Goodbye America!
Vor 20 Jahren verabschiedeten sich die US-Soldaten aus Augsburg. Sie prägten über fünf Jahrzehnte das Leben in der Stadt. Eine Geschichte über Krieg, Vorurteile, rauschende Feste und die große Liebe
Aus. Amerika verschwand. Der 19. Juni 1998 beendete das Leben, das Gisela und Harry Mayo in den Jahren zuvor so genossen hatten. „Es war sehr traurig für uns“, sagt die heute 63-Jährige. Tränen flossen. Um 23.05 Uhr war an jenem Junitag die amerikanische Flagge im Rosenaustadion eingeholt worden. Tausende Zuschauer erlebten den symbolischen Schlussakt eines mehr als 50 Jahre langen Abschnitts der Stadtgeschichte. Die US-Soldaten zogen ab. Die Mayos – sie Deutsche, er Amerikaner – verloren den „American Way of Life“. Das Stück Amerika in Augsburg war Geschichte und damit auch der US-Supermarkt, der Dollar und der Offiziersclub, in dem sich das Paar Jahre zuvor kennengelernt hatte. Der Juniabend war der Abschluss der amerikanischen Ära, die am Morgen des 28. April 1945 begonnen hatte.
In Augsburg endete der Zweite Weltkrieg nach jahrelangem Töten ohne Blutvergießen. Mutige Bürger regelten mit den US-Soldaten die friedliche Übergabe der vom Krieg gezeichneten Stadt. Ein berühmtes Foto zeigt GIs, die im Schutz von Panzern an der Domkurve entlang ins Zentrum einziehen. Weiße Tücher signalisieren: Wir leisten keine Gegenwehr. Der Krieg war vorbei, es begann ein neues Zeitalter, von dem keiner so recht wusste, wie es aussehen würde.
Die US-Soldaten hatten Broschüren dabei, die sie auf die Deutschen vorbereiten sollten. Sie warnten vor einer Fraternisierung, anfangs war die Verbrüderung sogar verboten. Alles vergeblich, wie Edith Kaim im Buch „Augsburg und Amerika“schreibt. Kaugummis und Schokolade waren heiß begehrt, man war sich ähnlicher als gedacht und auch die schriftliche Erinnerung an deutsche Massenmorde und Gräueltaten konnte die Annäherung kaum stoppen. Auch wenn die Deutschen laut Kaim vor „Anbiederung“warnten und die Amerikaner öffentliches Händchenhalten als geschmacklos abstempelten – auch Frau und Mann fanden schnell zusammen. Fünf Jahrzehnte später, als die Amerikaner gingen, fasste das unsere Zeitung so zusammen: „Sie kamen als Besatzer, sie gingen als gute Freunde.“Ein wahrer Satz, doch der Weg dorthin war nicht ohne Kurven.
aller Ähnlichkeit gab es auch Konflikte, sagt Georg Feuerer vom Verein Amerika in Augsburg: „Es prallten zwei Lebenswelten aufeinander.“Hier die Deutschen, gezeichnet vom selbst begonnenen Krieg, dort die Sieger und Befreier (was nicht jeder so sah), denen es an nichts zu fehlen schien. Direkt nach dem Krieg sorgten zum Beispiel von den Amerikanern beschlagnahmte Gebäude für Ärger. Erst Mitte der 50er-Jahre hatten alle Augsburger ihre eigenen vier Wände wieder. Parallel bauten die Amerikaner ihre Präsenz aus. Sie übernahmen nicht nur ehemalige Kasernen der Wehrmacht im Westen der Stadt, sondern bauten auch Wohnungen. „Little America“, das kleine Amerika, entstand. Wie groß es war, kann Heinz Strüber erzählen.
Er kümmerte sich 17 Jahre lang als Zivilangestellter um den Bauunterhalt der Gebäude der US-Armee. „Wir waren für 2000 Wohnungen und 500 Gebäude zuständig“, sagt Strüber, der in Stadtbergen lebt. der Soldatenwohnung bis zu den Offiziersunterkünften im Fryar-Circle in Leitershofen war alles dabei; ebenso von der Halle für Panzer bis hin zur Abhöranlage in Gablingen. Heinz Strüber war auch dort – nach vielen Kontrollen, in ständiger Begleitung und: „Wenn die Tür zu einem Raum offen war, hatten sie dort alles mit Tüchern abgedeckt.“Das Zentrum der US-Präsenz lag aber im Westen von Augsburg.
Dort schlug das Herz einer amerikanischen Kleinstadt mit geschätzt bis zu 30 000 Bewohnern – mehr als ein Zehntel der Augsburger. Exakte Zahlen gibt es nicht. Der militärische Teil war offensichtlich: Es waren Kämpfer vor Ort mit Panzern und Kanonen. Aber auch Nachrichtendienstler wie Keith Alexander, der später während der NSA-Abhöraffäre Chef des US-Geheimdienstes war. „Little America“hatte aber noch viel mehr zu bieten – alles von der Schule bis zum PX-Supermarkt voller US-Waren. Heinz Strüber sagt: „Du bist zum SchlagTrotz baum rein und warst in Amerika.“Selbst die Cola war „made in USA“. Im Jahr 1986 bekam Gisela Mayo eine Einladung ins kleine Amerika.
