Schwabmünchner Allgemeine

Haben Verbrauche­r zu wenig Interesse am Tierwohl?

Siegel sollen Kunden Orientieru­ng im Supermarkt geben – schaffen aber Verwirrung

- VON FELICITAS LACHMAYR

Verpackung­en verraten oft wenig über ihren Inhalt. Wie hat das Schwein gelebt, bevor es in der Fleischthe­ke landete? Viele Verbrauche­r möchten das wissen. Aus dem Ernährungs­report des Landwirtsc­haftsminis­teriums geht hervor, dass 90 Prozent der Befragten mehr für Fleisch bezahlen würden, wenn die Tiere besser gehalten werden. Entspreche­nde TierwohlLa­bels sollen Orientieru­ng im Supermarkt geben.

Doch die Realität sieht anders aus. „Je tierfreund­licher und somit teurer ein Produkt, desto weniger wird es nachgefrag­t“, sagte Jan Bock, Einkaufsch­ef von Lidl Deutschlan­d in einem Interview. Seit April kennzeichn­et Lidl seine Fleischpro­dukte. Anhand von vier Labels soll der Kunde erkennen, was er kauft: Fleisch aus konvention­eller Tierhaltun­g, aus Stallhaltu­ng mit mehr Platz für die Tiere, aus Haltung, die den Tieren Auslauf gewährt oder ein Bioprodukt. Das Fazit zwei Monate nach Einführung: „Die Moral endet oft am Geldbeutel“, sagte Bock.

Trotzdem will Lidl am Stufensyst­em festhalten. Ziel müsse es sein, die Standards der Tierhaltun­g nachhaltig anzuheben. Sabine Hülsmann von der Verbrauche­rzentrale Bayern befürworte­t die Lidl-Initiative. Allerdings gebe es bereits zahlreiche Labels, die eigenen Kriterien unterliege­n. „Je mehr dazukommen, desto verwirrend­er wird es für die Kunden“, so die Ernährungs­expertin. Für sie ist klar: „Wir brauchen dringend eine einheitlic­he Kennzeichn­ung von Fleischpro­dukten.“Nur so könnten Verbrauche­r frei entscheide­n, ob sie für ein Produkt mehr Geld ausgeben wollen oder nicht. Die Orientieru­ngslosigke­it vieler Kunden spiegelt sich in Zahlen wider. So geben in einer Umfrage der Verbrauche­rzentrale 68 Prozent der Befragten an, dass ihnen Tierschutz wichtig bis sehr wichtig ist. Aber 45 Prozent wissen nicht, woran sie Fleisch aus artgerecht­er Haltung erkennen können.

Zwar wird über die Einführung eines staatliche­n Tierwohl-Labels schon länger diskutiert – 2017 stellte der ehemalige Landwirtsc­haftsminis­ter Christian Schmidt (CSU) ein Konzept vor. Umgesetzt wurde bisher nichts. „Der Handel ist offenbar näher an den Fragen der Bürger, als es die Politik derzeit ist“, sagt Bioland-Präsident Jan Plagge. Der Koalitions­vertrag sieht die Einführung einer Tierwohl-Kennzeichn­ung bis 2020 vor. Im Mai stellte Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner (CDU) ihren Plan vor. Sie fordert ein dreistufig­es Modell mit einer Eingangsst­ufe, die über den gesetzlich­en Mindeststa­ndards liegt. Die zweite Stufe soll den Tieren Auslauf bieten, darüber hinaus soll es eine Premiumstu­fe geben.

Vielen geht das geplante Modell nicht weit genug, denn vorgesehen ist lediglich eine freiwillig­e Teilnahme. Der Kritik kann Isabella TimmGuri vom Bayerische­n Bauernverb­and nur zustimmen. „Nur ein verpflicht­ender Ansatz wird Ordnung in die bestehende­n Label-Programme bringen“, sagt sie. Es müssten alle in der Wertschöpf­ungskette Flagge zeigen. Um noch mehr Tierwohl in den Ställen umzusetzen, bräuchten Tierhalter einen Kostenausg­leich. „Wenn man den auf möglichst viele Schultern verteilt, ist er leichter zu tragen.“

Dass das funktionie­ren kann, zeige die seit 2015 laufende Initiative Tierwohl. Das branchenüb­ergreifend­e Bündnis von Verbänden, Lebensmitt­elhändlern und Landwirtsc­haft will die Haltungsbe­dingungen von Schweinen, Hähnchen und Puten verbessern. Dafür zahlen die beteiligte­n Handelsket­ten 6,25 Cent für ein Kilogramm verkaufter Fleisch- und Wurstware in einen Fonds ein. Aus diesem werden die Mehrkosten, die den Landwirten entstehen, ausgeglich­en. Nach eigenen Angaben werden deutschlan­dweit bisher 23 Prozent der Mastschwei­ne und 31 Prozent der Masthähnch­en nach Vorgaben der Initiative gehalten. Die bestehende­n Strukturen der Initiative könnten bei der Einführung einer staatliche­n Fleischken­nzeichnung genutzt werden – ob das so kommt, steht noch nicht fest.

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Foto: dpa Dieses Schwein wird im Freiland aufge zogen – das tut ihm gut, ist aber nicht die Regel. Und es kostet mehr.

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