Orbán sieht die Ehre Ungarns verletzt
Der Premier wehrt sich im EU-Parlament gegen Vorwürfe, seine Regierung verstoße gegen die Rechtsstaatlichkeit. Warum EVP-Fraktionschef Weber nun in der Zwickmühle steckt
Die Konfrontation fiel noch heftiger aus als erwartet: EUParlamentarier forderten am Dienstag auf breiter Front eine Bestrafung Ungarns wegen Verstößen gegen demokratische Grundwerte. Premierminister Viktor Orbán verteidigte mit einer Blut-und-TränenRede die „Ehre meines Volkes“.
Fast eine halbe Stunde lang musste sich Viktor Orbán Vorwürfe gegen seine Regierung anhören. Schwere Verstöße gegen die Grundwerte der EU, unabhängige Medien an die Leine gelegt – es ist ein langes Register demokratischer Sündenfälle, das die Europaabgeordnete Judith Sargentini (Grüne) am Dienstagnachmittag im EU-Parlament aufzählte. Sie ist die Berichterstatterin für den Ungarn-Bericht. Ihre Forderungen gipfelten in dem Appell, am heutigen Mittwoch mit Mehrheit für die Aktivierung des Artikels 7 der Europäischen Verträge zu stimmen. Am Ende dieses Prozesses würde das Land seine Stimmrechte in den EU-Ministerräten verlieren, möglicherweise auch den Zugang zu den lukrativen Fördergeldern aus Brüssel, die fast ein Fünftel des ungarischen Jahreshaushalts ausmachen. Ingeborg Grässle, CDU-Politikerin in der europäischen Volksvertretung und Chefin des Haushaltskontrollausschusses, listete auf, dass sich bei „einem Drittel der öffentlichen Ausschreibungen in Ungarn nur eine Firma bewirbt“. Es gebe „Korruption und Verschwendung von EU-Steuergeldern“. Die Stimmung im Parlament ließ sich längst am Beifall ablesen: Die Mehrheit dürfte heute tatsächlich zum ersten Mal in der Geschichte der Union gegen ein Mitgliedsland die schärfste Strafe fordern.
„Ich weiß, dass Sie sich ihre Meinung schon längst gebildet haben“, begann Viktor Orbán schließlich. „Aber Sie werden nicht eine Regierung, sondern ein Land verurteilen.“Und dann griff er tief in die Historie: Seit über 1000 Jahren sei Ungarn Mitglied der christlichen Familie und des christlichen Europa. „Sie werden ein Land verurtei- len, das sich mit all seiner Kraft und seinem Blut den Angriffen der Sowjetunion entgegengestellt hat.“Der nächste Schritt, den die europäischen Volksvertreter heute planen, bedeute eine „Verletzung der Ehre des ungarischen Volkes“. Sein Land solle nur deswegen verurteilt werden, weil „die Menschen keine Einwanderer wollen“, mutmaßt der Regierungschef und betont: „Ungarn lässt sich nicht erpressen.“
Manche im EU-Parlament tun sich erkennbar schwer – auch weil Orbáns in mehreren Wahlen erfolgreiche Fidesz-Partei bis heute zur gleichen Parteienfamilie gehört, in der auch CDU und CSU mit den übrigen europäischen Christdemokraten verbunden sind. Manfred Weber, der Chef der gemeinsamen Fraktion und inzwischen zum potenziellen Spitzenkandidaten bei der Europawahl ausgerufen, ist der Einzige, der wenigstens einen Brückenschlag versucht, weil er zwischen allen Stühlen sitzt. „Ohne die Bereitschaft der ungarischen Regierung,
„Ich weiß, dass Sie sich Ihre Meinung schon gebildet haben. Aber Sie werden nicht eine Regierung, son dern ein Land verurteilen.“Victor Orbán
„Ohne die Bereitschaft, rechtliche Korrekturen an den umstrittenen Gesetzen durchzuführen, muss man zu Sanktionen greifen.“EVP Fraktionschef Manfred Weber (CSU)
rechtliche Korrekturen an den umstrittenen Gesetzen durchzuführen“, müsse man zu den angedrohten Sanktionen greifen.
Weber sucht nach einem Ausweg aus dem Dilemma, die von Orbán ausgeschaltete Meinungsfreiheit anzusprechen und anzuprangern, ohne den Premier selbst zu verärgern. Der CSU-Politiker braucht die Unterstützung des starken Mannes in Budapest für seine endgültige Nominierung als Nachfolger JeanClaude Junckers als Kommissionspräsident, was einige Parlamentskollegen unerträglich finden. Für sie bastelt der Ungar längst an einer „rechtspopulistischen Allianz“, wie es der Liberalen-Fraktionschef Guy Verhofstadt ausdrückt und als Beleg die Treffen Orbáns mit dem Chef der polnischen PiS-Regierungspartei, Jaroslaw Kaczynski, und dem italienischen Innenminister und Lega-Nord-Chef, Matteo Salvini, zitiert. An diesem Dienstag sieht es nicht danach aus, als habe Orbán die Europaabgeordneten in Straßburg beeindrucken können. Sie scheinen bereit, an diesem Mittwoch für den Stimmentzug zu votieren.