Zwischen Fußball und Militärdienst
In der Partie gegen Deutschland steht für Tottenham-Star Heung-Min Son auch die Karriere auf dem Spiel. Ein Thema, das ihn belastet, und worüber er nur ungern spricht
Eigentlich ist so eine Weltmeisterschaft für jeden Fußballer der große Jahreshöhepunkt. Der Moment, der Karrieren neue Richtungen geben kann, in dem Helden geboren werden, und selbstverständlich misst auch Heung-Min Son dem Turnier in Russland eine große Bedeutung zu. Der für die Lebensplanung des Angreifers noch wichtigere Wettbewerb steht jedoch erst im August an – zumindest wenn Son mit seinen Südkoreanern nicht am heutigen Nachmittag Deutschland besiegt, durch eine günstige Tabellenkonstellation ins Achtelfinale einzieht und anschließend noch einige Runden weiter kommt.
In Korea muss nämlich jeder Mann vor dem vollendeten 28. Lebensjahr einen 21-monatigen Militärdienst absolvieren, Ausnahmen sind nur für Sportler möglich, die ihrem Land bei internationalen Großveranstaltungen zu Ruhm und Ehre verholfen haben. Spieler, die 2002 ins WM-Halbfinale einzogen, wurden von der Pflicht befreit, Athleten, die große Titel gewannen. Bei den Asienspielen im August kann Son das schaffen, wenn nicht, müsste der 25-Jährige seine Karriere womöglich unterbrechen und seine besten Fußballerjahre unter militärischem Drill in einer Kaserne verbringen.
„Über dieses Thema spreche ich sehr ungern“, wird Son in einem zur WM erschienenen Porträt im TimeMagazin zitiert, es ist ein heikler Punkt. Ein Schatten über der Zukunft, der Einfluss auf seinen Marktwert hat, auf seine Verhandlungsposition, wenn es um seinen nächsten Vertrag geht. Denn wenn Berühmtheiten ihre Wehrpflicht umgehen wollen, drohen Skandale von nationalem Ausmaß. Wie ernst die Sache ist, zeigt das Beispiel des Popstars Steve Yoo, der dem Militärdienst entkam, indem er Bürger der USA wurde. Seither darf der Musiker nicht mehr nach Südkorea einreisen.
Es wäre ein einmaliger Vorgang, wenn ein Spieler dieser Qualität tatsächlich durch das Militär von seinem Sport abgehalten wird, schließlich hat sich der ehemalige Bundesligastürmer bei Tottenham Hotspur zum wahrscheinlich besten asiatischen Fußballer aller Zeiten entwi- ckelt. 18 Tore und sechs Torvorbereitungen hat er wettbewerbsübergreifend in der vorigen Saison zum Erfolg von Tottenham Hotspur beigetragen. Insgesamt sind ihm in sei- nen 90 Premier League-Partien 30 Treffer gelungen, 13 weitere hat er aufgelegt, ein Spitzenwert für einen Flügelstürmer. Wobei diese hervorragenden Statistiken in Sons Fall schnell mal übersehen werden. „Er hat das gleiche Problem wie die Spieler, die zwar viel Anerkennung verdienen, die aber neben Cristiano Ronaldo spielen“, sagt sein Klubtrainer Mauricio Pochettino, „bei uns bekommt Harry Kane die dicken Schlagzeilen.“Doch in Korea ist Son ein Superstar.
Mehrfach wurden ihm Dates mit irgendwelchen Sternchen aus dem Showbusiness nachgesagt, sobald er irgendwo in Seoul auftaucht, bricht Chaos aus. Dafür kann er in Europa einigermaßen unbehelligt durch die Straßen laufen, „wenn die Leute mich sehen, denken sie: Ein Asiate halt, die sehen sowieso alle gleich aus“, hat der Dribbelkünstler einmal erzählt.
Son ist eines dieser Wunderkinder, die vom Ehrgeiz eines unerbittlichen Vaters geformt wurden. „Früher war das schon sehr schlimm“hat Son einmal gesagt, „mein Vater hat selbst Fußball gespielt, und er hat es nicht so richtig geschafft, er wollte, dass ich es besser mache, deshalb hat er mich sehr viel kritisiert.“Mit eiserner Disziplin wurde an Technik und Physis gefeilt. Zugleich ist er seinem Mentor sehr dankbar: „Ohne meinen Vater wäre ich nicht der Spieler geworden, der ich heute bin“, sagt er. Mit 16 wurde der talentierte Junge im Jungendinternat des Hamburger SV untergebracht, das war ein Kulturschock, aber der Teenager biss sich durch, ging nach Leverkusen, von wo er 2016 für 30 Millionen Euro nach London verkauft wurde. Nach einem Streik, mit dem er den Transfer erzwang. „Ich bin sehr enttäuscht von ihm, geschockt und überrascht“, sagte Bayer-Stürmer Stefan Kießling damals über das plötzliche Verschwinden des Kollegen.
Auch diese Aktion schreiben sie in Leverkusen dem Vater zu, denn eigentlich erobert Son überall, wo er hinkommt, die Herzen. Die Tottenham-Anhänger singen den BeatlesSong „Here comes the Sun“, wenn sie ihren Spieler feiern. Wenn Son mit seinen Koreanern Deutschland aus dem Turnier befördern würde, würde ihm das in England sicher noch einmal neue Anerkennung bescheren, nur für das Problem mit dem Militärdienst werden wohl noch ein paar andere Heldentaten nötig sein.