Wie die Korruption das Land zerstört
Lara Ziegler ist mit dabei, als in Kolumbien ein neuer Präsident gewählt wird. Sie erlebt, wie die Menschen im Land immer wütender auf das politische System werden / Serie (9)
Landkreis Augsburg/Kolumbien Die Politik wird von den deutschen Medien täglich thematisiert. Junge Leute interessieren sich meistens aber nicht wirklich für politische Themen. Vielleicht liegt das daran, dass unser Regierungssystem funktioniert. Schließlich leidet kein Bürger an absoluter Armut, die Gewaltenteilung ist gerecht und Sicherheit ist durch den Respekt von Regeln gewährleistet. Ein Privileg, das wir inzwischen als selbstverständlich ansehen und viel zu selten wertschätzen. Doch was passiert, wenn ein Land seit Jahren unter der Politik leidet? Wenn nicht alles einwandfrei funktioniert? Und an Wahltagen Aufstände außer Kontrolle geraten?
Mein Freiwilligendienst in Kolumbien neigt sich dem Ende zu, wobei mir noch ein Ereignis bevorsteht, das besonders für Kolumbien wichtig ist: die Präsidentschaftswahl. Es verging kein Tag, an dem nicht darüber gesprochen wurde. Die Wahlen waren nicht nur ein Thema in den Medien, sondern auch im Familienleben, zwischen Freunden und in der Arbeit. Das Land war aufgewühlt. Läden ver- keinen Alkohol am Vortag der Wahlrunden, alle staatlichen Gebäude wurden abgesperrt und Reisen waren besonders für Ausländer gefährlich.
Nach der vergangenen Wahlrunde, welche am 17. Juni stattfand, entschied sich das Land zwischen den beiden Extremen Sozialismus und Kommunismus, mit 54 Prozent, für den Kandidaten Ivan Duque: das „kleinere Übel“.
Der konservative Anwalt und zu Anfang recht unbekannte Politiker schreibt besonders einer Person seinen schnellen Erfolg zu. Er wird im Volksmund als Sprachrohr des ExPräsidenten Alvaro Uribe bezeichnet, der von 2002 bis 2010 regierte. Duque wird vor allem wegen seiner nur vierjährigen Erfahrung als Se- natsmitglied oft kritisiert. Sein Vertrauter Uribe gilt als schärfster Gegner des Friedensabkommens zwischen der Regierung und der linken Guerillabewegung FARC.
„Dieses Friedensabkommen verlangt nach Korrekturen, damit die Opfer wirklich im Mittelpunkt stehen und wir Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und keinen Rückfall haben“, sagte Duque nach seinem Wahlsieg. Vor allem will er verhindern, dass die Ex-Rebellen öffentliche Ämter bekleiden, bevor sie ihre Strafen verbüßt haben.
Der historische Friedensvertrag zwischen Paramilitär und der FARC hat in den letzten Jahren eine willkommene Ruhe in das Land gebracht. Weite Teile Kolumbiens sind wieder frei zugänglich, zahlreiche Minen wurden entschärft, militärische Auseinandersetzungen wie zu Zeiten des Bürgerkriegs gehören der Vergangenheit an.
Kolumbien ist ein Land mit viel Potenzial, aber – meiner Erfahrung nach, die ich in dem Land sammeln konnte – wird dieses durch die eigene Regierung zerstört. Vertrauen und Stabilität werden von leeren Versprechen und Korruption verdrängt. Selbst wenn es auf den ersten Blick scheint, als hätten die Bürkauften ger mit ihren Stimmen ein Wahlrecht, zeigen die Ergebnisse, dass sich nichts ändert, sondern das gleiche System nur immer wieder durch einen anderen Präsidenten weiter besteht.
Viele Kolumbianer sind enttäuscht, wütend und betrachten fassungslos die Wahlergebnisse. Das feurige Temperament verstärkt die Frustration, zusammen mit Alkohol löst die Gefühlsmischung nicht selten Wutausbrüche innerhalb der Familie oder auf der Straße aus. Gewalt gegenüber Frauen und Kindern sind in den Haushalten dann keine Seltenheit mehr. Ich habe mitbekommen, wie Arbeitskolleginnen von Ehemännern oder Vätern misshandelt wurden. Oder Familienmitglieder aufgrund einer anderen politischen Meinung mit Ignoranz und Missachtung gestraft wurden. Der Schrei nach Veränderung verklingt nicht mit den Jahren, sondern wird immer lauter.
„Das Recht auf Bildung, Gleichberechtigung und Gerechtigkeit sollte vom Staat gewährleistet sein, doch dieser investiert die Gelder meist nur in Waffen und den Krieg“, sagte der Bürgermeister von Duitama, Alfonso Miguel Silva Pesca, einst zu mir. Er selbst wählte in Weiß. Das heißt, er war mit keinem Kandidaten einverstanden.
Diese Erfahrung hat mir erst einmal gezeigt, welches Ausmaß Volksabstimmungen annehmen können. Mir ist bewusst geworden, dass Politik nicht nur ein Haken in der Wahlkabine ist, sondern einen großen Einfluss auf das eigene Leben haben kann.
„Dieses Friedensabkommen verlangt nach Korrekturen, damit die Opfer wirklich im Mittelpunkt stehen und wir Gerechtigkeit, Wiedergutma chung und keinen Rückfall haben.“
Ivan Duque