Allerhand Probleme mit der Handschrift
Schülern fällt es immer schwerer, mit einem Stift zu schreiben. Liegt es am Elternhaus, am Kindergarten, an der Schule – oder an der Gesellschaft? Wo Lehrer die Ursachen sehen und was sie aus der Praxis berichten
Wer an der Handschrift festhält, halte sich fest: 12. Klasse Gymnasium, Deutschunterricht – und ein Schüler, der noch nie einen Brief gekriegt hat. Geschweige denn einen geschrieben. Das erzählt Deutschlehrerin Susanne Täufer vom Augsburger Peutinger-Gymnasium aus ihrem Unterricht. Klar, wer verfasst einen handgeschriebenen Brief, wenn er nicht gerne und gut mit der Hand schreibt?
Genau damit haben immer mehr Kinder Probleme. Das zeigt eine bundesweite Umfrage unter Lehrern, die das Schreibmotorik-Institut 2015 in Kooperation mit dem Deutschen Lehrerverband durchgeführt hat: 51 Prozent der Buben und 31 Prozent der Mädchen haben Probleme mit der Handschrift. Fast zwei Drittel der Schüler an weiterführenden Schulen können nicht länger beschwerdefrei schreiben. Susanne Täufer und weitere Lehrer bestätigen im Gespräch mit unserer Zeitung diese Tendenz. Nicht nur der mechanische Akt des Schreibens scheint schwierig. Auch die Leserlichkeit nimmt ab. Es sind Probleme, die schon in der Grundschule beginnen, vielleicht noch früher.
Ulrike Pauli ist Lehrerin einer ersten Klasse an der St.-GeorgSchule in Augsburg. Sie beobachtet zunehmend: „Kinder kommen und können keinen Stift halten.“Natürlich gebe es Schüler, die toll schreiben, aber immer mehr bräuchten eine Schreibhilfe – kleine Helfer aus Plastik oder Gummi, die über den Stift gestülpt werden und die richtige Fingerhaltung unterstützen. Und immer mehr Kinder müsse sie in die Ergotherapie schicken. Doch „die Ärzte wollen nicht so viel Ergotherapie verschreiben“.
Pauli zufolge wird die Feinmotorik der Kinder immer schlechter. Auch könnten Schüler oft einzelne Buchstaben wie b und d nicht mehr unterscheiden. Oder sie fingen das „i“von unten an statt von oben. Um Schreiben zu trainieren, führt die Lehrerin bei Kindern den Stift mit, macht Finger- und Schwungübungen oder lässt Buchstaben kneten.
Ein Kind, das in die Schule kommt, sollte außerdem malen und dabei Begrenzungslinien einhalten können, sagt sie. Diese Fertigkeit lasse nach. Feinmotorik, Umgang mit Stiften, Lesen – hier seien auch die Kitas und vor allem die Eltern gefordert. Den Kindern fehle häufig die Konzentration, Merkfähigkeit, Motorik, Anstrengungsbereitschaft und Ausdauer. Das sei der Trend. Eltern akzeptierten Unlust einfach, schon bei Kleinkindern. Dabei sei Ausdauer wichtig, um Erfolg zu ha-
ben, der wiederum die Motivation steigere. Die Motivation, schön zu schreiben, dürfte stark abgenommen haben, seit Schönschreiben nicht mehr benotet werden darf. Pauli sieht das als Problem, ebenso wie 41 Prozent der vom Schreibmotorik-Institut befragten Lehrer.
Johannes Glaisner, Rektor der Leonhard-Wagner-Mittelschule in Schwabmünchen, sagt, es werde
schwieriger, die Handschriften von Fünftklässlern zu entziffern. Das ist auch für die Kinder selbst schlecht. So heißt es in einem Newsletter des Kultusministeriums: „Sind Buchstabenverbindungen nicht klar lesbar, fällt es den Kindern auch schwer, eigene Fehler zu entdecken.“Mit einer flüssigen, gut lesbaren Handschrift falle es leichter, richtig und fehlerfrei zu schreiben.
Die Tendenz zum unsauberen Schriftbild führt Glaisner auf mangelnde Feinmotorik zurück. Er spekuliert, dass die Schüler in ihrer Freizeit zu wenig mit ihren Händen machen. Zunehmende Probleme beim Schreiben stellt der Rektor fest. Aber: „Das liegt mit Sicherheit nicht am Unterricht in der Grundschule“, sagt er. Auch nicht an den Eltern, die seiner Erfahrung nach viel Wert auf die Handschrift legen. Glaisner hält die gesellschaftliche Entwicklung für problematisch, Kindern keine Zeit mehr zu lassen, sich mit etwas auseinanderzusetzen.
An der Mittelschule unternehme man trotzdem eher weniger, um die Handschrift wieder zu verbessern: „Wir gehen davon aus, dass Schüler mit gewissen Fertigkeiten zu uns kommen“, erklärt er.
Er fragt sich außerdem, wie lange die normale Handschrift noch Bestand hat. Geändert habe die sich immer wieder: „Ich persönlich kann nicht mehr in Stein meißeln“, sagt er. Und: „Wer kann schon Altdeutsch entziffern?“Trotzdem müsse man Lesen und Schreiben lernen. Das betont auch eine Sprecherin des Kultusministeriums: „Die Ausbildung einer individuellen Handschrift ist wichtig für die Entfaltung der Persönlichkeit, sie fördert vielfältige kognitive und motorische Kompetenzen und ermöglicht es, Gedanken und Inhalte rasch und gut lesbar niederzulegen.“
Am Gymnasium machen Lehrkräfte noch eine andere Beobachtung. Laut Bettina Hof, Seminarlehrerin für Sozialkunde am PeutingerGymnasium in Augsburg, geht die Schere bei der Ausdrucksfähigkeit auseinander. Ihrer Kollegin Susanne Täufer zufolge erkennen Schüler oft Metaphern und Redewendungen nicht mehr und schreiben in ihrer Freizeit immer weniger. Sie versuche daher, Schreibanlässe zu bieten, zum Beispiel Schreiben über Sinneseindrücke, Modebegriffe oder etwas „aus dem Moment heraus“.
Dass Schüler, anders als früher, viel Zeit mit Smartphone und Tablet verbringen, ist Fakt. Wischen und Tippen statt Schreiben mit der Hand. Der Rektor des PeutingerGymnasiums, Stephan Lippold, sagt dazu: „Es ist kein Verfall, es ist ein Wandel.“Ein medialer Wandel, den man gestalten müsse. Komplett auf digital umstellen sei keine Lösung, dann verkümmerten die anderen Fertigkeiten.
Fertigkeiten wie die Feinmotorik sind den Lehrern zufolge schon am Verkümmern. Beim Handschreiben merkt auch Ricarda Vüllers-Munz, Leiterin der Grundschule Eurasburg (Kreis Aichach-Friedberg): „Es sind mehr geworden, die sich schwertun.“Es gelte, Zeit bereitzustellen, um Motorik aufzubauen. Das Problem: Die Handschrift habe nicht mehr den Stellenwert und die Wertschätzung, die sie in der Gesellschaft einmal gehabt habe. Vor allem das Schönschreiben. Doch Vüllers-Munz sagt auch, aus ihrer Perspektive sei das Handschreiben schon wieder besser geworden, die Problematik hätten alle im Blick.