Burschikos macht sich Mutter Courage breit
Gina Pietsch & Co. singen in der Barfüßerkirche gegen Krieg und Unrecht an
Diese Stimme braucht keine Kanzel. Sie braust durch die Barfüßerkirche wie ein Regiment Dragoner. Burschikos macht sie sich breit, preist schreierisch ihre Waren an und predigt den Verdammten eine letzte Linderung. Gina Pietsch, 71, als Mutter Courage bricht wie eine Naturgewalt ein. Seit 35 Jahren beschäftigt sich die Berliner Sängerin mit Brecht und hat eine Haltung gefunden, die durchaus den eigenen Interpretationen des Augsburger Dichters entspricht: respektlos, spöttisch, pathetisch und stets rasant. Zum 120. Geburtstag Bert Brechts bot Gina Pietsch am Samstag beim Bert-Brecht-Kreis in der ausverkauften Barfüßerkirche ein Programm, das klar Stellung gegen Krieg und Unrecht bezog.
Michael Friedrichs, der Vorsitzende des Brecht-Kreises hatte diesen Schwerpunkt 100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs und 400 Jahre nach Beginn des Dreißigjährigen Kriegs gewählt. Schon der 16-jährige Brecht hatte im Gedicht „Moderne Legende“(November 1914) das Weinen der Mütter auf beiden Seiten der Front über die Flüche der Verlierer und die Dankgebete der Sieger gestellt, wenn die Telegrafendrähte von den Toten der Schlacht singen. Messerscharf fragte der aufbegehrende junge Brecht, welcher Gott über solchem Elend thront und „die Armen arm sein lässt“.
Pfarrer Martin Beck sah darin kritisch die Kriegspredigten von Barfüßer-Pfarrer Hans Detzer gespiegelt, der B.B. 1912 konfirmiert hatte. Detzer hatte 1914 einen Schlachtengott gepredigt, der für Kaiser und Reich ins Feld zieht und die deutschen Soldaten mit dem Abendmahl zum Kampfe stärkt. „Es graust mich, wenn ich diese Sätze zitiere“, sagte Beck. Wenn Brecht demgegenüber den christlichen Glauben in Zweifel zieht, so klinge darin der Prediger Salomon an, dass der Mensch Gottes Handeln grundsätzlich nicht begreifen könne.
Als Konsequenz daraus nahm Brecht die Dinge selbst in die Hand. Der Schauspieler Anatol Käbisch trug einige der großen, kämpferischen Balladen vor, die in Hanns Eislers Vertonung enorme propagandistische Durchschlagskraft entfalten. Etwa die Ballade vom Wasserrad, worin ein williges Volk seinen Herrschern („Ob sie besser waren oder schlimmer“) solange zu Diensten ist, bis es sich doch einmal verweigert.
Oder die bissige Parodie auf das nazistische Horst-Wessel-Lied, bei Brecht „Der Kälbermarsch“genannt: „Der Metzger ruft, die Augen fest geschlossen, das Kalb marschiert im festen Tritt.“Von tiefer Humanität zeugte Brechts „Kinderkreuzzug 1939“: Die Vision von 55 Kindern in den Kriegswirren in Polen, bunt zusammengewürfelt, um sich in ihrer bitteren Not gegenseitig beizustehen – bis sie der Kältetod ereilt.
Nach Afrika, in die ehemals deutsche Kolonie Kamerun blickten schließlich Michael Friedrichs und der Musiker Njamy Sitson. Denn von dort kommt der Kriegsheimkehrer Kragler in Bertolt Brechts frühem Drama „Trommeln in der Nacht“. Sitson kommentierte den Text („Wir schossen die Neger ab“, „Wir verteidigten die Heimat“) auf seinen Trommeln mal dramatisch verstärkend, mal zornig widersprechend. Was folgt aus alldem? Gina Pietsch und Anatol Käbisch ließen, von Christine Reumschüssel am Klavier trotz der Kälte in der Kirche ausdrucksstark begleitet, den stark beklatschten Abend mit Brechts Kinderhymne ausklingen: „Dass ein gutes Deutschland blühe wie ein andres gutes Land…“