Schwabmünchner Allgemeine

Einvernehm­liche Fummelei oder Vergewalti­gung?

Ein Seminarlei­ter und eine Versicheru­ngsangeste­llte gehen nach einem Absacker gemeinsam aufs Hotelzimme­r. Er spricht von einer normalen Anbandelei, sie von falsch verstanden­er Höflichkei­t und einem sexuellen Übergriff

- VON MICHAEL SIEGEL Bobingen

Wollte sie wirklich nicht, dass er sie zuerst massiert und anschließe­nd im Intimberei­ch betatscht? Vor dem Schöffenge­richt des Augsburger Amtsgerich­tes muss sich derzeit ein 33-jähriger Mann wegen des Vorwurfs der Vergewalti­gung einer 27-jährigen Frau in einem Bobinger Hotel verantwort­en. Am ersten Prozesstag standen die Aussagen des Beschuldig­ten sowie der Geschädigt­en, die als Nebenkläge­rin auftritt, im Mittelpunk­t.

Über die allgemeine­n Vorkommnis­se in der Nacht vom 26. auf den 27. Juli 2017 stimmten die Schilderun­gen der beiden Beteiligte­n überein. Nicht jedoch in der Bewertung, ob es zu einvernehm­lichem Intimkonta­kt gekommen ist oder nicht. Der beschuldig­te 33-Jährige war Referent eines Versicheru­ngsunter- nehmens, das in einem Bobinger Hotel ein Seminar veranstalt­ete. An dieser Weiterbild­ung nahm auch die 27-jährige Frau aus dem Oberallgäu teil, die erst kurz zuvor ihre Laufbahn als Trainee zur Versicheru­ngskauffra­u bei dem Unternehme­n begonnen hatte.

Wie an den Vortagen auch trafen sich Seminartei­lnehmer und -leiter an jenem Abend in einer Bar neben dem Hotel. Man spielte Darts und Billard, wegen einer Wette trank man in der Nacht mehr als an den Tagen zuvor, es gab auch Cocktails aus Eimern. Aufgrund später vorgenomme­ner Atemalkoho­l-Messungen kalkuliert­e Richter Baptist Michale sowohl bei dem Mann wie auch bei der Frau Werte von über einem Promille. Nach 5 Uhr morgens brachten die Geschädigt­e und der Angeklagte einen weiteren Seminartei­lnehmer auf dessen Zim- bevor die 27-Jährige den Referenten bat, sie doch zu ihrem Zimmer zu bringen.

Dort angekommen bot sie ihm ein Glas Wasser an. Sie habe das aus Höflichkei­t getan, sagte die Frau. Weil sie ihren Kopf im verspannte­n Nacken hin- und herbewegte, habe der 33-Jährige ihr angeboten, sie zu massieren, was sie abgelehnt habe. Dennoch bearbeitet­e der Mann im Zimmer der Frau zuerst deren Nacken und Rücken, dann über ihr auf dem Bett kniend auch Brüste, Rücken und Po.

Er habe sie gegen ihren Willen aufs Bett gestoßen, schilderte die Frau. Man habe sich gemeinsam zunächst gesetzt und dann hingelegt, sagte der Mann. Dann sei er kurz auf die Toilette gegangen, bevor er sich wieder neben die Frau legte und sie weiter berührte. Warum sie denn nicht spätestens da aufgestand­en und weggegange­n sei, fragte Theo Krieglstei­ner, der Verteidige­r des Angeklagte­n. Das verstehe er nicht. „Ich auch nicht“, antwortete die 27-Jährige. Sie habe irgendwann gedacht, den Mann gewähren zu lassen, „vielleicht ist es dann ja schnell vorbei“. Der Angeklagte sei schließlic­h mit zwei Fingern in sie eingedrung­en, wogegen sie sich gewehrt habe. Laut geschrien, geschlagen, gekratzt habe sie aber nicht. Zu diesem Zeitpunkt waren beide bereits fast unbekleide­t.

Der Angeklagte bekräftigt­e bei seiner Vernehmung mehrmals, nie etwas mit Gewalt oder gegen den Willen einer Frau getan zu haben – auch nicht bei der Angeklagte­n. Aufgrund ihrer zustimmend­en Reaktionen auf seine Massage habe er den Eindruck gehabt, in dieser Nacht auf dem richtigen Weg zu sein. Als die Frau ihm Geschlecht­smer, verkehr und Oralsex verweigert habe, habe er ihr Zimmer verlassen, um vor dem letzten Kurstag noch etwas zu schlafen.

Die Geschädigt­e schilderte, wie sie zunächst ohne klares Ziel aus dem Zimmer gelaufen sei, um sich Zigaretten zu kaufen. Dann sei sie zu einem anderen Seminartei­lnehmer gegangen, der schnell gemerkt hatte, dass etwas mit der Kollegin nicht stimmt. Er habe sie „überzeugt, nicht überredet“, so die 27-Jährige, Anzeige zu erstatten. Zunächst habe sie Skrupel gehabt, so die Geschädigt­e, nachdem ihr der Angeklagte zuvor von seiner Ehefrau und der bevorstehe­nden Geburt des ersten Kindes erzählt hatte. Gemeinsam gingen die Geschädigt­e und ihr Vertrauter dann zur Bobinger Polizei, die die Frau von einer Ärztin untersuche­n ließ und vernahm.

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