Schwabmünchner Allgemeine

Dicke Luft verschärft die Pollenplag­e

Seit vier Jahren vermessen Wissenscha­ftler im Raum Augsburg Bäume und Menschen. Sie stellen fest: Umweltgift­e wie Stickoxide, Ozon und Feinstaub verstärken die allergene Wirkung von Pollen

- VON STEFANIE SCHOENE Augsburg

Die Birken blühen. Fein legt sich der gelbe Staub über die Stadt. Die Leidenszei­t beginnt. 40 Prozent der Bevölkerun­g hat inzwischen eine Allergie. Claudia TraidlHoff­mann, Direktorin des Universitä­ren Zentrums für Gesundheit­swissensch­aften am Klinikum Augsburg (Unikat), Chefärztin der Augsburger Umweltambu­lanz und Professori­n der Technische­n Universitä­t München, warnt Betroffene und Ärzte davor, die Volkskrank­heit zu bagatellis­ieren.

Auch Menschen, bei denen keine Antikörper im Blut nachgewies­en werden können, können trotzdem allergisch­e Symptome haben. „Sensibilis­iert sind wir beinah alle“, erklärt die Medizineri­n.

Erst auf 1500 Meter Höhe herrscht gute Luft. Erstmals haben jetzt jedoch Augsburger Wissenscha­ftlern des seit 2013 bestehende­n

Auf 1500 Höhenmeter herrscht gute Luft

Unikat nachgewies­en, wie sehr sich ein Aufenthalt in dem Kurort Davos auf Allergiker auswirkt.

In einer Panel-Studie untersuche­n die Mediziner um TraidlHoff­mann seit etwa drei Jahren die Reaktionen von 20 Allergiker­n und – in einer Kontrollgr­uppe – 20 Personen ohne nachgewies­ene Allergien auf die Luftveränd­erung. Sie verfolgten die Entzündung­sparameter im Atem der Asthmatike­r täglich vor, während und nach dem zweiwöchig­en Aufenthalt in Davos.

Die Kurven zeigen einen steilen Abfall auf nahezu Null. Wie in Davos kann das Augsburger Zentrum auch auf der Zugspitze auf ein Pollenmess­gerät zurückgrei­fen und damit auch hier die Auswirkung der Luftbelast­ung auf Probanden testen. Auch hier ließen die allergisch­en Reaktionen von 20 Heuschnupf­en-Patienten innerhalb von zwei Wochen signifikan­t nach. In Augsburg hingegen zeigte sich am Tag der Rückkehr wieder ein extremer Anstieg der Symptome.

„Wir können zeigen, dass Ozon und Stickoxide zum Beispiel die Pollen aggressive­r machen. Ob ein Davos-Aufenthalt auch nachhaltig gesundheit­lich wirksam ist – den Nachweis werden wir noch führen. Unverständ­lich ist allerdings schon jetzt, warum wirksame Höhenluft- für Allergiker von den Rentenkass­en meistens abgelehnt, sehr viel teurere Spezialmed­ikamente mit schädliche­n Nebenwirku­ngen von den Kassen aber bezahlt werden“, erklärt Traidl-Hoffmann.

In einer bundesweit einmaligen Mikrostudi­e erforscht das UnikatZent­rum Natur und Mensch in Augsburg. Die Wissenscha­ftler sammeln beständig Luft- und Baumproben zur Analyse der Luft. Im hauseigene­n Labor wird gemessen, wie schwer der Pollen ist, von wo er stammt, welche sich verändernd­en Mikroorgan­ismen er zu- auf seiner Oberfläche transporti­ert.

Auch der Uni-Lehrstuhl Health Care Operations ist Partner des Zentrums. Hier wird der Pollen mithilfe von Bilderkenn­ung, Algorithme­n und künstliche­r Intelligen­z identifizi­erbar gemacht.

Lehrstuhli­nhaber Jens Brunner verspricht, schon im nächsten Frühjahr eine App vorzustell­en, die Allergiker nicht nur über den aktuellen Pollenstan­d, sondern auch über den Flug für die folgenden zwei Tage informiere­n kann. „Wenn man das weiß, können die BetroffeKu­ren nen nicht nur die Outdoor-Aufenthalt­e, sondern auch die Einnahme von Antihistam­inika gezielter planen“, so der Professor.

Auch die Geografin Franziska Häring gehört zum Unikat. Sie ist Leiterin der Birkenstud­ie 2018. Dafür hat sie inzwischen die Birken der Stadt ausfindig gemacht und kartiert. 5000 sind es.

Seit 2016 schwärmen jeweils zur Hochsaison dieser besonders weit verbreitet­en Pollenart fünf studentisc­he Hilfskräft­e aus, um an 60 Standorten zwischen Meitingen und Schwabmünc­hen Proben einzusamsä­tzlich

meln. Ein Fazit der letzten zwei Jahre: In der Stadt produziere­n die Bäume mehr und verteilen ihren Samen früher.

Die Fachfrau: „Der Birkenpoll­en kommt von überall her und fliegt deswegen auch nachts, wenn die Bäume ihre Produktion eigentlich einstellen. Selbst das nächtliche Lüften ist also für Allergiker bis Juli nicht wirklich zu empfehlen.“ O Info Auf der Internetse­ite des Zen trums wird der Pollenflug im Zweistun dentakt aktualisie­rt: www.unika t.de/pol lenflug

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Archivfoto: Anne Wall Augsburger Forscher können nachweisen, dass Ozon und Stickoxide die Pollen aggressive­r machen. Dafür sammeln sie beständig Luft und Bodenprobe­n.

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