So war das nicht geplant
Markus Söder überlegt sich genau, was er will und wie er seine Ziele erreichen kann. Nur: Dass die CSU mit ihm die absolute Mehrheit verteidigt, scheint kaum mehr möglich. Also versucht der Ministerpräsident es mit neuen, flexiblen Plänen. Und stößt doch
München Ein herrlich ironisches jüdisches Sprichwort sagt: „Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, mach einen Plan.“Sollte diese alte Rabbiner-Weisheit über die Vergeblichkeit menschlichen Strebens zutreffen, dann ist zu vermuten, dass im Himmel zuletzt viel über Markus Söder gelacht wurde.
Söder hatte einen astreinen Plan. Erstens: Horst Seehofer verdrängen. Zweitens: Ministerpräsident werden. Drittens: Ein politisches Feuerwerk abbrennen. Viertens: Die Bayern wieder für die CSU begeistern. Fünftens: Die absolute Mehrheit bei der Landtagswahl verteidigen. Sechstens: Bis zum Jahr 2028 ohne Koalitionspartner regieren. Siebtens: Nach zehn Jahren wieder abtreten, ohne wie seine Vorgänger Edmund Stoiber, Günther Beckstein und Horst Seehofer mit rabiater Macht aus dem „schönsten politischen Amt der Welt“gedrängt zu werden.
Söder ist ein Planer. Das war er schon damals, als sein Vater, ein tatkräftiger Mann vom Bau, festgestellt hat, dass der Bub zwei linke Hände habe und deshalb nur zum Pfarrer oder zum Politiker tauge. Der junge Mann aus dem Arbeiterbezirk Nürnberg-Schweinau wählte den zweiten Weg. Seither gilt: Er überlegt sich, was er will und wie er es erreicht, ganz konkret, Schritt für Schritt.
Im aktuellen Fall aber ist der ehrgeizige Politiker etwas aus dem Tritt geraten. Die Ziele 1 und 2 sind zwar geschafft, allerdings nur mit großer Mühe und begleitet von heftigen Kollateralschäden. Der monatelange Machtkampf mit Seehofer hat die CSU und offenbar auch Söder selbst viel Ansehen gekostet. So war das nicht geplant.
Die Ziele 3 und 4 können als verfehlt gelten. Söders „Feuerwerk“an Versprechen, Initiativen und Ankündigungen zündete nicht. Es half ihm nicht einmal, dass er eine ganze Reihe seiner Versprechen in Windeseile noch vor der Wahl in die Tat umgesetzt hat: Familiengeld, Pflegegeld, Baukindergeld. Die Anträge kommen zehntausendfach. Die Menschen nehmen das Geld und freuen sich vermutlich auch darüber. Von neuer Begeisterung für die CSU aber kann, wenn die Ergebnisse der Meinungsforscher zutreffen, keine Rede sein. Umfragen sehen die einstmals überragend erfolgreiche Regionalpartei, die Ergebnisse über 50, manchmal sogar über 60 Prozent holte, nur noch bei 36 oder 35 Prozent.
Von den Zielen 5 und 6 (absolute Mehrheit im Landtag und Fortsetzung der Alleinregierung) wird deshalb in der Partei schon gar nicht mehr geredet. Kaum ein CSUWahlkämpfer glaubt, dass das Ruder bis zum Wahltag am 14. Okto- ber noch herumgerissen werden könnte. Nur Parteichef Horst Seehofer sagt, er sei der Ansicht, dass ein gutes Ergebnis immer noch drin sei. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.
Und Ziel 7? Das bleibt wohl doch eher ein Traum, der eine ganz ferne Zukunft betrifft. Friedliche Machtwechsel hat es in der CSU nicht mehr gegeben, seit der Herrgott den früheren CSU-Chef Franz Josef Strauß direkt aus dem Amt des Ministerpräsidenten zu sich holte.
