Eine strahlende Spitzengeigerin aus Augsburg
Sophie Heinrich spielt in einem Opernhaus der deutschen Hauptstadt und künftig in einem der Spitzenensembles der Donaumetropole. Hier wie dort steht die Violinistin ganz oben in der Orchesterhierarchie
Augsburg Seit sieben Jahren sitzt die Geigerin Sophie Heinrich auf dem vordersten Stuhl des Orchesters der Komischen Oper Berlin, ist damit die Erste Konzertmeisterin an einem Haus, das zweimal zum „Opernhaus des Jahres“gewählt wurde und durch die Inszenierungen seines Intendanten Barrie Kosky international von sich reden macht. Eine Stelle, die mancher Geige spielender Kollege gewiss gerne noch viele weitere Jahre besetzen würde. Sophie Heinrich dagegen sagt, sie habe den Eindruck, „gefühlt schon ewig“in Berlin zu sein, schließlich hat sie hier auch ihr Musikhochschul-studium absolviert. Für sie jedenfalls genügend lange Zeit, um nun, mit 37, noch einmal einen Neustart zu unternehmen. Umso mehr, als die gebürtige Augsburgerin Berlin als „kühle, preußische Stadt“empfindet und sich vorgenommen hat: „Ich will wieder in den Süden.“
Da traf es sich gut, dass die Geigerin vor einiger Zeit eine Einladung von den Wiener Symphonikern erhielt: Die Position des Ersten Konzertmeisters sei neu zu besetzen, ob sie nicht vorspielen wolle? Sophie Heinrich – kupferrote Haare, direkter Blick, offenes Lächeln – kam, spielte, siegte. „Sackschwer“sei’s gewesen, sagt sie in sympathisch unverblümter Wortwahl und erzählt von den heiklen Solostellen in Richard Strauss’ „Bürger als Edelmann“, die sie in Wien vorzuspielen hatte. Jedoch – am Ende hatte sie das Orchester, dessen Mitglieder mindestens mit Zwei-drittel-mehrheit zustimmen mussten, auf ihrer Seite. Dass gerade sie, die in Berlin engagierte Augsburgerin, von den Wiener Symphonikern ins Auge gefasst worden war, kommt nicht von ungefähr. Über Jahre hinweg hat Sophie Heinrich immer wieder auf der Position des Ersten Konzertmeisters bei diversen renommierten Orchestern ausgeholfen. Das spricht sich herum. Vor ein paar Jahren musizierte sie auch mal an der Spitze des Bayerischen Staatsorchesters im Münchner Nationaltheater, Gastdirigent war Philippe Jordan – der Chef der Wiener Symphoniker.
Was hebt eine Erste Konzertmeisterin eigentlich aus der Schar der zahlreichen anderen Geigerinnen und Geiger im Orchester heraus? Sophie Heinrich zählt auf: Zum Beispiel müsse man solistisch ausgebildet sein, für all die Solostellen in Opern wie Sinfonien, die vor- zutragen Aufgabe der Geige am ersten Pult sei. Und vorneweg natürlich: Führungsqualität haben und zeigen. Wobei, sagt Sophie Heinrich, „ich bin da nicht so der alte Typ Konzertmeister“. Und um zu demonstrieren, wie es gemeint ist, rutscht sie ganz nach vorne auf die Stuhlkante, klappt die Beine weit auseinander und wirft sich, eine imaginäre Violine unters Kinn geklemmt, theatralisch in die Brust – Sinnbild des Orchester-chefgeigers vom alten Schlag. Nein, als solchen versteht sie sich nicht, eher sieht sie sich in der Rolle eines Adlers, der da wachsam und schützend über dem Orchester schwebt. Sophie Heinrich weiß auch: Es ist oft unheimlich schwer, bei einem Musikstück den ersten Ton zu setzen, gerade dann, wenn das Orchester nicht so vertraut ist mit den gestischen Gepflogenheiten eines Dirigenten. Auch in solchen Momenten ist sie als Konzertmeisterin gefragt. „Ich muss den Kollegen neben und hinter mir das Gefühl geben: Ihr könnte euch auf mich verlassen! Deshalb sage ich ihnen: Schaut auf mich!“
Das verlangt Selbstbewusstsein. Aber daran hat es Sophie Heinrich schon früher nicht gefehlt. Als sie 23 war und gerade die Hochschule absolviert hatte, spielte sie bei den Berliner Philharmonikern vor, „rotzfrech“, wie sie heute sagt. Die feste Stelle hat sie zwar nicht bekommen, wohl aber das Angebot, hin und wieder als Aushilfe geholt zu werden. Eine wichtige Erfahrung: „Sicher, ich habe da in einem der besten Orchester der Welt gespielt. Aber eben nur im Tutti, als eine unter vielen nachgeordneten Geigen. Und ich habe gemerkt: Da werde ich nicht glücklich.“Von da an lautete das Ziel: Erste Geige im Orchester – wo es den Spielraum zum Mitgestalten gibt. Denn der Platz des Ersten Konzertmeisters bildet die Spitze der hierarchisch gestaffelten Orchesterstruktur.
