Erdogan spielt mit Russland über Bande
Abgestimmt mit Moskau marschiert die Türkei in Syrien ein. Ankara spekuliert darauf, dass der gelähmte Westen nicht die Kraft aufbringt dagegenzuhalten
Die kurdisch kontrollierten Gebiete Syriens galten als relativ stabil. Während weite Teile des vom Krieg ausgelaugten Landes von Zerstörung und Chaos geprägt sind, herrschte dort im Großen und Ganzen Ruhe. Damit dürfte es vorerst vorbei sein. Und es ist unfassbar, dass dafür in diesem Fall weder Hasardeure der fast überall auf dem Rückzug befindlichen Terrormiliz IS noch die Truppen, die für den Machthaber und Kriegsverbrecher Baschar alAssad kämpfen, verantwortlich sind. Nein, mit der Türkei riskiert ein Mitglied der Nato einen neuen Flächenbrand.
Ankara behauptet, dass sich die „Operation Olivenzweig“nicht nur gegen die kurdische YPG-Miliz richte, sondern nach wie vor auch gegen den IS. Das aber ist eine durchsichtige Lüge, denn in der kurdisch kontrollierten Region Afrin hat der IS nichts zu melden. Zynisch ist, dass die Regierung um Präsident Recep Tayyip Erdogan den Eindruck erweckt, man komme der von der YPG geknechteten Bevölkerung zu Hilfe und werde in Afrin wahre demokratische Strukturen aufbauen. Ausgerechnet. Erdogan und seine AKP sind in der Türkei gerade äußerst erfolgreich damit, demokratische Strukturen nachhaltig abzubauen.
In Wahrheit hat der Angriff nur ein Ziel: Die Durchsetzung der Doktrin Ankaras, dass jeder Versuch der Kurden – egal, ob innerhalb oder außerhalb des Landes –, eine Selbstverwaltung aufzubauen, mit allen Mitteln zu unterbinden ist. Dahinter steckt die Furcht, ein funktionsfähiges staatsähnliches kurdisches Konstrukt an der Grenze könnte die Kurden im eigenen Land ermutigen, noch entschlossener für mehr Eigenständigkeit zu kämpfen. Richtig ist, dass die kurdische PKK in der Vergangenheit mit durch nichts zu rechtfertigenden Terroranschlägen den immer wieder aufflackernden Bürgerkrieg in den kurdisch dominierten Regionen der Türkei angeheizt hat. Doch richtig ist ebenfalls, dass die PKK nicht die Ursache, sondern das Resultat des blutigen Dauerkonflikts ist.
Erdogan hat sich für seinen zweiten Feldzug im Norden Syriens – bereits vom Sommer 2016 bis März 2017 kämpften türkische Truppen im Nachbarland – abgesichert. Es dürfte kein Zufall sein, dass sich russische Militärs vor dem Einmarsch aus der Region um Afrin zurückgezogen haben. Gleiches gilt für den Umstand, dass Moskau den Militäreinsatz der Türkei mit dem Vorwurf an die USA flankierte, sie würden die Kurden im Norden Syriens zum Separatismus anstacheln und gegen den eigenen Verbündeten Assad aufwiegeln.
Nun schaut die Welt darauf, wie die US-Regierung auf den türkischen Angriff gegen den wichtigsten syrischen Verbündeten Washingtons im Kampf gegen den IS reagieren wird. Doch in Zeiten Trumps wäre es hochspekulativ, vorherzusagen, wie die Antwort aussehen wird. Eine klare Warnung, die dazu angetan wäre, die Türkei in die Schranken zu weisen, gibt es bisher noch nicht. So besteht einmal mehr die Gefahr, dass der Westen mit den überwiegend muslimischen syrischen Kurden erneut einen Verbündeten schnöde fallen lässt. Auch das wäre ein katastrophales Signal mit fataler Langzeitwirkung. Denn bleiben moderate islamische Kräfte ohne Unterstützung, freuen sich ihre radikalen Gegenspieler.
Die Bundesregierung sollte sich die Bilder aus dem neuen Kampfgebiet genau anschauen. Was sie dann sehen wird, sind deutsche Leopard-Panzer, mit denen die türkischen Streitkräfte ihre Operation vorantreiben. Darauf kann es nur eine Antwort geben: Waffenlieferungen an Erdogans Türkei müssen in Zukunft tabu sein. Denn Ankara nutzt sie, um Krisenregionen weiter zu destabilisieren.
Der Feldzug könnte eine stabile Region in Flammen setzen