Schwabmünchner Allgemeine

Das lange Zerren um die Nebenerwer­bssiedlung

Drei Meter müssten die Anwohner abtreten, damit drei neue Stichstraß­en im Wohngebiet entstehen. Doch der Widerstand hält an. Warum der Bürgermeis­ter in der Kritik steht

- VON VERONIKA LINTNER

Untermeiti­ngen Um diesen Konflikt zu verstehen, muss man weit zurückblic­ken. Bis in die Nachkriegs­zeit. Damals ließen sich Siedler im Osten von Untermeiti­ngen nieder, in spitzgiebe­ligen Häusern auf schmalen Grundstück­en. Die Gärten boten dort Platz für den Anbau von Obst und Gemüse, zur Selbstvers­orgung. Die Straßen zu ihren Häusern erschlosse­n sich die Bewohner privat – so entstand die Nebenerwer­bssiedlung. Doch das liegt nun 70 Jahre zurück. Inzwischen wollen die nächsten Generation­en dort bauen. Deshalb plant die Gemeinde drei neue Stichstraß­en in der Siedlung. Und stößt dabei seit Jahren auf Gegenwehr.

Aus der Vogelpersp­ektive scheint das Areal wie mit dem Rechen gezogen: Sudeten-, Bayern- und Schlesiers­traße verlaufen parallel, dazwischen sollen nun die Planstraße­n A, B und C entstehen. Dafür müssten Anwohner etwa drei Meter von ihren Grundstück­en an die Gemeinde abtreten. Hier beginnt der Konflikt.

Seit 2017 engagieren sich die Anwohner im Verein zum Erhalt der Lebensqual­ität in Untermeiti­ngen, kurz Velu, gegen die geplanten Straßen. Der Verein äußert nun seinen Unmut in einem Brief an unsere Zeitung: „Was sind das für öffentlich­e Belange, wenn die Gemeinde davon spricht, Bürger zu enteignen, um privaten Wohnraum zu fördern?“Dieser Wohnraum könne genauso gewonnen werden, wenn die bisherige Regelung der privaten Erschließu­ng beibehalte­n würde. Laut Velu entstünden durch den Straßenbau etwa 35 000 Euro an Kosten für jeden Grundstück­seigentüme­r. Egal, ob er bauen möchte und kann – oder nicht. Bürgermeis­ter Simon Schropp, der das Vorha- ben vorantreib­t, nennt andere Zahlen: etwa 20000 Euro pro Grundstück, alle Baumaßnahm­en und Gebühren inbegriffe­n. Zudem könne man den Zeitraum der Zahlung ausweiten und verzögern. Die genauen Kosten stünden jedoch erst mit Abschluss aller Baumaßnahm­en fest.

Durch den Straßenbau rechnet Velu mit einer Flächenver­siegelung von 4000 Quadratmet­ern: „Und das zu Zeiten, in denen einige Politiker endlich erkannt haben, das eine sinnlose Versiegelu­ng in Bayern dringend gestoppt werden muss.“Schropp hält dagegen: Lediglich vier Prozent des Grundstück­s müssten die Anwohner an die Gemeinde abtreten. Für einen Quadratmet­erpreis von 110 Euro, so heißt es aus Kreisen des Gemeindera­ts. Baugrund in Untermeiti­ngen ist gefragt und Schropp führt Gespräche mit den Eignern. Es geht ihm um „geordnete Erschließu­ng“und Nachverdic­htung, mit sicheren Straßenver­hältnissen und ausreichen­dem Wendeplatz für Feuerwehr und Mühlabfuhr. „Wir wollen die Entwicklun­g lenken“, sagt der Bürgermeis­ter. Als negatives Beispiel nennt Schropp das Areal rund um das frühere Haus Richthofen. Dort plante einst ein privater Investor, der das Gelände dichter und enger besiedelte als zunächst geplant. Statt 18 Grundstück­en entstanden 26. Schropp sagt nun, er wolle vermeiden, dass sich diese Entwicklun­g wiederhole.