Sophie Heinrichs Anfänge mit der Musik und der Violine verliefen langsam, aber kontinuierlich. Die Eltern sind keine Musikerprofis, aber humanistisch und musisch gesinnt. Mit vier Jahren bekam Sophie eine erste Geige in die Hand, später ging es auf das einschlägig orientierte Gymnasium bei St. Stephan, Jugend-musiziert-wettbewerbe folgten ebenso wie die Teilnahme bei diversen Jugendorchestern. Schließlich die Entscheidung, in Berlin Geige zu studieren. „Meine Eltern haben mich immer nach Kräften unterstützt“, sagt die Tochter, „dafür bin ich ihnen dankbar.“Die Verbindung zur Heimat hat Sophie Heinrich nie abreißen lassen, jedes Jahr konzertiert sie zum Adventsbeginn in Friedberg bei Augsburg.
In sechs Monaten muss sie in Wien antreten, der Ortswechsel beschäftigt sie schon ausgiebig, auch im Hinblick auf die künftige Betreuung ihres kleinen Sohnes. Auf die Stadt freut sie sich, nicht nur, weil Wien eine Musikstadt sondergleichen sei, sondern „weil sich da gerade richtig viel tut“. Und natürlich sieht sie mit Spannung ihrem Einsatz bei den Wiener Symphonikern entgegen. Stimmt schon, sagt sie, im Vergleich mit den dortigen Philharmonikern sind die Symphoniker der weniger bekannte Klangkörper. Doch das 128 Musiker starke Orchester ist kaum weniger traditionsreich als die Philharmonikerkonkurrenz, wovon nicht zuletzt die Reihe illustrer Chefdirigenten wie Karajan, Sawallisch oder Giulini zeugt. Die neue Erste Konzertmeisterin schwärmt vom Klang („Diese typische Wiener Süße der Streicher“) und freut sich auf das große sinfonische Repertoire, denn die Symphoniker sind, wie der Name schon sagt, primär ein Konzertorchester.
„Die Oper“, seufzt Sophie Heinrich mit Blick auf ihre Berliner Jahre, „werde ich vermissen.“Diese „fantastische Schule“, wie sie findet, wo man im Zusammengehen von Sängern, Dirigent und Orchester als Konzertmeisterin immer wieder einzugreifen hat – oder „es manchmal auch einfach nur laufen lassen muss“.
Ganz ist die Oper für Sophie Heinrich freilich nicht verloren, sind die Wiener Symphoniker doch das Residenzorchester der Bregenzer Festspiele und für bestimmte Projekte auch im Theater an der Wien zugange. „Und wer weiß“, lächelt Sophie Heinrich, „vielleicht rufen ja auch mal die Wiener Philharmoniker an, wenn sie für die Staatsoper eine Aushilfs-konzertmeisterin suchen.“