Zur Seite geschleudert Arno Geiger
Ein großer Roman über das Leben im letzten Kriegsjahr
Hanser, 480 S., 26 ¤
Die Drachenwand ist ein Fels im österreichischen Salzkammergut, 1176 Meter hoch. Vom Mondsee aus gesehen erhebt sie sich fast senkrecht. „Albtraumhaft hingestellt“, so schreibt der Österreicher Arno Geiger. Es gibt heute auf der Drachenwand einen Klettersteig und eine Hängebrücke. Wunderbar bei schönem Wetter. Bei Arno Geiger aber ist der Fels nur düstere Kulisse, verdunkelt wie der Schatten, der über dem Land liegt. 1944, noch tobt der Krieg.
In diesem letzten Kriegsjahr, als die Entscheidung schon gefallen, aber das Ende dennoch nicht in Sicht, lässt er einen jungen Soldaten hier am Mondsee seine Verwundung auskurieren: Veit Kolbe aus Wien, vom Krieg nur für einige Zeit „zur Seite geschleudert“, bevor der ihn sich später wieder holen wird. Dieser Veit Kolbe ist einer von mehreren, die Geiger von den Schrecken dieses Jahres erzählen lässt, aber seiner Stimme gibt er den größten Raum. Wie schwer seine Verwundung tatsächlich ist, erkennt er erst hier am Mondsee, wohin sich auch andere vor dem Krieg geflüchtet haben: eine Schulklasse aus Wien, eine junge Mutter aus Darmstadt. Dort, unter den normalen Menschen, wie sie Kolbe nennt, diagnostiziert er „die Verzerrung des eigenen Wesens“. Weil ihn Panikattacken heimsuchen, verschreibt ihm der Arzt das Aufputschmittel „Pervitin“, etwas Ruhe findet er dann aber tatsächlich. Im Nebenzimmer bei Margot, der „Reichsdeutschen“, oder beim „Brasilianer“, Bruder der bösartigen Quartierwirtin, der im Gewächshaus seine Tomaten und seine Orchideen hegt, von der Rückkehr nach Südamerika träumt.
Der Schriftsteller hat diesen Roman zehn Jahre vorbereitet. Figuren, wie er sagt, umhergetragen, keine Sachbücher, dafür Tagebücher und Briefe gelesen. Unter anderem auch die Briefwechsel von Eltern, Lehrern und Schülern aus dem Kinderlager „Schwarzindien“am Mondsee. Aus diesem Fundament ist der Roman entstanden, in den Nachbemerkungen finden sich noch biografische Angaben wieder, die den Leser glauben lassen könnten, es handele sich nicht um Fiktion. Es ist aber „ein erfundenes Haus mit echten Fenstern und Türen“, sagt Geiger, der mit seinem Roman so wie beispielsweise zuvor Robert Seethaler mit „Der Trafikant“auch Antwort auf die Frage gibt, was die Enkelgeneration eigentlich noch erzählen kann über diese dunkle Zeit. Alles. Alles anders. Aus der Distanz