Oper aus dem Konzentrationslager
Frank Castorf und Aleksandar Denic setzen Janácˇeks Oper „Aus einem Totenhaus“in Szene. Sie zeigen alle neun Höllenkreise und ihre Qualen
München Dass ihm und seinem Bühnenbildner Aleksandar Denic nichts einfallen könnte zur szenischen Aufbereitung eines Stücks, diese Gefahr ist ausgeschlossen. Dennoch scheint Frank Castorf regelmäßig der horror
vacui zu plagen – die Angst vor weißen Stellen in seinen Inszenierungen. Und so schießen denn die Ideen mitunter ins Kraut, mehr beim Schauspiel, deutlich genug aber jetzt auch in Leosˇ Janácˇeks Oper „Aus einem Totenhaus“, mit der das Berliner Enfant terrible sein Regiedebüt am Nationaltheater München gab.
Das „Totenhaus“steht in seinem Geschehen quer zur Gattung Oper: Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“zeigt zwar im Finale einen Menschenzug von Verurteilten in ein zaristisches Straflager; Janácˇek aber bringt das perfide Treiben in solch einem Straflager selbst auf die Bühne – weniger als Handlung denn als Abfolge einzelner Auseinandersetzungen eines Kollektivdramas. Eingebaut darin: die Tatschilderungen dreier Mörder, sich ihre Schuld gleichwohl nicht von der Seele reden/schreien/singen können.
Wie in ihrer fulminanten Bayreuther „Rheingold“-Inszenierung 2013 arrangieren Castorf/Denic auch nun für das „Totenhaus“, das sie zu einer dreckstarrenden Mischarchitektur aus Konzentrationslagerzaun, Wachturm, russischem Landsitz mit Kaninchenstall und orthodoxer Zwiebelkuppel anregte, ein Simultanspiel zwischen den vorgegebenen Geschehnissen des Librettos und plausiblen, aber erfundenen Geschehnissen gleichsam aus dem Inneren und dem Unterleib des Konzentrationslagers, live gefilmt und übertragen auf zwei große Screens der Nationaltheater-Bühne.
Der Zuschauer erblickt die „offiziellen“Szenen aus dem „Totenhaus“, ergänzt um „inoffizielle“Szenen plus historische Film-Einblendungen plus Text-Einblendungen unter anderem aus Werken Dostojewskis, auf dessen „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“das Libretto ja zurückgeht.
Das Auge also ist mehr als gut be- schäftigt – und das angeschlossene Hirn ebenfalls, zumal auch noch auf Spanisch aus dem Lukas-Evangelium berichtet wird und Anklänge an Leo Trotzkis schwerbewachtes Mexiko-Exil gesucht wurden. Solch eine stampfende Assoziationsmaschinerie kann schon überfordern, selbst den, der „Totenhaus“Opernerfahrung mitbringt.
Gleichzeitig gilt aber auch: Der Suggestionskraft dieser Inszenierung, die quasi neun Höllenkreise mit ihren Qualen gleichzeitig vorführt, kann man sich kaum entziehen. So bleibt das Publikum im gedanklich überfrachteten Anspruch des Produktionsteams einerseits unter erheblichen Auflagen verhaftet – als es andererseits szenisch auch gepackt und entführt wird. Eine ambivalente Situation – bis zum Schluss, da der Strafgefangene Petrovicˇ (Pedie ter Rose) überraschend aus dem KZ entlassen wird und ihm dabei, aus welchen unerfindlichen Gründen auch immer (Haftentschädigung? Willkommensgruß der Spaßgesellschaft?), eine giftgrüne AdidasTrainingsjacke aus einer Luxus-Papiereinkaufstasche überreicht wird.
Musikalisch hat der Abend vor allem Meriten wegen der drei Mörder, die hier unter vokaler Verausgabung ihre Taten schildern: Alesˇ Briscein als Luka, Charles Workman als Skuratov, Bo Skovhus als Siskov. Aber auch der in tschechischer Sprache singende Chor (Einstudierung: Sören Eckhoff) und das Bayerische Staatsorchester nahmen für sich ein: Die hymnischen Momente dieses düster-grausamen Musiktheaters erhielten unter der Dirigentin Simone Young ein vergleichsweise großes Gewicht – getreu dem Motto dieser Janácˇek-Partitur: „In jeder Kreatur ein Funke Gottes!“
Das Publikum wird sowohl verhaftet als auch gepackt und entführt
O Nächste Aufführungen 26., 30. Mai, 3., 5., 8. Juni, 30. Juli, dann wieder im Oktober