Wie ein Polizist Judo nach Äthiopien bringt
Porträt Die Kampfsportart war in dem afrikanischen Land unbekannt. Dann begann Johannes Daxbacher, dort in seiner Freizeit Kurse zu geben. Kinder haben beim Judo Spaß, für Erwachsene hat es einen ernsten Hintergrund
Viele der besten Langstreckenläufer der Welt kommen aus Äthiopien. Haile Gebrselassie, heute 45, mehrfacher Olympiasieger und Weltrekordler, war so ein Ausnahmetalent. Die kleine Eliena, die ihren deutschen Ausbilder in einer Sporthalle von Addis Abeba zu Boden gebracht hat, könnte eines Tages auch international erfolgreich sein. Die Fünfjährige trainiert Judo – in einem Land, das mit seinen 105 Millionen Einwohnern weltweit zu den ärmsten zählt, und wo diese Sportart bis vor wenigen Jahren gänzlich unbekannt war. Das hat sich mit Johannes Daxbacher geändert.
Der heute 55-Jährige hat 2010 das Projekt „Judo for Ethiopians“aus der Taufe gehoben und betreut es seither ehrenamtlich. Dafür reist der Bayer, der bei der Bereitschaftspolizei in Königsbrunn arbeitet, regelmäßig im Urlaub nach Äthiopien, veranstaltet kostenlose JudoCamps, schult Ausbilder, nimmt Gürtel-Prüfungen ab.
Wie zuletzt im November. Gleich nach seiner Ankunft fand in der äthiopischen Hauptstadt ein JudoTurnier mit rund 80 Teilnehmern statt. Wie Daxbacher nach seiner Rückkehr im Gespräch mit unserer Zeitung erzählt, waren unter den Zuschauern auch der Sportminister Habtamu Sisay und der japanische Botschafter, letzterer als Schirmherr der Veranstaltung. Japan ist das Mutterland dieser Kampfsportart. Für noch mehr Aufsehen sorgte der Deutsche, weil er in diesem Jahr beim größten Volkslauf Afrikas mit an den Start ging. Unter Zehntausenden Teilnehmern trug er als einziger den weißen Judoanzug. Er lief Reklame für seinen Sport.
Warum sucht sich der kräftig gebaute Zwei-Zentner-Mann ausgerechnet diesen komplizierten, bis vor kurzem noch autoritär regierten Vielvölkerstaat aus, um Judo voranzubringen? Den Anstoß, so erzählt der 55-Jährige, gab eine Nachricht, die ihn 2010 über das Internet erreichte. Darin bat ein ihm unbekannter Äthiopier den Judoka um seine Hilfe. Tsegaye Degineh, ein in Berlin lebender promovierter Wissenschaftler, hatte gerade ein Sportbuch über sein Heimatland geschrieben und suchte jemanden, der dort Judo bekannt machen könnte. Daxbacher, Träger des 6. Dan und seit Langem international im Judosport vernetzt, schien ihm der richtige Mann. Er sollte recht behalten.
Der Polizeihauptkommissar in Königsbrunn reiste noch im selben Jahr auf eigene Kosten ins Land am Horn von Afrika. Er ist ein Überzeugungstäter. Und er hat Glück, dass ihn dabei seine italienische Ehefrau Regina, selbst eine dekorierte Judo-Lehrerin, unterstützt. Gemeinsam sind sie schon nach Äthiopien gereist, um getrennt oder als Team Frauen und Männer die notwendigen Wurf- und Falltechniken beizubringen.
Obwohl Äthiopien eine männlich dominierte Gesellschaft ist, dürfen beide Geschlechter gemeinsam den Sport ausüben. Anders im Sudan, wie sich Daxbacher in diesem Jahr
Sanftes Judo contra martialisches Auftreten
selbst überzeugte. In Khartum waren 40 Sudanesen der Einladung des Deutschen gefolgt und nahmen an einem öffentlichen Training teil. Frauen dürfen im Sudan nur unter sich trainieren, dabei müssen sie ein Kopftuch tragen.