Das war die Kurzfassung zur Situation des amtierenden Chefs der bayerischen Staatsregierung in diesem Herbst, aber alles gesagt ist über Söder damit noch lange nicht. Der 51-jährige Jurist (evangelisch, verheiratet, vier Kinder, davon eines aus einer früheren Beziehung) ist nämlich nicht nur ein strategisch denkender Planer. Er ist auch flexibel genug, seine Pläne und Strategien neuen Situationen und Gegebenheiten anzupassen. Seine Gegner nennen das Opportunismus und werfen ihm vor, sein persönliches Machtstreben über alles andere zu stellen. Er selbst würde wohl Realpolitik dazu sagen und darauf hinweisen, dass Lernfähigkeit und Einsicht Tugenden seien, die auch einem Politiker gut zu Gesicht stehen.
Am augenfälligsten in der aktuellen Debatte ist Söders jüngster Schwenk in der Flüchtlingspolitik. Lange Zeit gehörte er zu den Kritikern von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sogar das giftige Wort vom „Asyltourismus“warf er in die Diskussion. Seit dem Sommer aber hält er sich mit Kritik an Merkel zurück. Im Landtag entschuldigte er sich für den Begriff und versprach, ihn nicht mehr zu verwenden.
Der realpolitische Hintergrund der neuen Redeweise ist offenkundig. Der Versuch der CSU, sich in ihrem Abwehrkampf gegen die
AfD möglichst weit rechts zu positionieren, ist gescheitert. Spätestens mit den Wahlumfragen im ausgehenden Sommer wurde klar, dass die CSU nicht nur rechts, sondern auch in der bürgerlichen Mitte Zustimmung verliert – insbesondere an die Grünen. Söder musste lernen, dass seine Partei einen Zwei-Fronten-Wahlkampf führt. Er musste Konsequenzen ziehen.
Im Bierzelt im niederbayerischen Karpfham steht Söder vor einem Publikum, das die Flüchtlingskrise in den Jahren 2015 und 2016 unmittelbarer erlebt hat als anderswo. Hier war der Endpunkt der Balkanroute. Hier kamen Flüchtlinge zu Tausenden an. Hier erzielte die AfD in Bayern ihre besten Ergebnisse.
Das Zelt ist voll bis auf den letzten Platz. Die CSU-Wahlkämpfer an den vorderen Tischen machen sich gegenseitig Mut. Es sei noch nicht so gut wie früher, sagt der niederbayerische CSU-Spitzenkandidat, Kultusminister Bernd Sibler. Aber er beobachte, „dass die Leute wieder zu uns kommen und auch wieder zuhören“. Diese Leute will Söder erreichen. Sie sitzen im Zelt weit hinten oder stehen in den Gängen in der Nähe des Eingangs.
Söder kann Bierzelt. Er schmeichelt den Leuten, schwärmt über die Aufsteigerregion Niederbayern. Er listet auf, was an Geld aus München in jüngster Zeit hierher geflossen sei, und lobt die Zähigkeit der örtlichen CSU-Abgeordneten. Er gibt sich selbstbewusst und stichelt gegen andere – besonders gerne gegen seinen früheren CSU-Konkurrenten KarlTheodor zu Guttenberg. Der Standardsatz lautet: „Ich habe meinen Doktor gemacht und behalten.“Und er stellt sich in die Tradition großer Namen in der CSU (Strauß, Stoiber). In Kombination mit einigen Kennziffern zum wirtschaftlichen Erfolg Bayerns sollte das eigentlich reichen, um das Publikum zu überzeugen.
Tut es aber nicht. Der Applaus in den hinteren Reihen bleibt verhalten. Viele, aber längst nicht alle klatschen nur bei jenen Passagen, in denen Söder für konsequente Abschiebung von straffällig gewordenen Flüchtlingen plädiert oder eine Begrenzung der Zuwanderung fordert. Er könnte diese Stimmung aufnehmen und weiter aufheizen. Doch er widersteht dieser Versuchung. Seit dem Spätsommer zeigt er klare Kante gegen Rechtsaußen. Seit den Ereignissen in Chemnitz brandmarkt er die AfD sogar als eine im Kern rechtsextreme Partei. Dass dies bei tendenziell rechten Wählern Wirkung zeigt, ist freilich noch nicht zu erkennen.
