Drei Tage vom Unterricht verbannt – zu Unrecht
Ein Viertklässler musste zu Hause bleiben, weil er gestört hat und nicht auf die Lehrerin hörte. Die Strafmaßnahme der Schule war rechtswidrig. Was dieses Ergebnis am Verwaltungsgericht nun für den Schüler bedeutet
Landkreis Augsburg Ein schlimmer Vorfall soll es gewesen sein, der sich im März dieses Jahres in einer Grundschule im südlichen Landkreis Augsburg ereignet hat. So sagte es die Rektorin gestern bei einer Verhandlung am Verwaltungsgericht Augsburg. Deshalb wurde der Viertklässler für drei Tage vom Unterricht ausgeschlossen. Dessen Eltern waren mit dieser Maßnahme überhaupt nicht einverstanden. Sie klagten gegen den Freistaat Bayern: Unverhältnismäßig sei der vollzogene dreitägige Ausschluss gewesen; zudem soll das Verfahren nicht ordnungsgemäß abgelaufen sein.
Was genau an jenem Tag im März in der vierten Klasse geschehen ist, wurde vor Gericht nicht näher erläutert. Ein Sprecher des Verwaltungsgerichts erläuterte auf Anfrage unserer Zeitung: Der Schüler soll mehrfach den Unterricht gestört und Ruhephasen nicht eingehalten haben. Als ihn die Klassenlehrerin in einen sogenannten Trainingsraum – in diesem sollen Disziplinprobleme gelöst und das Fehlver- halten pädagogisch aufgearbeitet werden – schicken wollte, soll der Viertklässler dieser Aufforderung nicht nachgekommen und davongelaufen sein. Die Rektorin sagte vor Gericht, dass sie zuerst mit der Klassenlehrerin gesprochen und einen Unterrichtsausschluss von drei Tagen für angemessen erachtet habe. Erst danach habe sie der Mutter des Viertklässlers ihre Entscheidung mitgeteilt und gesagt, dass sie ihren Buben mit nach Hause nehmen müsse. Genau das sei der erste formelle Fehler gewesen, sagte Wolfgang Lorenz, der Vorsitzende Richter der Dritten Kammer. Denn nach dem bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetz hätten vor der Entscheidung über den Unterrichtsausschluss die Erziehungsberechtigten angehört werden müssen. Das sei aber, wie die Rektorin bestätigte, nicht geschehen.
Die Rektorin beging laut Richter Lorenz noch ein weiteres „Versäumnis“: Sie habe die Mutter nicht darauf hingewiesen, dass diese auf Antrag hin einen Beratungslehrer, einen Schulpsychologen oder eine Lehrkraft ihres Vertrauens hinzu- könne. Die klagende Mutter ist selbst seit 19 Jahren Lehrerin, derzeit an einer Realschule im südlichen Landkreis. Sie sei im Rahmen ihrer Ausbildung im Schulrecht und möglicher Ordnungsmaßnahmen unterwiesen worden. Von der Möglichkeit, einen Schulpsychologen bei einem im Raum stehenden Unterrichtsausschluss hinzuzuziehen, war ihr nach eigener Aussage nichts bekannt. Diese Möglichkeit ist allerdings in dem betreffenden Gesetzesabschnitt klar geregelt.
Da Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen wie Nachsitzen, Verweis, Versetzung in eine Parallelklasse, Ausschluss vom Unterricht oder gar die Entlassung von der Schule rechtlich gesehen keine Strafen sind, können sie auch auf strafunmündige Kinder unter 14 Jahren angewandt werden. Wegen des betroffenen Schülers hat, das wurde vor Gericht deutlich, es bereits in der Vergangenheit mehrere Diskussionen gegeben – und zwar nicht nur an der jetzigen Grundschule. Bis zur dritten Klasse war der Bub in die Grundschule seiner Heimatgemeinde gegangen. Dort soll er laut seiner Mutter von zwei Klassenkameraden gemobbt und geschlagen worden sein. Als ihr Sohn sich wehren wollte, habe ihn die Schule bestraft. Sie wirft der damaligen Schulleiterin vor, nicht neutral gewesen zu sein, da die beiden anderen Schüler in der unmittelbaren Nachbarschaft der Rektorin wohnten. Mittels eines Gastschulantrags wechselte ihr Sohn zur vierten Klasse dann in eine andere Grundschule.
Dort sei die Situation ihrem Empfinden nach besser gewesen, doch nach zwei Monaten habe die Rektorin sie um ein Gespräch gebeten. Als „unverschämt“, „frech“und „vorlaut“habe diese ihren Sohn beschrieben, so die Mutter. „Mir war klar, dass ein Austausch mit der vorherigen Grundschule stattgefunden hat“, behauptete die Mutter gestern vor Gericht. In der Folgezeit gab es drei weitere Gespräche – mal ging es um von ihrem Sohn gemalte gewaltziehen tätige Bilder, mal um unterschiedliche Betrachtungsweisen von körperlichen Auseinandersetzungen zwischen den Schülern. Im März eskalierte dann die Situation mit dem Unterrichtsausschluss. Walter Michale, im Landratsamt für Rechtsangelegenheiten zuständig, erklärte vor Gericht, dass der Unterrichtsausschluss nicht den formellen gesetzlichen Anforderungen entsprach und deshalb rechtswidrig sei. Aus diesem Grund werde der betreffende Eintrag aus der Schülerakte entfernt und keine Informationen über den Ausschluss an das betreffende Gymnasium, an welches der Schüler wechselt, weitergegeben.
Damit wurde der Rechtsstreit für erledigt erklärt. Die Kosten des Verfahrens trägt der Freistaat. Thomas Adleff vom Staatlichen Schulamt im Landkreis Augsburg sagte unserer Zeitung, dass die Konflikte zwischen Schülern/Eltern und Lehrern zahlenmäßig nicht signifikant zunehmen. Allerdings münden die vorhandenen Konflikte in Einzelfällen schneller in Rechtsstreitigkeiten und werden schärfer ausgetragen, so Adleff.
Viertklässler wechselte wenige Monate zuvor die Grundschule