Mittlerweile wird Daxbachers Ein-Mann-Aktion vom deutschen wie dem Weltjudoverband unterstützt. Mehrere Landtags- und Bundestagsabgeordnete sowie Bundesministerien haben sich schon für sein Projekt eingesetzt. Entwicklungshilfeminister Gerd Müller hat die Initiative in sein Programm „Mehr Platz für Sport – 1000 Chancen für Afrika“aufgenommen. Sogar die Vereinten Nationen haben sich schon bei dem rührigen Judoka gemeldet. Willi Lemke, einst Manager des SV Werder Bremen und bis 2016 UN-Sonderbotschafter für Sport, reiste selbst nach Addis Abeba, um sich zu informieren, wie interessiert die Äthiopier an dieser Sportart sind. Wichtig auch die Hilfe der deutschen Botschaft in Addis Abeba sowie der äthiopischen Botschaft in Berlin, wenn es gilt, die Hürden der Bürokratie zu überwinden. Noch gut erinnert sich der Polizist, wie die äthiopischen Behörden für gespendete Judomatten aus Deutschland Einfuhrzoll verlangten, er bei den örtlichen Behörden um eine Halle betteln musste, wenn er kostenloses Training anbot. Einiges ist besser geworden, es fehlt aber immer noch an vielem. Sein Traum sei, sagt der 55-Jährige, mehrere Ausbildungszentren zu schaffen. 30 bis 50 lizenzierte Trainer wären dazu notwendig. In einem Land, das dreimal so groß ist wie Deutschland.
gibt es zehn einheimische Trainer. Dabei stößt Judo bei Äthiopiern auf überraschende Resonanz. „Kinder wollen Spaß haben. Männliche Äthiopier wollen Judo lernen, schon allein, um sich bei Überfällen wehren zu können. Und Frauen wollen sich, wie sie sagen, gegen häusliche Gewalt zur Wehr setzen können.“Die, die in seine Kurse kommen, beobachtet Daxbacher, seien generell „sehr talentiert“. Als er im Jahr 2010 das erste Mal zu einem Judotraining lud, kamen auf Anhieb 120 Interessierte.
Ein Teilnehmer war 800 Kilometer angereist. Im Bus, auf teilweise katastrophalen Straßen. Und anders als in Addis Abeba – „da läuft es inzwischen toll“– wird Judo in den Regionen noch immer unter einfachsten Bedingungen trainiert. In Turnhallen, aus Wellblech und Eukalyptusstämmen gezimmert, mit hartem Betonboden. Sehr schmerzhaft, weil den Kämpfern die weiche Judomatte fehlt. Im Herbst 2013 schickte das Auswärtige Amt einen ersten Container mit gebrauchten Judomatten und gebrauchter Judokleidung nach Äthiopien. Aus Spenden bei internationalen Wettkämpfen eingesammelt, wie dem German Grand Prix. Einmal im Jahr kommen aus der ganzen Welt mehrere Hundert Judoka nach Düsseldorf. Schon 2015 kämpften, eingeladen vom deutschen Judoverband, zwei Äthiopier mit auf der Matte.
Am Ende des Gesprächs wartet der Polizist noch mit einer Überraschung auf. Er zeigt ein Foto, das ihn vor 600 Polizeischülern im Norden Äthiopiens zeigt. Eingeladen von einem äthiopischen Polizeigeneral sprach er über Judo. Diese Kampfsportart sei, wie Daxbacher mithilfe zweier amharisch und tiDerzeit grayinisch sprechender Dolmetscher seinen Zuhörern klar zu machen versuchte, die elegantere Art der Konfliktlösung.
Ungewohnte Töne in einem Land, wo martialisches Auftreten bewaffneter Polizisten das Straßenbild prägt. Dabei bedeutet Judo in der japanischen Sprache „der sanfte, der flexiblere Weg.“Auf Bitten des Polizeigenerals sprach Daxbacher dann noch das Thema Menschenrechte und Menschenwürde an. Und so hörten 600 Polizeischüler den Gast das deutsche Grundgesetz zitieren: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“Ein verblüffendes Erlebnis in einem Land, wo nach Berichten von Amnesty International Männer wie Frauen immer noch Opfer brutaler staatlicher Gewalt werden.