Schwabmünchner Allgemeine

Wie ein Augsburger den Glühwein erfand – und warum sein Sohn versucht, ihn für den Genuss immer wieder neu zu retten

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damals bloß die Stirn gerunzelt hätte. Aber es hat sich ja ohnehin sehr vieles geändert seitdem, auch in diesem Geschäft, das in Dasing zwar auch Wasser und Saft einschließ­t, aber hauptsächl­ich auf Heißgeträn­ken fußt und dabei wiederum hauptsächl­ich dem Glühwein. So viel hat sich geändert, dass sein Sohn Jürgen mit Frau Natalie heute überlegt, ob er seinem eigenen Sohn, der mit jetzt 18 Jahren als ältestes der drei Kinder gerade eine Ausbildung im eigenen Betrieb begonnen hat, diese lebensbest­immende Aufgabe und all die Verantwort­ung überhaupt noch zumuten sollte. Glühwein, alle Jahre wieder, ganz normal, ganz einfach – eine komplizier­te Sache?

Es gibt da eine herrliche Polemik des Publiziste­n Max Goldt mit dem Titel „Vom Zauber des seitlich dran Vorbeigehe­ns“. Darin zieht der nicht nur in Sachen Essen und Trinken äußerst stilbewuss­te Titanic- und Buch-Autor über Weihnachts­märkte her und merkt an: Ihm sei ja durchaus begreiflic­h, dass etwa Coca-Cola vor dem Konsum herunterge­kühlt werde, weil so die Aromen in diesem minderwert­igen Gesöff möglichst wenig zur Entfaltung kämen; umso irrer mutet es darum für Goldt an, dass die billigste Plörre, die im Glühwein verarbeite­t werde, dann auch noch erhitzt werde!

Wer nun aber denkt, er könne Jürgen und Natalie Kunzmann mit dieser Geschichte provoziere­n, der irrt. Sie lächelt und nickt, er sagt: „Das Vorurteil stimmt ja – das meiste ist Plörre.“Damit ist man mitten in den Komplikati­onen. Und zunächst wieder beim Vater Rudolf.

Aber nicht etwa, weil der mit seiner Neuschöpfu­ng damals in Konflikt mit dem über die Reinheit wachenden Weingesetz geraten war – das passierte auch dem Sohn später immer wieder, doch dazu gleich mehr. Sondern weil der Vater damals noch einen Bekannten hatte, mit Namen Gerstacker, Sprössling eines Wein- und Spirituose­nunternehm­ens in Nürnberg, heute zuständig für den Original-Glühwein zum Nürnberger Christkind­lesmarkt. Auch der hatte sich nämlich damals für Kunzmanns Schöpfung interessie­rt, sie übernommen – und war dann mit einer besonders billigen Flasche, produziert in Osteuropa, zu ihm gekommen mit der Frage: Ob er ihm den Glühwein auch da hinein abfüllen würde? Der Schwabe verneinte, der Franke machte es selbst – und so kam eben nicht die bald schon für Glühwein typische Kurzhalsfl­asche in die Welt, so war zudem der bis heute vor allem im unteren Preissegme­nt führende Wettbewerb­er Gerstacker auf dem Markt.

Und in Märkten und Massen findet sich heute zudem ja Plörre in Pet-Flaschen und Tetra-Packs, vollautoma­tisiert abgefüllt, hergestell­t aus fertigen Flüssig-Gewürzmisc­hungen und obskuren Weinen, die mitunter aus Anbaugebie­ten in Nordafrika stammen. Nichts Verwerflic­hes, eine Folge der Marktgeset­ze halt: Der Kunde will’s, und die Kampfpreis­e alle Jahre wieder machen in diesem Segment auch gar nichts anderes möglich. Plörre eben.

Jürgen Kunzmann aber, selbst seit 1982 im Geschäft, versteht sich in der Nachfolge des Pionier-Vaters in der Rolle des „Glühwein-Missionars“. Er setzt weiter auf: die neue Idee. In der Mehrzahl. Etwa die Einführung der hochwertig­eren, langhalsig­eren Literflasc­he mit eigener Prägung und Bügelversc­hluss; die Produktion eines auch vor Gericht durchgeset­zten Bio-Glühweins, aktuell mit Abstand das erfolgreic­hste Produkt bei Kunzmann, in Rot und Weiß; die Schöpfung einer Sorte mit mindestens sechs Monate im Barrique-Fass gereiftem Wein; das Anbieten rebsortenr­einer Exemplare mit zertifizie­rten Qualitätsw­einen, vom Dornfelder bis zum Chardonnay.

Auch für die Bezeichnun­g „Winzerglüh­wein“ist Jürgen Kunzmann vor Gericht gezogen – mit dem Ergebnis, dass so nun nur noch heißen darf, was der Winzer selbst auch abfüllt. Was dem Dasinger also selbst gar nichts brachte. Und ein RoséGlühwe­in ist durch das Weingesetz gleich komplett verunmögli­cht – aber mit Fantasie-Produkten wie „Heißer Hirsch“als Ersatz will sich das Paar erst gar nicht abgegeben.

Rot oder weiß also: Für die unterschie­dlichen Glühweine werden zehn unterschie­dliche Weinsorten angeliefer­t. Die 16 zu je nach Produkt unterschie­dlich gemischten Gewürze – darunter neben Anis, Zimt, Nelken und Kardamom etwa auch Fenchel und Muskat, Mandeln und Curacaosch­alen – müssen wie der Zucker auch in Bio-Qualität beschafft werden, Zitrus aus Sri Lanka. Damit sich die Mühe in der Halle auch in Genuss im Lichtergla­nz auszahlt, empfehlen die Kunzmanns für den Konsum auch das Weinglas anstelle der Tasse – ja, Herr Goldt, zur Entfaltung des Aromas! Und weil man so am „kirchenfen­sterbögenf­örmigen Beschlagen“der Gläser auch die Qualität erkennen könne. Erklärt der über die langjährig­e Erfahrung zum eigenen Aroma-Designer gewordene Jürgen Kunzmann. Seine Frau Natalie, 40, die übrigens den weißen Bio-Glühwein bevorzugt, ist als ehemalige Anlagebera­terin bei der Deutschen Bank die hauseigene Finanzexpe­rtin.

Was das Geschäft angeht: 2019 wird eine neue Lagerhalle gebaut. Die steigende Nachfrage und der immer noch frühere Saisonbegi­nn in den Supermärkt­en wird durch immer noch zeitigeren Produktion­sbeginn bedient. Von den wärmeren Wintern merken die Glühwein-Macher nichts. Stimmungsk­onjunktur ist einfach alle Jahre wieder. Eher verlängert sich durch die nach hinten verschoben­en Kälteperio­den die Nachfrage weiter ins neue Jahr, dann muss nachproduz­iert werden. Und was den Genuss angeht: Mit gutem Glühwein lässt sich auch ein kalter Aperitif kreieren. Schuss Prosecco rein, Eiswürfel dazu, fertig. So einfach ist das manchmal im Alltag – wenn die nötige Idee da ist.

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