Mit dem bürgerlichen Publikum, das für eine humanere, weniger strenge Flüchtlingspolitik eintritt, tut er sich ähnlich schwer. In seiner Heimatstadt Nürnberg, beim einzigen direkten Duell mit der Spitzenkandidatin und Landesvorsitzenden der Bayern-SPD, Natascha Kohnen, trifft Söder mehrheitlich auf SPDAnhänger. Im Saal ist das Misstrauen gegen sein ausdrückliches Bekenntnis zur Humanität spürbar. Kohnen versucht ihn genau da, an seiner wahrscheinlich empfindlichsten Stelle zu treffen. Sie wirft ihm vor, zur Spaltung des Landes beigetragen zu haben. Den Begriff „Asyltourismus“wird sie ihm bis zum Wahltag vorhalten.
Söder kontert. Einzig die CSUStaatsregierung habe ein schlüssiges Konzept in der Flüchtlingspolitik entwickelt und auch schon umgesetzt. Bayern investiere mehr als jedes andere Land in die Integration. Gleichzeitig sorge der Freistaat dafür, dass Asylanträge schneller bearbeitet und jene abgeschoben werden könnten, die straffällig werden oder als Gefährder gelten. Freude an dem Duell, zu dem die Nürnberger Nachrichten eingeladen hatte, hat er erkennbar nicht. Zudem sieht er weder in Kohnen noch in der SPD den entscheidenden Gegner. Sein Hauptaugenmerk links von der CSU gilt den Grünen.
Das wird auch bei der letzten Plenarsitzung vor der Wahl im Landtag
Das Wort „Asyltourismus“verwendet er nicht mehr
Söder kann Bierzelt, doch so einfach ist das hier nicht
klar. Söder nutzt die Regierungserklärung zur doppelten Abgrenzung. Er meint die Grünen, wenn er sagt: „Ideologen versuchen ständig, die Menschen nach ihrem eigenen Willen zu formen. Sie wollen Menschen mit Verboten und Sanktionen erziehen.“Er meint die AfD, wenn er sagt: „Populisten beschreiben nur Probleme, bieten keine Lösungen an, säen Verunsicherung und destabilisieren die Demokratie.“
Gleichzeitig zurrt er noch einmal seinen Kurs in der Flüchtlingspolitik fest: „Unser Grundsatz ist klar: Wer zu uns kommt, rechtsstaatlich anerkannt ist und integrationswillig, der soll wirklich die besten Startchancen haben. Ich sage aber auch: Wer zu uns kommt, nicht anerkannt wird, Straftaten und Gewalttaten begeht, der muss das Land so rasch wie möglich wieder verlassen.“
Das Schlüsselwort über Söders neuem, kurzfristig angepasstem Plan heißt Stabilität. Das soll der CSU bei der Wahl wenigstens noch ein paar Prozentpunkte mehr bescheren als in den jüngsten Umfragen. Parteiintern hat Söder längst Vorsorge für das erwartete Wahldebakel getroffen. Nach allem, was aus der CSU zu hören ist, sitzt der Ministerpräsident – übrigens ganz im Gegensatz zu Parteichef Seehofer – fest im Sattel. Söder hat in München keinen Konkurrenten, der ihm gefährlich werden könnte. Das ist auch am Montag dieser Woche in der Sitzung des Vorstands noch einmal deutlich geworden. Der Zorn der CSU-Granden richtet sich offenbar mehrheitlich gegen Seehofer, nicht gegen Söder. Die Partei plant mit dem 51-jährigen Franken, nicht mit dem 69-jährigen Oberbayer. Wie lange und wie weit, ist offen. Siehe oben.