Als Musik noch aus der Holzkiste kam
Wolfgang Hafner sammelt in Bobingen mechanische Musikinstrumente und stellt sie in der Siedlung aus. Im Grunde seien es mechanische Vorläufer heutiger Musikplayer: Mit Speicher samt digitalem Prinzip
Wenn Wolfgang Hafner Musik hören möchte, dann wird daraus ein richtiges Ritual. Aus einem großen Regal holt er eine stabile Holzkiste, öffnet den Deckel, legt eine runde Metallscheibe auf und dreht kräftig an einer Kurbel. Dann klingt eine glockenartige Melodie durchs Zimmer, in dem man sich vor lauter Instrumenten kaum noch umdrehen kann.
Seit zwei Jahrzehnten sammelt der 65-jährige Bobinger mechanische oder selbst spielende Musikinstrumente; einen Teil davon will er nach den Sommerferien im Quartierstreff in der Siedlung ausstellen und den Besuchern auch vorführen.
Hafners Hobby ist nicht gerade preiswert, denn seine historischen Sammlerstücke hat er im Lauf vieler Jahre aus aller Welt zusammengetragen und von Fachleuten wieder instand setzen lassen. „Einige Tausend Euro kann man schon für eine Lochplatten- oder Walzenspieldose hinblättern“, erzählt er. „In Rüdesheim am Rhein gibt es sogar ein Museum mit etwa 350 selbst spielenden Instrumenten aus drei Jahrhunderten.“Klingende Möbelstücke und Spieldosen gehörten gegen Ende des
„Solche Automaten waren früher bei wohlhabenden Käufern außerordentlich beliebt und fanden reißenden Absatz.“Wolfgang Hafner
19. Jahrhunderts zum guten Ton: Schränke, Standuhren und Schatullen enthielten eigene Regalfächer mit gelochten Platten aus Pappe oder Metall.
Der Vater des ehemaligen Bankkaufmanns war ein guter Zitherspieler. „Vielleicht kommt meine Musikbegeisterung daher“, stellt er fest. Seine erste Spieluhr hat er vor zwei Jahrzehnten bei einer Auktion im Pfandhaus erstanden. „Ihre Reparatur war doppelt so teuer wie der Kaufpreis!“
Etwas ganz Besonderes unter Hafners zahlreichen Schätzen ist eine Singvogeldose. Betätigt man den Mechanismus der kleinen Schatulle, so öffnet sich der ovale Deckel, und ein winziger Vogel erscheint, der zwitschert, den Schnabel bewegt und mit den Flügeln flattert. „Solche Automaten waren früher bei wohlhabenden Käufern außerordentlich beliebt und fanden reißenden Absatz“, weiß der Bobinger, „sie wurden in kostbare Goldund Silbergehäuse und Schnupftabakdosen eingesetzt.“
Die ältesten noch funktionierenden mechanischen Musikinstrumente stammen aus dem 14. Jahrhundert. Seitdem wurden Uhrwerke von Domen und Rathäusern mit Glockenspielen ausgestattet. „Wäh- rend Kirchenglocken weithin hörbar einer breiten Öffentlichkeit zugänglich waren, erfreuten Musikautomaten reiche Adelige im privaten Rahmen“, erzählt der Sammler. So auch im Augsburg des 17. Jahrhunderts, wo die Instrumente ihre erste Blüte erlebten. Meist für Adelige schufen Uhrmacher, Tischler, Mechaniker, Orgel- und Spinettbauer aufwendige und teure Kunstwerke mit selbst spielenden Musikinstrumenten.
„Eines meiner Lieblingslieder ist ,La Paloma‘“, sagt Hafner, „danach habe ich fast zwei Jahre lang gesucht!“Er holt eine große Metallscheibe mit gezackten Löchern – ein Vorläufer des Vinylplattenspielers, der wiederum vom CD-Player abgelöst wurde. Alle auf der Scheibe angeordneten Haken sind einem Ton zugeordnet. Die Haken treiben beim Abspielen pro Ton ein spitzzahniges Rad an, welches Metallzungen anreißt und so die Melodie erzeugt. Bei den Walzenspieldosen gibt es keine Platten, sondern die Tonzungen werden durch Stifte zum Klingen gebracht, die auf der sich drehenden Walze befestigt sind.
Dank moderner Technik ist das Herunterladen oder Streamen von Musik heute zwar unkomplizierter, aber Hafner sieht durchaus eine Verbindung: „Die Spieldosen und -uhren funktionieren wie Computer. Sie haben einen Datenspeicher und eine Anlage, die gespeicherte Informationen zielgerecht umsetzen kann. Dabei ist von untergeordneter Bedeutung, ob nur ein einzelner Ton, ein Signal oder eine Tonfolge zum Erklingen gebracht wird.“Zwar war der Begriff Datenspeicher zur Blütezeit selbst spielender Musikinstrumente – vom 17. Jahrhundert bis in die 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts – unbekannt; aber selbst das älteste Datenspeichersystem, eine Walze mit Stiften, arbeitet nach demselben Ja-/Nein-Prinzip wie der moderne PC: „Stift in der Walze gibt einen Ton, kein Stift bedeutet keinen Ton.“
Dank seiner jahrelangen intensiven Beschäftigung mit seinem Hobby ist Hafner zum Experten geworden, der stundenlang über seine Schätze plaudern kann und ganze Schubladen voller Fachlektüre, Kataloge, Liederverzeichnisse und technischer Anleitungen hat. Mehr davon werden heuer noch Besucher seiner Ausstellung im Quartierstreff am Wertachzentrum erfahren. Dort kann man Hafner auch nach der weiteren Entwicklung der Spieluhren zu den machanischen Orchestrien befragen. Diese großen Spielschränke wurden nicht nur auf Jahrmärkten eingesetzt. Geschäftstüchtige Restaurantbesitzer kamen auf die Idee, mit der Musikdarbietung Geld zu verdienen. Also konstruierte man einen entsprechenden Münzeinwurf: Nach dem Bezahlen begann sich die Walze zu drehen. „Das waren die Vorläufer der späteren (Schallplatten-)Musikboxen der 1950er- und 1960er-Jahre“, erzählt Hafner, den aber nur Geräte interessieren, die mindestens hundert Jahre alt sind.