Eine Freundin schrieb sie auf die Gästeliste des Offizierskasinos in der Sheridan-Kaserne. Dort traf sie Harry, der im gleichen Jahr seinen Job als Zivilangestellter der US-Armee in Augsburg angetreten hatte. Er betreute die Computersysteme im amerikanischen Krankenhaus in der Flak-Kaserne – ganz in der Nähe des heutigen Klinikums. Es begann eine tolle Zeit. Sie liebten das Leben im deutsch-amerikanischen Augsburg. Im Jahr 1989 heirateten sie. Auch jenseits der Liebe kamen sich Deutsche und Amerikaner über die Jahrzehnte näher. Man feierte gemeinsame Volksfeste, traf sich am Tag der offenen Tür und schickte im Notfall den amerikanischen Rettungshubschrauber zum Unfall. Die Armee wurde zum Wirtschaftsfaktor. Allein in Strübers 17 Jahren flossen 750 Millionen D-Mark (380 Mio. Euro) in die USVon Gebäude – und damit an Bauunternehmer. US-Soldaten gingen einkaufen – wenn der Dollar nicht gerade im Tal war – oder feierten rauschende Nächte in längst verschwunden Kneipen wie der „Last Chance“. Schlugen sie über die Stränge, rückten Militärpolizei (MP) und Polizei an. Die MP stand im Ruf, nicht zimperlich zu Werke zu gehen. Ärger, sagt der ehemalige Polizeichef Walter Böhm, gab es vor allem, wenn Soldaten aus Kriegseinsätzen zurückkamen.
Er wurde in den 1980er-Jahren der Vizechef der damaligen Direktion Augsburg. Wöchentlich traf man sich mit den Amerikanern zu Gesprächen, in Krisenzeiten auch häufiger. Waren US-Soldaten im Krieg, stockte die Polizei die Bewachung der Wohngebiete auf. Gleichzeitig gab Böhm Beschwerden weiter, etwa über laute Ausfahrten der USPanzer aus den Kasernen. Er erinnert sich gerne an die „gute Zusammenarbeit“, weiß aber, dass noch heute im Zusammenhang mit einer ungeklärten Serie an Frauenmorden über mögliche amerikanische Täter spekuliert wird. Auch zu seiner Zeit, sagt er, wurde intensiv ermittelt. „Aber wir können nicht sagen, dass es Amerikaner waren.“Das Rätsel hat die amerikanischen Jahrzehnte überdauert.
In den 90er-Jahren bahnte sich der Abzug an. Heinz Strüber erhielt 1992 einen Karton mit Kündigungen – auch seine eigene. Er ging zur Stadt. Harry Mayo, der heute in Augsburg lebt, ist überzeugt, dass ein Teil von „Little America“erhalten hätte werden können. Ein USVerantwortlicher habe aber „Alles oder nichts“gespielt. Es blieb nichts. Der Zapfenstreich am 19. Juni 1998 markierte den offiziellen Schlusspunkt – und den Start eines gigantischen Stadtumbaus.
Augsburg trieb die Konversion der riesigen Militärflächen im Westen voran. Reese und Sheridan stehen heute nicht mehr für Militär, sondern für Wohnen und Gewerbe. Tausende Augsburger haben dort eine neue Heimat gefunden; allein im Sheridan-Areal sind es mehr als 2000. Die Entwicklung lief schneller als erwartet. Ehemalige Soldatenwohnungen nahe der Bürgermeister-Ackermann-Straße kamen auf den freien Markt. Andere Gebäude wurden abgerissen. Für Menschen wie Heinz Strüber oder die Mayos war es eine bittere Zeit. „Ich konnte manchmal gar nicht hinsehen“, sagt Strüber. Der Großteil der einst von ihm betreuten Gebäude ist verschwunden. Seit 2005 versucht der Verein „Amerika in Augsburg“zu retten, was zu retten ist – von Dokumenten über Fotos bis hin zu alten Schreibmaschinen. Er pflegt auch Kontakte mit Ex-Soldaten. Die Idee, im noch stehenden Gebäude 116 an die Zeit der Amerikaner und die Nutzung des Hauses als Zwangsarbeiterunterkunft unter den Nationalsozialisten zu erinnern, ist immer noch im Diskussionsstadium. So muss man selbst nach amerikanischen Spuren suchen, wenn man etwa den Sheridan-Park genießt.
Ein Mann, 80 Jahre alt, führt seinen Hund dort Gassi. Er hat die Amerikaner und den Umbau erlebt. Aber er sagt: „90 Prozent der Menschen sind doch keine Augsburger. Die wissen das nicht mehr.“