Der seltsame Fall des Thomas S.
Er war ein erfolgreicher Versicherungsmakler, bekannt in der Stadt und CSU-Intimus. Dann schrieb er in Reichsbürger-Manier an den Oberbürgermeister und betrog die Sparkasse. Am Ende geht aber sein Wunsch in Erfüllung
Thomas S., 41, hat acht Monate in Untersuchungshaft gesessen – zwei Monate in einem italienischen Gefängnis, sechs Monate in Gablingen. Der ehemalige erfolgreiche Versicherungsmakler, Intimus der CSU, Stifter des City-Preises und einst enger Bekannter von Oberbürgermeister Gribl, kann seine Emotionen am Ende nicht mehr verbergen. In seinem „letzten Wort“als Angeklagter bricht Thomas S. in Tränen aus: „Ich möchte zu meiner Familie zurück“, schluchzt er.
Seine Familie, das sind Frau und seine kleine Tochter, die auf Mallorca leben. Das Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Thomas Müller-Froelich erfüllt ihm seinen Wunsch. Am Donnerstagmittag, kurz vor 13 Uhr, kommt er frei. Das Gericht hat ihn soeben wegen Betrugs und versuchter Nötigung zu einer Bewährungsstrafe von 22 Monaten verurteilt.
Die letzten Jahre im Leben des ehemaligen Versicherungsmanagers sind gekennzeichnet von einem gesellschaftlichen Abstieg und einer fast unerklärlichen Nähe zu der sogenannten Reichsbürger-Bewegung. Nachdem er sich von dem Versicherungsunternehmen getrennt hatte, mit dem er seitdem in einem juristischen Clinch liegt, zog Thomas S. mit seiner Familie nach Mallorca, wo seine Frau als Heilerin arbeitete. Die Stadtsparkasse hatte ihm Kredite gewährt, die sich mit Zinsen zuletzt auf rund 100 000 Euro beliefen. Er soll, so der Vorwurf von Staatsanwältin Andrea Hobert, der Sparkasse unrichtige Angaben zu seiner Vermögenssituation gemacht haben. Unter anderem, dass er eine hohe Abfindung der Versicherung erwarte. Im Februar 2016, als er offenbar bereits im Bann der Reichsbürger stand, schrieb er der Stadtsparkasse einen Brief. Er behauptete ganz im Stil der seltsamen Bewegung, er sei „kein Rechtsobjekt der Bundesrepublik Deutschland“und habe deshalb keine Verpflichtungen mehr gegenüber dem Kreditinstitut. Ebenfalls in Reichsbürger-Manier sandte er im April 2017 ein Fax an Oberbürgermeister Kurt Gribl.
Er forderte ihn auf, seine im November 2012 geschlossene Ehe, bei der Gribl Trauzeuge war, zu annullieren. Der OB müsse sonst für alle Folgen mit seinem Privatvermögen haften. Gribl übergab das Fax den Ermittlungsbehörden, die Thomas S. deshalb nun auch wegen versuchter Nötigung anklagten. Seit August 2017 war nach dem Versicherungsmakler mit einem europäischen Haftbefehl gefahndet worden. Im November klickten dann auf einem Campingplatz am Gardasee die Handschellen. Ende Januar dieses Jahres wurde er nach Deutschland ausgeliefert.
Am späten Donnerstagvormittag wird Thomas S. in Handschellen zum Prozess geführt. Er trägt einen dunklen Anzug und ein weißes Hemd mit offenem Kragen. Sein Haar ist schütter. Er verhält sich still. Seine beiden Verteidiger Werner Ruisinger und Bernhard Hannemann bitten das Gericht und Staatsanwältin Hobert um ein Gespräch hinter verschlossenen Türen, um das Verfahren zu vereinfachen. Es dauert über eine Stunde. Dann geht alles relativ schnell.
Das Gericht verzichtet auf Zeugen. Verteidiger Ruisinger gibt eine Erklärung ab. Sein Mandant räume alle Vorwürfe ein mit der einzigen Änderung, dass sich der Schaden für die Stadtsparkasse maximal auf 60000 Euro belaufe. Thomas S., so sagt Ruisinger später im Plädoyer, habe „unheimlich unter der Haft gelitten“. In Italien sei er sich vorgekommen wie ein „Terrorist oder Bankräuber“. Bei der Fahrt ins Gefängnis habe die Polizei sogar Straßen gesperrt. Der Angeklagte distanziere sich inzwischen ganz klar von der Reichsbürger-Bewegung. Er sei nach der Lektüre eines Buches in dieses Gedankengut geraten, habe sich zu dieser Zeit in einer Lebenskrise befunden. Das Fax an den OB bedauere der Angeklagte sehr. Inzwischen habe Gribl, so der Anwalt, kein Interesse mehr an einer Strafverfolgung.
In seinem „letzten Wort“nennt Thomas S. seine Zukunftspläne. Er wolle sich auf Mallorca mit seiner Frau eine neue Existenz aufbauen, ein kleines Aparthotel mit acht Zimmern betreiben.
Dass Thomas S. am Ende mit einer Bewährungsstrafe davonkommt und wieder ein freier Mann ist, hat er nicht nur seinem Geständnis, seiner bislang „weißen Weste“und seinem Verhalten vor Gericht zu verdanken. Er hat der Stadtsparkasse inzwischen auch seine Schulden in Höhe von 100 000 Euro beglichen – mit Geld, das er sich von einem Bekannten geliehen hat.
Im Urteil weist das Gericht daraufhin, dass der strafrechtliche Schaden nur zwischen 40000 und 60000 Euro liegt. Ein alter Kredit und die Zinsen werden nicht berücksichtigt. Als Bewährungsauflage muss der Angeklagte noch 2000 Euro an einem Verein zahlen, der sich um Menschen mit Down-Syndrom kümmert. Erleichtert nimmt Thomas S. am Ende des Prozesses seine Mutter und seine Schwester in die Arme.