Antisemiten oder Kritiker Israels?
Heftige Turbulenzen bei der Ruhrtriennale
Bochum Ausgerechnet die Ruhrtriennale. Das experimentelle Kunstfest bietet Tanz, Theater, Konzert und Performance, oft in die Genres vermischender Form, zu Themen wie Konflikten, Migration und Vertreibung. Stars wie die Choreografin Sasha Waltz, der Regisseur Christoph Marthaler und der Dirigent Thomas Hengelbrock sind dabei. Aber vor allem kommen die über 900 Künstler aus 30 Ländern. Die Perspektive soll ausdrücklich nicht europäisch sein, Völker verbindend. Und dann das: BDS!
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat wegen BDS der Ruhrtriennale, dem kulturpolitischen Aushängeschild des Bundeslandes, abgesagt – er besucht keine der 33 Produktionen in den sechs Wochen des heute beginnenden Festivals. Dessen Intendantin Stefanie Carp steht seit Wochen unter harter Kritik – wegen BDS. In ihrem ersten Jahr als TriennaleChefin hat sie dem renommierten Kulturfestival durch ihren Zickzackkurs im Umgang mit der zunächst eingeladenen Pop-Band Young Fathers etliche negative Schlagzeilen eingebracht. Denn die Schatten stehen eben BDS nahe. Und darum wiederum hatten einige andere Künstler mit einer Absage gedroht, bis die Young Fathers schließlich von selbst absagten.
BDS? Es ist das Kürzel einer Bewegung, die sich für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen einsetzt, und zwar gegenüber Israel. Sie begründet ihre Aktivitäten mit der Politik des Landes gegenüber den Palästinensern. Roger Waters (Pink Floyd) und Brian Eno (Roxy Music) sind prominente Fürsprecher der Organisation. Mit Boykott-Aufrufen durch BDS sieht sich etwa das Berliner Festival Pop-Kultur (15. bis 17. August) konfrontiert. Anlass ist die finanzielle Unterstützung des Festivals durch die Botschaft Israels.
Die BDS-Bewegung sei in ihren Handlungen und Zielen antisemitisch, sagte Felix Klein, der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, der Wochenzeitung
Jüdische Allgemeine. Die Aktivisten versuchten, Israel zu isolieren und als Apartheidstaat zu diffamieren. Zum Umgang der Ruhrtriennale mit BDS sagte Klein: „Das gesamte Krisenmanagement war desaströs.“
Das Nein des Ministerpräsidenten ist ein Paukenschlag in einer seit Monaten mal schwelenden, mal hitzig aufflammenden Debatte. Das Land NRW ist der Hauptgeldgeber und zahlt jährlich 12,65 Millionen Euro. Seine Entscheidung habe Laschet bereits vor Wochen getroffen, nachdem Carp im Juni die zunächst ausgeladenen Young Fathers wieder eingeladen habe, bestätigte ein Regierungssprecher.
Auch im Kulturausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags waren die Abgeordneten höchst irritiert. Carp habe „im Grunde PRtechnisch dem BDS eine Plattform geboten“, meinte der FDP-Abgeordnete Thomas Nückel. Hinterher erklärte sich Carp den Abgeordneten noch in einem Brief.
Das abgesagte Konzert ist eine Veranstaltung von vielen – stattdessen ist am 18. August eine Debatte über „Freiheit der Künste“, unter anderem mit Carp und NordrheinWestfalens Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos), angesetzt. Für ihr Festival-Programm bekommt Carp durchaus Zuspruch und Lob, unter anderem für die Vielschichtigkeit und die offene, internationale Ausrichtung. Es unterscheidet sich deutlich von der Ausrichtung der Vorgänger wie Willy Decker oder Johann Simons.