Das lange Zerren um die Nebenerwerbssiedlung
Drei Meter müssten die Anwohner abtreten, damit drei neue Stichstraßen im Wohngebiet entstehen. Doch der Widerstand hält an. Warum der Bürgermeister in der Kritik steht
Untermeitingen Um diesen Konflikt zu verstehen, muss man weit zurückblicken. Bis in die Nachkriegszeit. Damals ließen sich Siedler im Osten von Untermeitingen nieder, in spitzgiebeligen Häusern auf schmalen Grundstücken. Die Gärten boten dort Platz für den Anbau von Obst und Gemüse, zur Selbstversorgung. Die Straßen zu ihren Häusern erschlossen sich die Bewohner privat – so entstand die Nebenerwerbssiedlung. Doch das liegt nun 70 Jahre zurück. Inzwischen wollen die nächsten Generationen dort bauen. Deshalb plant die Gemeinde drei neue Stichstraßen in der Siedlung. Und stößt dabei seit Jahren auf Gegenwehr.
Aus der Vogelperspektive scheint das Areal wie mit dem Rechen gezogen: Sudeten-, Bayern- und Schlesierstraße verlaufen parallel, dazwischen sollen nun die Planstraßen A, B und C entstehen. Dafür müssten Anwohner etwa drei Meter von ihren Grundstücken an die Gemeinde abtreten. Hier beginnt der Konflikt.
Seit 2017 engagieren sich die Anwohner im Verein zum Erhalt der Lebensqualität in Untermeitingen, kurz Velu, gegen die geplanten Straßen. Der Verein äußert nun seinen Unmut in einem Brief an unsere Zeitung: „Was sind das für öffentliche Belange, wenn die Gemeinde davon spricht, Bürger zu enteignen, um privaten Wohnraum zu fördern?“Dieser Wohnraum könne genauso gewonnen werden, wenn die bisherige Regelung der privaten Erschließung beibehalten würde. Laut Velu entstünden durch den Straßenbau etwa 35 000 Euro an Kosten für jeden Grundstückseigentümer. Egal, ob er bauen möchte und kann – oder nicht. Bürgermeister Simon Schropp, der das Vorha- ben vorantreibt, nennt andere Zahlen: etwa 20000 Euro pro Grundstück, alle Baumaßnahmen und Gebühren inbegriffen. Zudem könne man den Zeitraum der Zahlung ausweiten und verzögern. Die genauen Kosten stünden jedoch erst mit Abschluss aller Baumaßnahmen fest.
Durch den Straßenbau rechnet Velu mit einer Flächenversiegelung von 4000 Quadratmetern: „Und das zu Zeiten, in denen einige Politiker endlich erkannt haben, das eine sinnlose Versiegelung in Bayern dringend gestoppt werden muss.“Schropp hält dagegen: Lediglich vier Prozent des Grundstücks müssten die Anwohner an die Gemeinde abtreten. Für einen Quadratmeterpreis von 110 Euro, so heißt es aus Kreisen des Gemeinderats. Baugrund in Untermeitingen ist gefragt und Schropp führt Gespräche mit den Eignern. Es geht ihm um „geordnete Erschließung“und Nachverdichtung, mit sicheren Straßenverhältnissen und ausreichendem Wendeplatz für Feuerwehr und Mühlabfuhr. „Wir wollen die Entwicklung lenken“, sagt der Bürgermeister. Als negatives Beispiel nennt Schropp das Areal rund um das frühere Haus Richthofen. Dort plante einst ein privater Investor, der das Gelände dichter und enger besiedelte als zunächst geplant. Statt 18 Grundstücken entstanden 26. Schropp sagt nun, er wolle vermeiden, dass sich diese Entwicklung wiederhole.
In der Freinacht dieses Jahres zeigte sich der Widerstand gegen die Pläne: Neue Straßenschilder tauchten über Nacht in der Nebenerwerbssiedlung auf. „Gallien“, „Löschzwerg-Weg“, „SchropperAllee“– handgemalte Anspielungen auf Schropp und die Gemeindeverwaltung. Doch es bleibt nicht bei Scherzen: 21 Grundstücksbesitzer wollen juristisch gegen die Pläne vorgehen und streben eine sogenannte Normenkontrolle an.
Reiner Cruse, Anwohner und Mitglied von Velu, empört sich. „Der Gemeinderat hat sich noch nie mit den individuellen Gegebenheiten unseres Grundstückes vor Ort beschäftigt“, schreibt er. „Dieser Gemeinderat entscheidet aber, dass es für uns das Beste ist, circa 70 Quadratmeter unseres Grundstückes für öffentliche Straßen herzugeben. Diese Straße dürfen wir dann auch noch bezahlen.“
Sein Grundstück sei bereits durch eine privat finanzierte Zufahrt erschlossen, sagt Cruse. „Welche Wertsteigerung sich durch eine zweite Zufahrt ergibt, welche wir wieder selbst bezahlen, erschließt sich uns nicht.“
Bisher stimmen im Gemeinderat alle Fraktionen für die Pläne – bis auf die Mitglieder der Freien Wählervereinigung. Sie bezweifeln, dass das Vorhaben rechtlich sicher ist und als Satzung verabschiedet werden kann, bevor alle Anwohner drei Meter ihres Grundstücks abgetreten haben. „Wir folgen einem Prinzip: Nichts tun, was gegen die Mehrheit der Betroffenen ist“, sagt der Fraktionsvorsitzende Herbert Riess.
Valentin Singler besitzt zwei Grundstücke in der Siedlung und unterstützt die rechtlichen Schritte. Die Konfrontation mit Schropp betrachtet er gelassen: „Er hat seinen Anwalt, wir haben unseren.“Eine der Stichstraßen soll dort verlaufen, wo jetzt noch eine Hecke Singlers Grundstück begrenzt. Aus zwei Gründen sei er gegen den Straßenbau: Weil es die Anwohner zu viel koste und auch, weil entlang der Planstraße B schon viel zu viel privat erschlossen worden sei. Nur neue Käufer und Bauherrn würden profitieren.
Velu betont im Brief, dass die Anwohner immer noch bereit seien, „eine vernünftige Lösung für alle Betroffenen im offenen Dialog zu finden“. Eine private Erschließung mit Gestaltungsvorschriften der Gemeinde könne ebenso einer „weiteren Zersiedelung“vorbeugen und ein „harmonisches Wachsen“des Wohngebietes erreicht werden. „Gerne laden wir Bürgermeister Schropp mit seinem Gemeinderat zu einer Ortsbesichtigung ein.“Schropp entgegnet: „Ich selbst war schon in vielen Gärten mit den betroffenen Eigentümern unterwegs und werde durch meine Grundstücksverhandlungen natürlich weitere Ortsbesichtigungen vornehmen.“Er nehme jede Einladung des Vereins persönlich an und stelle sich vor Ort den Fragen.
Der juristischen Auseinandersetzung blickt er entspannt entgegen: „Das ist auch okay. Dann haben wir ein klares Urteil.“Nach dem jüngsten Beschluss im Gemeinderat liegen die Pläne demnächst noch einmal öffentlich aus. Bürger und Behörden können Stellung beziehen.