Und wie geht’s der Familie?
Der Jugendhilfe-Planer Günter Katheder-Göllner weiß dank regelmäßiger Erhebungen, wie die Lebenslagen vieler Menschen sind. Er sagt, dass trotz des Wirtschaftsbooms der finanzielle Druck auf Eltern mit Kindern zunimmt
Herr Katheder-Göllner, wenn Sie heute mit Ihrer Familie ins Augsburger Land ziehen würden – welchen Ort würden Sie wählen?
Ich würde mich dabei sicher nicht an der Sozialraumanalyse orientieren. Dafür würde ich eher auf die Internetseiten der einzelnen Gemeinden schauen: Wie präsentieren sie sich, wie sieht es mit der Kinderbetreuung aus und wie halten sie es allgemein mit der Beteiligung der Bürger? Das Leben gemeinsam zu gestalten – das macht eine Kommune lebenswert.
Aber die Sozialraumanalyse vergibt doch klare Kennzahlen an die Orte und dabei ist die Spannbreite enorm. Was sagt dieser Wert denn nun aus?
Katheder Göllner: Es geht tatsächlich um die sozialen Verhältnisse und damit die Lebenslagen von Familien. Wie viele Kinder es in einer Familie gibt, wie es mit dem Einkommen der Eltern aussieht – um mal beispielhaft zwei Indikatoren zu nennen. Die Sozialraumanalyse soll ein Abbild der Wirklichkeit sein. Gedacht war die Analyse ursprünglich für das Landratsamt selbst. Sie sollte helfen, Handlungsfelder zu erkennen. Denn wir wissen natürlich: Erziehung kann auch scheitern. Und dazu liefert uns der Blick auf die Indikatoren wertvolle Hinweise. Ein Nebeneffekt ist aber, dass auch die einzelnen Kommunen sehen, wo sie stehen. Für uns gilt dabei der Grundsatz, dass wir die Analyse nicht kommentieren. Freilich geben wir auf Rückfragen Hinweise, wo die Gemeinden und Städte bei sich ansetzen könnten. Denn für viele Bürgermeister sind diese Zahlen der Anlass, um über Veränderungen nachzudenken.
Enthalten ist eine ganze Reihe von Daten, in denen es um die materielle Situation von Familien geht. Alles in allem: Wie ist diese im Augsburger Land?
Im Landkreis liegt das Durchschnittseinkommen höher als im bayerischen Durchschnitt. Es gibt im bayerischen Vergleich weniger Familien, die sehr wenig haben. Aber wie immer gibt es eine zweite Seite der Medaille. Gerade Alleinerziehende sind überdurchschnittlich von Armut bedroht oder wirklich arm. Auch bei uns sind das einfach zu viele. Für uns als Landratsamt stellt sich da die Frage: Wie können wir die Situation von alleinerziehenden Müttern und Vätern verbessern?
Laut einer aktuellen bundesweiten Bertelsmann-Studie gilt das nicht nur für Alleinerziehende, sondern auch für Familien, in denen nur ein Elternteil verdient. Lässt sich das im Landkreis Augsburg so aus den Zahlen ablesen?
Tatsächlich kommt Armut immer weiter an den unteren Rand der Mittelschicht. Auch wenn wir in einer Region le-
der es eigentlich gut geht, nimmt der finanzielle Druck gerade auf Familien mit Kindern zu.
Welche Schlussfolgerungen muss die Politik aus dieser Entwicklung ziehen?
Nicht alles kann die Politik vor Ort beeinflussen, etwa Löhne oder prekäre Verhältnisse durch Zeitverträge in den Firmen. Aber wir können dazu beitragen, Familien zu entlasten. Dazu gehört die Versorgung mit einer Kinderbetreuung, bei der sich die Öffnungszeiten an den realen Arbeitszeiten orientieren, oder mit einer bedarfsgerechten Betreuung auch in den Ferien. Gleichzeitig wollen wir auf die Arbeitswelt einwirken, eine familienbewusste Personalpolitik als Chance zu sehen. Es kann nicht allein die Aufgabe von Eltern sein, für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu sorgen. Familien brauchen
hier Entlastung, Unterstützung und mehr Zeit für die Familie.
Was ist denn die größte materielle Herausforderung, der sich Familien derzeit gegenübersehen? Wohnraum?
Katheder Göllner: Ja, das entwickelt sich immer mehr zum ganz großen Thema. Und gerade hier können die Kommunen aber auch etwas tun. Ansatzpunkte sind beispielsweise eine Verdichtung des Innenraums oder Grundstücke, die wirklich zu den Bedürfnissen der Familien passen. Damit können die Städte und Gemeinden auch werben und Familien für sich gewinnen.
Geld allein macht nicht glücklich. Deshalb messen Sie auch anderen Faktoren Gewicht zu, etwa einer Scheidung.
Wir wollen präventiv tätig sein. Eine Trennung ist eine große Belastung für eine Famiben,
lie, besonders für die Kinder. Mit Informations- und Beratungsangeboten und frühzeitigen Hilfen wollen wir den Zusammenhalt von Familien stärken und das Zusammenleben leichter machen – in welcher Konstellation auch immer.
Es gibt inzwischen sieben Sozialraumanalysen für den Landkreis. Gibt es einen Trend? Geht es uns heute besser?
Das lässt sich aus den Zahlen leider nicht ablesen. Der Index der Belastung von Familien bleibt über die Jahre hinweg relativ gleich. Zwar ist heute beispielsweise das Einkommen höher als vor knapp zehn Jahren, dafür ist aber auch die Zahl jener, die Jugendhilfe in Anspruch nehmen, höher.
Also nichts bewirkt?
Das würde ich jetzt ganz und gar nicht sagen. Die
Dinge verändern sich eben. Jugendämter erfahren heute früher von Problemlagen und können so auch früher eingreifen und unterstützen. Deshalb ist der Anstieg der Fallzahlen in diesem Bereich eigentlich positiv. Ein Aspekt ist mir noch wichtig. Jugendhilfe will alle Familien mitnehmen, sie wird dort aktiv, wo es um die Teilhabe aller geht. Dafür hat der Landkreis viele Dinge auf den Weg gebracht: Familienstützpunkte, frühe Hilfen, Sozialarbeit an den Schulen. In dieser Hinsicht stehen wir also gut da – auch wenn das in unserer Sozialraumanalyse nicht abgebildet ist.
Das Interview führten Jana Tallevi und Christoph Frey.
Unser Thema In den nächsten Tagen widmen wir uns der Familie. Morgen stellen wir eine fünffache Mutter vor, die Beruf und Familie unter einen Hut bringt.