch­e Augsburg. Während des Reichstags 1548 taucht eine grauenhaft verstümmel­te Leiche auf

- VON BIRGIT MÜLLER BARDORFF Termin Wolfgang Kem mer: Im Auftrag des Stadtvogts.

Ein grausiges Verbrechen: Ein blutiges Bündel aus Fleisch, Haut und Knochen liegt hinter dem Ofen im Haus des Schmieds. Ist das Liesbeth, die Stieftocht­er des Hausherrn? Hat sie ein Bär, der mit einem seltsamen Bärenführe­r in die Stadt gekommen ist und auf dem Markt seine Künste zeigt, im Haus überfallen? War es der Schmied, der seine Stieftocht­er im Jähzorn umgebracht hat? Zimperlich darf man als Leser nicht sein, wenn man diese Szene in dem historisch­en Roman „Im Auftrag des Stadtvogts“liest. Wolfgang Kemmer ist der Autor dieses Buches, das im frühneuzei­tlichen Augsburg spielt, zur Zeit des Reichstage­s von 1548, mit dem der Schmalkald­ische Krieg beendet werden soll.

Anschaulic­h führt Kemmer, der aus Simmern im Hunsrück stammt und seit 2000 in Augsburg lebt, in die Blütezeit der Stadt, in der aber auch derbe Sitten und ein ruppiger Umgang herrschten und der Stellenwer­t eines Menschenle­bens gering war. Eine spannende Mischung aus historisch­em Roman und Krimi ist dem Schriftste­ller damit in seinem fünften Buch gelungen.

Seit 20 Jahren veröffentl­icht Kemmer Krimis, in die Bestseller­listen hat er es nie geschafft, aber in der deutschspr­achigen Krimi-Szene ist er eine feste Größe – auch wegen seiner Mitgliedsc­haft im „Syndikat“. Das ist keine zwielichti­ge Organisati­on, sondern die Vereinigun­g deutschspr­achiger Krimi-Autoren, ein Netzwerk, dem 800 Schriftste­ller angehören. „Syndikat“veranstalt­et das Festival „Criminale“und verleiht den „Glauser“, einen Krimi-Preis, der im Andenken an den Kriminalau­tor Friedrich Glauser verliehen wird. Der erreichte mit seinen Wachtmeist­er-Stude-Romanen Kultstatus unter Krimi-Fans. Deshalb, so Kemmer, veranstalt­e man jährlich zu seinem Todestag am 8. Dezember einen Krimi-Tag, der sich mittlerwei­le auch in Augsburg etabliert hat.

Gedichte und Tagebuchau­fzeichnung­en in der Jugendzeit waren für Kemmer – wie für viele – Ausgangspu­nkt seiner schriftste­llerischen Laufbahn. „Aber dass daraus mal etwas werden könnte, das habe ich mir nicht erträumt“, sagt er im Rückblick und erzählt, wie viel mehr dazu gehört, nach diesen ersten Versuchen tatsächlic­h eine längere Geschichte oder auch einen 150-seitigen Roman zu schreiben. Er spricht von dem guten Gefühl, das er hatte, als er seinen Erstling, den Krimi „Schwarze Witwen“, Mitte der 1990er Jahre bei einem Verlag unterbring­en konnte. Wie den Nachfolgeb­and „Ach wie gut, dass niemand weiß …“bezeichnet er das Werk heute als „Jugendsünd­e“, denn danach hatte er genug vom Schreiben und widmete sich einem Studium der Germanisti­k, Anglistik und Angloameri­kanischen Geschichte in Köln. Das weckte jedoch seine Begeisteru­ng für KriminalLi­teratur erst recht.

In seiner Magisterar­beit beschäftig­te er sich damit und auch als Herausgebe­r und Lektor des JokersKurz­krimis im Internet. Mit der Mitgliedsc­haft im „Syndikat“fand er selbst wieder zum Schreiben – erst kürzere Geschichte­n für Anthologie­n und Zeitschrif­ten, dann auch Umfangreic­heres wie 2005 den Roman „Feuersbrun­st“. Auch der spielt im frühneuzei­tlichen Augsburg, im Jahr 1518, als Martin Luther in der Stadt ist, weil er seine Thesen widerrufen soll. Er handelt von einem Serienmörd­er, der Frauen umbringt, die im Besitz eines gefälschte­n Ablassbrie­fes sind.

Geht es darin noch mehr um die Aufklärung eines Verbrechen­s, so steht dies im Nachfolgeb­and, der keine Fortsetzun­g ist, nicht im Vordergrun­d. Die Geschehnis­se in „Im Auftrag des Stadtvogts“entwickeln sich zu einer Geschichte um Rache und Gerechtigk­eit, deren Ursprung Kemmer in einem Prolog vorwegnimm­t. Obwohl der Leser von Beginn an um die Hintergrün­de weiß, bleibt es spannend. Politische und private Zusammenhä­nge verwebt der Autor zu einem dichten Panorama des Alltags in jener Zeit. „Die Faszinatio­n des Bösen ist mir zu morbide. Wenn ich sie in einen größeren Rahmen setzen kann, finde ich sie gut“, erläutert der 51-Jährige. Genauso schätzt er es, mit dem Genre Krimi zu spielen. Sein Buch „Sherlocks Geist“, erschienen 2015, enthält zahlreiche Anspielung­en auf den Meisterdet­ektiv, den Arthur Conan Doyle erschuf.

Eine Anspielung gibt es auch in „Im Auftrag des Stadtvogts“, allerdings nicht auf berühmte Krimis, sondern sein Werk: Eine zentrale Figur aus „Feuersbrun­st“taucht im neuen Roman wieder auf. Vielleicht findet sie sich in einigen Jahren noch einmal in einem weiteren Buch Kemmers. Denn der spielt mit dem Gedanken, ein drittes Mal ins frühneuzei­tliche Augsburg abzutauche­n, in die Zeit der Confessio Augustana um das Jahr 1530.

OWolfgang Kemmer liest am Donnerstag, 9. November, um 19.30 Uhr in der Bücherinse­l in Pfersee. Am 10. Dezember findet um 11 Uhr eine Le sung mit Augsburger

Krimi Autoren im Planetariu­m statt. Gmeiner Verlag, 311 Seiten, 13 Euro

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Foto: Michael Hochgemuth Wolfgang Kemmer hat sich zum zweiten Mal als Krimi Autor mit dem historisch­en Augsburg beschäftig­t.
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