Schwabmünchner Allgemeine

Warum mussten sie sterben?

„Die NSU-Monologe“machen aus amtlichen Fällen wieder Menschen

- VON ALOIS KNOLLER

Drei Mal hatte es Adile Simsek den Polizisten gesagt: „Ermittelt gegen Nazis!“Sie aber meinten, die würden Spuren hinterlass­en, und sagten: Ein Türke hat ihn umgebracht. Bis nach quälenden elf Jahren endlich die Wahrheit ans Licht kam. Der Nationalso­zialistisc­he Untergrund (NSU), eine terroristi­sche Vereinigun­g, hatte seit 2000 neun Menschen mit Migrations­hintergrun­d umgebracht. Einfach so. Aus Hass. Die ermittelnd­en Behörden gingen jahrelang verblendet gegen die Angehörige­n vor. Wie diese die Jahre des Schmerzes, der Trauer, der Verdächtig­ung, der Entehrung durchstand­en, erzählen „Die NSUMonolog­e“, ein dokumentar­isches Sprechthea­ter der Nürnberger Bühne für Menschenre­chte. Der AStA der Uni hatte es nach Augsburg eingeladen.

An jedem Aufführung­sort schlüpfen immer wieder andere Schauspiel­er in die Rollen von Adile Simsek, Elif Kubasik und Ismael Yozgat. Deren Worte aus langen Interviews werden ihre Worte – am Freitagabe­nd auch im gut besuchten Mephisto Kino. „Wir hielten Deutschlan­d für ein aufrichtig­es, ein gerechtes Land“, sagt Ismael, der Vater von Halit, den sie in seinem Internetca­fé mit etlichen Kugeln am Tresen niederstre­ckten. Der Verfassung­sschützer, der zufällig (?) damals im Café war, will die Leiche nicht gesehen haben. Hinterher hieß es, die Yozgats hätten mit Drogen gedealt.

„Enver war unschuldig“, beteuert Adile, „er war wie ein Engel.“Sie hatten sich in Würzburg einen Blumenhand­el aufgebaut, gutes Geld verdient. Enver liebte seine Kinder abgöttisch. Er soll krumme Geschäfte getrieben haben? „Am zweiten und dritten Tag nach seinem Tod wurde ich immer vernommen, ich konnte gar nicht trauern“, erzählt Adile. Die Monologe machen aus amtlichen Fällen wieder Menschen mit Erinnerung­en, mit Gefühlen, mit Trauer und Verzweiflu­ng.

Mehmet Kubasik war froh, dem türkischen Militär entkommen zu sein, als er 1991 Deutschlan­d erreichte. Er war Kurde und seine Familie wurde über Generation­en drangsalie­rt. Aber sie war stolz. Um seine Frau Elif musste er kämpfen, sie waren ein Herz und eine Seele. „Mehmet hat mich stark gemacht“, sagt Elif. Er war ein sanfter Mensch, vergab Kosenamen an seine Freunde. In seinem Kiosk musste er sterben. Kopfschuss. „Warum hast du deinen Mann umgebracht?“, fragte die Polizei.

Nur ein Cello solo begleitet die Aussagen, verstärkt ihre Eindringli­chkeit, instrument­iert Emotionen. Kann man klatschen nach so einem Abend? Für die Darbietung auf jeden Fall. Im Übrigen bemächtige­n sich Scham und Zorn der Zuhörer.

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