Kunst des Wartens
Noch 23 Mal schlafen, dann ist Heiligabend, so erklärt es eine Mutter ihrem Sohn. Seit August sind Lebkuchen, Spekulatius und anderes Gebäck zu kaufen. Bereits im Oktober wurden in manchen Cafés Weihnachtsbäume aufgestellt, mancherorts Weihnachtsbeleuchtung aufgehängt – mehr als zwei Monate vor dem Fest. Wenn die eigentliche Weihnachtsfestzeit beginnt, sind manche des Festes überdrüssig und entsorgen bereits am 26.12. ihren Baum und die Dekoration. Der Sinn von Weihnachten und auch der Reiz des Festes für Kinder gehen für mich mit solch einer Praxis verloren. Zu Weihnachten gehört für mich: Warten können und sich auf das Fest vorbereiten. Mit dem 1. Advent beginnt diese Warte- und Vorbereitungszeit, die früher wie die Passionszeit eine Bußzeit war. Advent – sich vorbereiten und warten auf das Kommen Gottes in diese Welt, innerlich und in den Wohnungen und Häusern. Traditionen und Bräuche pflegen, die diese Zeit zu einer besonderen machen: Adventskalender, Basteln, Geschichten vorlesen, Plätzchen backen, Gemeinschaft mit Familie und Freunden haben, Adventslieder singen, sich Zeit für Stille und Besinnung nehmen.
Ein Brauch, den wir heute noch pflegen, geht auf den evangelischen Erzieher und Theologen Johann Hinrich Wichern zurück. 1839 erfand er den Adventskranz. Um die Zeit des Wartens anschaulich zu machen, standen ursprünglich 24 Kerzen auf dem Kranz, vier weiße große für die Adventssonntage und 20 kleine rote für jeden einzelnen Tag. So konnten die Kinder, und nicht nur sie, die Adventszeit, die Zeit bis zum Weihnachtsfest überschauen. Sie konnten erleben, wie es von Tag zu Tag heller wurde, weil täglich eine weitere Kerze angezündet wurde und auf das Licht hinwies, das durch Jesu Geburt in diese Welt gekommen ist. Die Kunst des Wartens schenkt Freude und Vorfreude, fördert Geduld und Achtsamkeit … „ Ein jegliches hat seine Zeit“, so der Prediger Salomos. Warten und sich vorbereiten hat seine Zeit, ein Fest feiern hat seine Zeit – alles zu seiner Zeit …