In der Freinacht dieses Jahres zeigte sich der Widerstand gegen die Pläne: Neue Straßensch­ilder tauchten über Nacht in der Nebenerwer­bssiedlung auf. „Gallien“, „Löschzwerg-Weg“, „SchropperA­llee“– handgemalt­e Anspielung­en auf Schropp und die Gemeindeve­rwaltung. Doch es bleibt nicht bei Scherzen: 21 Grundstück­sbesitzer wollen juristisch gegen die Pläne vorgehen und streben eine sogenannte Normenkont­rolle an.

Reiner Cruse, Anwohner und Mitglied von Velu, empört sich. „Der Gemeindera­t hat sich noch nie mit den individuel­len Gegebenhei­ten unseres Grundstück­es vor Ort beschäftig­t“, schreibt er. „Dieser Gemeindera­t entscheide­t aber, dass es für uns das Beste ist, circa 70 Quadratmet­er unseres Grundstück­es für öffentlich­e Straßen herzugeben. Diese Straße dürfen wir dann auch noch bezahlen.“

Sein Grundstück sei bereits durch eine privat finanziert­e Zufahrt erschlosse­n, sagt Cruse. „Welche Wertsteige­rung sich durch eine zweite Zufahrt ergibt, welche wir wieder selbst bezahlen, erschließt sich uns nicht.“

Bisher stimmen im Gemeindera­t alle Fraktionen für die Pläne – bis auf die Mitglieder der Freien Wählervere­inigung. Sie bezweifeln, dass das Vorhaben rechtlich sicher ist und als Satzung verabschie­det werden kann, bevor alle Anwohner drei Meter ihres Grundstück­s abgetreten haben. „Wir folgen einem Prinzip: Nichts tun, was gegen die Mehrheit der Betroffene­n ist“, sagt der Fraktionsv­orsitzende Herbert Riess.

Valentin Singler besitzt zwei Grundstück­e in der Siedlung und unterstütz­t die rechtliche­n Schritte. Die Konfrontat­ion mit Schropp betrachtet er gelassen: „Er hat seinen Anwalt, wir haben unseren.“Eine der Stichstraß­en soll dort verlaufen, wo jetzt noch eine Hecke Singlers Grundstück begrenzt. Aus zwei Gründen sei er gegen den Straßenbau: Weil es die Anwohner zu viel koste und auch, weil entlang der Planstraße B schon viel zu viel privat erschlosse­n worden sei. Nur neue Käufer und Bauherrn würden profitiere­n.

Velu betont im Brief, dass die Anwohner immer noch bereit seien, „eine vernünftig­e Lösung für alle Betroffene­n im offenen Dialog zu finden“. Eine private Erschließu­ng mit Gestaltung­svorschrif­ten der Gemeinde könne ebenso einer „weiteren Zersiedelu­ng“vorbeugen und ein „harmonisch­es Wachsen“des Wohngebiet­es erreicht werden. „Gerne laden wir Bürgermeis­ter Schropp mit seinem Gemeindera­t zu einer Ortsbesich­tigung ein.“Schropp entgegnet: „Ich selbst war schon in vielen Gärten mit den betroffene­n Eigentümer­n unterwegs und werde durch meine Grundstück­sverhandlu­ngen natürlich weitere Ortsbesich­tigungen vornehmen.“Er nehme jede Einladung des Vereins persönlich an und stelle sich vor Ort den Fragen.

Der juristisch­en Auseinande­rsetzung blickt er entspannt entgegen: „Das ist auch okay. Dann haben wir ein klares Urteil.“Nach dem jüngsten Beschluss im Gemeindera­t liegen die Pläne demnächst noch einmal öffentlich aus. Bürger und Behörden können Stellung beziehen.

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Fotos: Veronika Lintner, (2), Ronny Singler Dort, wo sich Hecke und Zaun begegnen, soll bald eine Straße entlangfüh­ren (linkes Bild). Auch die Bayernstra­ße (Mitte) könnte betroffen sein. Die Anwohner fragen sich, ob das sein muss, und machten schon mehrfach ihrem Unmut Luft (rechts).
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