Fäden zähmen den Odysseus
Was uns an der griechischen Mythologie bis heute fasziniert, führt die Schwäbische Galerie Oberschönenfeld mit Malerei von Hanns Weidner, Zeichnungen und Bronzeskulpturen vor
Der Mythos lebt. Nach wie vor dient Ödipus als Modell für eine schwierige Vater-sohn-beziehung. Nach wie vor wird in der schaumgeborenen Aphrodite das Ideal weiblicher Schönheit gesehen. Nach wie vor schlagen sich Menschen wie der listenreiche Odysseus durch die Irrfahrten ihres Lebens. Aber was hat es genau mit diesen antiken Gestalten auf sich? Gemälde von Hanns Weidner, Bronzen von Erich Schmidt-unterseher und Margarete Schepelmann-groz sowie Federzeichnungen von Georg Bernhard geben darüber in der aktuellen Ausstellung in der Schwäbischen Galerie Oberschönenfeld Auskunft. Kuratorin Mechthild Müller-hennig hat dazu die Bestände des Hauses erschlossen.
In eine märchenhafte Bilderwelt versetzt der Augsburger Maler Hanns Weidner (1906–1981) die Betrachter. Bei aller Gegenständlichkeit lässt er die Realität hinter sich und komponiert (Bühnen-) Bilder von hoher Symbolkraft. Er stilisiert die auftretenden Personen in ihrer Wesentlichkeit, gern als Hohlfiguren. So stehen dem stierköpfigen Minotaurus schemenhafte, lang gezogene Puppen gegenüber mit winzigen Köpfen und scheu zurückgebogenen Körpern. Sie sind seine Opfer, solange den Unhold nicht jemand unschädlich macht. Theseus wird die Heldentat vollbringen, doch Voraussetzung sind die lotsen- den Fäden, die seine Geliebte Ariadne durchs Labyrinth vom Ausgang her spannt. Das Mädchen ist die eigentliche Zähmerin, sie hält den ungestümen Stiergott bereits an der Leine. Weidner wählt ein gebrochenes Grüngrau als Hintergrundfarbe und stellt das Geschehen auf eine Bühne, die Ariadne als Frauenakt wie eine Regisseurin in einem Tuch geborgen steuert. Denselben Mythos formt Weidner auch als eine Collage, die stark den verwirrenden Palast des Minotaurus akzentuiert, während Ariadne wie eine Heroenstatue platziert ist. Dazu passt der dominante Kranich, der die Winkelzüge des Labyrinths in seinem Tanz nachahmt.
Wunderlich weiß Weidner die Abenteuer des Odysseus darzustel- len. Der katzenhaften Zauberin Kirke sitzt er nackt wie eine griechische Vasenfigur gegenüber. Im Hintergrund spannt sich das Spinnennetz ihrer Liebeslist, doch Odysseus ist gefeit durch ein Zauberkraut, während seine Gefährten von Kirke in quiekende Schweine verwandelt worden sind. Die schicksalsträchtigen Sirenen, deren Gesang jeden Seefahrer an den Klippen zerschellen lässt, zeigt Weidner als geheimnisvolle weiße Harfen auf der Wasserfläche, denen Odysseus wie eine ägyptische Mumie in ein gelb-rot gestreiftes Tuch gehüllt und mit geschwärztem Gesicht entgeht. Schaurig wirkt der Abstieg des Helden in die Unterwelt, wo er die Toten befragen soll. Scheu verhüllen sie sich in ihrem fahlen Land, deutlich steht die Grenze des Lebendigen zwischen ihnen. Unter seinen mächtigen schwarzen Schwingen hat Fährmann Charon die Bekümmerten dorthin übergesetzt.
Weidners Malerei geleitet wie ein großer Bilderbogen durch die Ausstellung auf zwei Stockwerken. Intensiv hatte er sich mit der antiken Mythologie auseinandergesetzt und immer wieder verblüffende Bildschöpfungen erfunden. Vor allem in Zusammenhang mit den vielen Wandlungen des Zeus – sei es dass er als Goldregen auf die empfängliche Danae niedergeht oder dass er als weißer, brüllender Stier die phönizische Königstochter Europa auf den anderen Kontinent entführt und dort eine Morgenröte in warmen Rot-, Orange- und Ockertönen hervorruft. Dieselbe Farbigkeit markiert im „Sturz des Ikarus“dagegen eine verbrannte Landschaft infolge einer sich selbst überschätzenden Technik.
Einige Arbeiten anderer Künstler verleihen der Ausstellung zusätzlichen Reiz. Etwa die dichten Zeichnungen Georg Bernhards, der unter die Haut geht und mit barocker Energie den Menschen mit seiner Tusche auf dem Büttenpapier formt. Etwa von Erich Schmidt-unterseher die kompakte Bronzeskulptur der jungfräulichen Daphne, die sich fliehend in einen Lorbeerstrauch verwandelt, um ihrer Verführung zu entgehen. Etwa Margarete Schepelmann-groz’ Relief des triumphierenden Neptun, der mit seinem Dreizack und einem Netz über seinen Meeresgespielinnen aufsteigt. Es sind geronnene Menschheitserfahrungen und dramatische Verhaltensmomente, welche diese Mythologien bis heute so faszinierend machen. Ausdrücklich fragt die Kuratorin auch nach deren Vermarktung. Ständig, so sagt sie, seien die Menschen auf der Suche nach Bildern und Geschichten, in denen es um Liebe, Abenteuer, Sensation und Tod geht. Der Mythos bietet dafür starke Motive, die sich frei immer wieder neu interpretieren lassen.
OLaufzeit bis 6. Januar; geöffnet Di. bis So. 10–17 Uhr, auch an allen Feiertagen.