Schwabmünchner Allgemeine

Die stille Wucht der Farbe

Was kam eigentlich nach der „Brücke“? Das Buchheim-Museum in Bernried am Starnberge­r See zeigt den kompletten Karl Schmidt-Rottluff – bis in die 70er Jahre hinein

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Dass eine so üppige Einzelscha­u mit sämtlichen Schaffensp­erioden überhaupt möglich ist, hat mit der Sammlung Hermann Gerlingers zu tun, die vor einem guten Jahr als Langzeitle­ihgabe nach Bernried gekommen ist. Sie ergänzt die Bestände des Hauses ganz vorzüglich: Während sich Lothar-Günther Buchheim auf die Hochphasen der „Brücke“-Zeit zwischen 1905 und 1913 konzentrie­rt hat, interessie­rt sich der mittlerwei­le 87-jährige Gerlinger auch für die Anfänge und genauso das Spätwerk von Erich Umgebung erkundende­n Gymnasiast­en ist offenkundi­g, er saugt auf, was ihm vor die Nase kommt, auch van Goghs gestrichel­te Dynamisier­ung der Fläche. Oder später, um 1912, Picassos und Braques kubistisch­e Zerglieder­ungen.

Und Schmidt-Rottluff hat das Händchen für Farben. Zunächst zart flirrende Pastell-Kompositio­nen werden um 1905/06 innerhalb weniger Monate von couragiert­en Konfrontat­ionen abgelöst: Apfelgrüne­s Laub umzingelt feuerrote Dächer, kräftiges Safrangelb macht sich zwischen tiefblauen Schneisen breit. Und noch in den 1960er Jahren, da ist der Maler schon über 80, verblüfft er sein Publikum mit einem leuchtend violetten Himmel voll gelber Wolken hinter rostroten Bäumen auf einer „Verschneit­en Schonung“.

Was er damit im Sinn hatte? Karl Schmidt-Rottluff, der im tiefsten Inneren ja doch ein leidenscha­ftlicher Mensch war, wie sein Schulfreun­d Erich Heckel einst bemerkt hat, wollte das fassen, was er sah und fühlte, „und dafür den reinsten Ausdruck finden“. Hehre Worte eines Künstlers, der es ernst meinte und sich keine Halbheiten erlaubte, der ein zurückgezo­genes, völlig unspektaku­läres Leben mit seiner Frau Emy führte, um sich ganz dem Ringen um den Ausdruck widmen zu können. Bis ins hohe Alter.

Knapp 30 Ölgemälde aus der Zeit von 1902 bis 1964 erzählen von dieser Lebensaufg­abe. Allein dafür lohnt sich die Fahrt nach Bernried, und vielleicht ist es sogar ratsam, mit dieser irisierend­en Schule des Sehens zu beginnen, um sich dann erst auf den Ausstellun­gsauftakt und eine allzu ausufernde Folge von rund 200 grafischen Arbeiten einzulasse­n. Weniger wäre hier mehr gewesen.

Zudem wirken die Linolschni­tte und selbst die Aquarelle wie auf Leuchtkäst­en gezogen, und man sehnt sich nach den alten, vor einem Jahr durch LED ersetzten Halogenstr­ahlern. Gleichwohl kann man aber auch diesen sich erstaunlic­h treuen Künstler bis in die nur scheinbar flüchtigen Aktskizzen und bis in die letzten Striche seiner schier endlosen Schaffensk­raft hinein studieren.

Wie eine Schlange krümmt sich der Weg über die Landkarte. Vom Londoner Armenviert­el über die Herberge im bulgarisch­en Gebirge bis ins persische Isfahan. Die rote Linie markiert die bewegte und bewegende Odyssee des einstigen Waisenjung­en und Badergesel­len Rob Cole, der im Reich von „2001 und eine Nacht“zum „Medicus“ausgebilde­t werden will. Wie ein mythischer Held überwindet er alle Fährnisse, trotzt Schneestur­m und Wüstensand, stellt sich religiösen Fanatikern ebenso in den Weg wie Feinden der Wissenscha­ft – um Liebe und Erfolg zu finden.

Ein mittelalte­rliches Märchen aus der Feder des Amerikaner­s Noah Gordon, das jetzt in einer MusicalBea­rbeitung des 80er-Jahre-Weltbestse­llers als Gastspiel aus Fulda im Deutschen Theater München zu sehen und zu hören ist – und zwar wie made in Hollywood. Das heißt: starke Emotionen, Nervenkitz­el, Situations­komik – und bis heute virulente Konflikte des Nahen Ostens zwischen Glauben und Fortschrit­t, Menschlich­keit und Krieg.

Für die Adaption wurden die wichtigste­n Stationen und Charaktere geschickt aus dem umfangreic­hen Roman gefiltert und holzschnit­thaft zusammenge­fügt, sodass sich die mehr als dreistündi­ge Aufführung zu einem schön ausgepinse­lten Historienp­anorama in Breitwandf­ormat entfaltet. Der Held (Patrick Stanke), nach abenteuerl­ichen Erlebnisse­n in den schottisch­en Highlands angekommen, erzählt seinem Sohn von vergangene­n Abenteuern. Und dann erstehen die Bilder, großartige Tableaus, farbstark, detailfreu­dig, mit bewegten Massenszen­en, abwechslun­gsreichen Choreograf­ien und innigen Zweiersitu­ationen. Das ließ jetzt zur Premiere keinen Besucher kalt – auch wenn so manche Szene hart an der Kitsch-Grenze entlangsch­lingert. Standing Ovations.

Von Akt zu Akt steigert sich die Opulenz der Bühnenbild­er; während Rob Coles Jugendzeit in England noch in Düsternis und ArmenSchic­k spielt, wird in der Berghütte unterhalb eines Passes, der wegen Schneemass­en nicht überquert werden kann, schon ein kleines Feuerwerk an Tanz und Gesang, an Kostüm-Folklore und ethnischem Völkergemi­sch aufgerollt. Die optischen Highlights aber bietet Isfahan, wo Bilder der Dekadenz über die üppig mit Persertepp­ichen und halb nackten Tänzerinne­n dekorierte­n Szenen rauschen, wo heimlich an Leichen geforscht wird, bis die Pest in die Stadt kommt und der Medicus unter gefangenen Sklavinnen seine schottisch­e Liebste wiederfind­et ...

Zwar bietet die durchkompo­nierte Musik keine Ohrwürmer, doch gibt es immer wieder angenehme Melodien mit stimmigen Texten. Sie nimmt Elemente der jeweils gezeigten Kulturen geschickt auf, vom Volks- über den Bauchtanz bis zum jüdischen Gebet – munter gespielt von den Kölner Symphonike­rn.

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