Wer Professor werden will, muss „vorsingen“
In der Probevorlesung sollen Kandidaten zeigen, was sie draufhaben – auch den Studenten
Der Kandidat ist nervös, so nervös, dass er sich am Rednerpult festhält. Gleich muss er ein trockenes wissenschaftliches Thema vortragen. Und zwar hinreichend spannend, damit die Studenten im Hörsaal nicht gleich einschlafen. Aber auch wissenschaftlich fundiert, so dass es kritische Kollegen vom Fach beeindruckt. „Vorsingen“nennt man das an der Universität. Es geht um eine Probevorlesung für eine Professorenstelle. Für Bewerber geht es damit um alles.
Im Raum D 4056 der Uni Augsburg herrscht an diesem Tag angespannte Stille. Denn für die vielen guten Nachwuchskräfte an deutschen Hochschulen sind nicht so viele Professorenstellen auf Lebenszeit zu vergeben. So wie die, die gerade in der romanischen Literaturwissenschaft neu besetzt werden soll. Über 40 Bewerber haben sich in Augsburg gemeldet und hätten den Job gerne. Sieben wurden zur Probevorlesung eingeladen. Sie werden an zwei Tagen genauer unter die Lupe genommen.
Der nervöse Kandidat an diesem Tag kann mit einem überraschenden Thema aufwarten. Er spricht über einen lateinamerikanischen Schriftsteller, Roberto Bolaño, den viele im Hörsaal noch nicht kennen. Auch dessen Roman über eine Serie ungeklärter Frauenmorde in Mexiko wäre ein spannendes Thema – wäre da nicht der Vortrag voller gedrechselter Sätze, gespickt mit unglaublich komplizierten Fachbegriffen, die selbst die Zunge des Redners immer wieder stolpern lassen. „Ein Feminozid?“Was ist das? „Noch nie gehört“, sagt einer akademisch gebildeter Zuhörer.
Nach 20 Minuten Vorlesung ist der Kandidat aber noch nicht erlöst. Jetzt nehmen ihn Kollegen aus der Berufungskommission bei einer Fragerunde in Spanisch und Französisch in die Mangel, um Sprachkentnisse zu testen. Dann folgt das Probeseminar mit Studenten. Die haben sich zahlreich eingefunden und ermitteln jeweils in einer kurzen Umfrage, welcher Bewerber ihnen am meisten zusagt. Denn auch Studentenvertreter dürfen in der Berufungskommission für neue Professoren mitreden. Wissenschaftliche Hilfskraft Maximilian Leoson erklärt, worauf es ankommt: „Wir wollen was lernen, deshalb brauchen wir eine Lehrkraft, die sozial und fachlich kompetent den Stoff verständlich vermitteln kann.“
Aber auch die Professoren haben genaue Vorstellungen. Wichtig sei, dass der oder die Neue eine interessante Forschung betreibe, sagt der Dekan der Philologisch-Historischen Fakultät, Martin Kaufhold. Dann soll der neue Professor sein Fachwissen verständlich vermitteln können und kommunikationsfähig im Team sein. „Bewerber haben sehr unterschiedliche Begabungen“, sagt Kaufhold, „die Hauptherausforderung ist, jemanden zu finden, der alles kann.“In dem mehrstufigen Berufungsverfahren soll die Stelle bei den Romanisten bis Sommer 2018 neu besetzt werden.