Einvernehmliche Fummelei oder Vergewaltigung?
Ein Seminarleiter und eine Versicherungsangestellte gehen nach einem Absacker gemeinsam aufs Hotelzimmer. Er spricht von einer normalen Anbandelei, sie von falsch verstandener Höflichkeit und einem sexuellen Übergriff
Wollte sie wirklich nicht, dass er sie zuerst massiert und anschließend im Intimbereich betatscht? Vor dem Schöffengericht des Augsburger Amtsgerichtes muss sich derzeit ein 33-jähriger Mann wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung einer 27-jährigen Frau in einem Bobinger Hotel verantworten. Am ersten Prozesstag standen die Aussagen des Beschuldigten sowie der Geschädigten, die als Nebenklägerin auftritt, im Mittelpunkt.
Über die allgemeinen Vorkommnisse in der Nacht vom 26. auf den 27. Juli 2017 stimmten die Schilderungen der beiden Beteiligten überein. Nicht jedoch in der Bewertung, ob es zu einvernehmlichem Intimkontakt gekommen ist oder nicht. Der beschuldigte 33-Jährige war Referent eines Versicherungsunter- nehmens, das in einem Bobinger Hotel ein Seminar veranstaltete. An dieser Weiterbildung nahm auch die 27-jährige Frau aus dem Oberallgäu teil, die erst kurz zuvor ihre Laufbahn als Trainee zur Versicherungskauffrau bei dem Unternehmen begonnen hatte.
Wie an den Vortagen auch trafen sich Seminarteilnehmer und -leiter an jenem Abend in einer Bar neben dem Hotel. Man spielte Darts und Billard, wegen einer Wette trank man in der Nacht mehr als an den Tagen zuvor, es gab auch Cocktails aus Eimern. Aufgrund später vorgenommener Atemalkohol-Messungen kalkulierte Richter Baptist Michale sowohl bei dem Mann wie auch bei der Frau Werte von über einem Promille. Nach 5 Uhr morgens brachten die Geschädigte und der Angeklagte einen weiteren Seminarteilnehmer auf dessen Zim- bevor die 27-Jährige den Referenten bat, sie doch zu ihrem Zimmer zu bringen.
Dort angekommen bot sie ihm ein Glas Wasser an. Sie habe das aus Höflichkeit getan, sagte die Frau. Weil sie ihren Kopf im verspannten Nacken hin- und herbewegte, habe der 33-Jährige ihr angeboten, sie zu massieren, was sie abgelehnt habe. Dennoch bearbeitete der Mann im Zimmer der Frau zuerst deren Nacken und Rücken, dann über ihr auf dem Bett kniend auch Brüste, Rücken und Po.
Er habe sie gegen ihren Willen aufs Bett gestoßen, schilderte die Frau. Man habe sich gemeinsam zunächst gesetzt und dann hingelegt, sagte der Mann. Dann sei er kurz auf die Toilette gegangen, bevor er sich wieder neben die Frau legte und sie weiter berührte. Warum sie denn nicht spätestens da aufgestanden und weggegangen sei, fragte Theo Krieglsteiner, der Verteidiger des Angeklagten. Das verstehe er nicht. „Ich auch nicht“, antwortete die 27-Jährige. Sie habe irgendwann gedacht, den Mann gewähren zu lassen, „vielleicht ist es dann ja schnell vorbei“. Der Angeklagte sei schließlich mit zwei Fingern in sie eingedrungen, wogegen sie sich gewehrt habe. Laut geschrien, geschlagen, gekratzt habe sie aber nicht. Zu diesem Zeitpunkt waren beide bereits fast unbekleidet.
Der Angeklagte bekräftigte bei seiner Vernehmung mehrmals, nie etwas mit Gewalt oder gegen den Willen einer Frau getan zu haben – auch nicht bei der Angeklagten. Aufgrund ihrer zustimmenden Reaktionen auf seine Massage habe er den Eindruck gehabt, in dieser Nacht auf dem richtigen Weg zu sein. Als die Frau ihm Geschlechtsmer, verkehr und Oralsex verweigert habe, habe er ihr Zimmer verlassen, um vor dem letzten Kurstag noch etwas zu schlafen.
Die Geschädigte schilderte, wie sie zunächst ohne klares Ziel aus dem Zimmer gelaufen sei, um sich Zigaretten zu kaufen. Dann sei sie zu einem anderen Seminarteilnehmer gegangen, der schnell gemerkt hatte, dass etwas mit der Kollegin nicht stimmt. Er habe sie „überzeugt, nicht überredet“, so die 27-Jährige, Anzeige zu erstatten. Zunächst habe sie Skrupel gehabt, so die Geschädigte, nachdem ihr der Angeklagte zuvor von seiner Ehefrau und der bevorstehenden Geburt des ersten Kindes erzählt hatte. Gemeinsam gingen die Geschädigte und ihr Vertrauter dann zur Bobinger Polizei, die die Frau von einer Ärztin untersuchen ließ und vernahm.