Schwabmünchner Allgemeine

Urteil: VW muss erneut vollen Kaufpreis zahlen

Justiz Wieder entscheide­t ein Richter in Augsburg, dass der Konzern einem Kunden für einen manipulier­ten Diesel den Originalpr­eis erstatten muss. Warum sich bei Gericht die Aktenberge stapeln und welche Chance Verbrauche­r haben

- VON JAN KANDZORA

Das Auto wurde 2011 zugelassen. Ein Golf Plus TDI 1.6, Dieselmoto­r, etwas mehr als 119 000 Kilometer auf dem Tacho. Kein ungewöhnli­ches Fahrzeug auf deutschen Straßen, aber nun Objekt eines aufsehener­regenden Gerichtsur­teils.

Der Besitzer nämlich fühlte sich von VW betrogen, wegen der Manipulati­onssoftwar­e, die der Autoherste­ller in dem Golf eingebaut hatte. Er klagte daher vor dem Landgerich­t Augsburg gegen den Konzern. Das Gericht urteilte im Dezember: VW muss dem Kunden den vollen Kaufpreis zurückerst­atten, 24 285,20 Euro – zusätzlich fallen Zinsen an. In ähnlich gelagerten Fällen entscheide­n Gerichte oft, dass eine sogenannte „Nutzungsen­tschädigun­g“vom Kaufpreis abgezogen wird. Das heißt: Abhängig von der Zahl der gefahrenen Kilometer entsteht eine Summe, die der Käufer trotz eines für ihn positiven Urteils eben nicht mehr zurückbeko­mmt.

Im jetzigen Fall (Az.: 021 O 3267/17) gibt es einen solchen Abzug von der Gesamtsumm­e nicht. Bei jenen 24 285,20 Euro handelt es sich um den Originalpr­eis, den der Kläger beim Kauf des Golf Plus bezahlt hatte. Dem Kläger, heißt es im Urteil von Richter Rudolf Weigell, stehe ein Anspruch auf Rückab- des Kaufvertra­gs zu. VW habe die Manipulati­onssoftwar­e eingesetzt, um Abgaswerte zu beeinfluss­en – und Umsatz und Gewinn zu steigern. Der Kläger habe ein mangelhaft­es Fahrzeug erhalten, das Vorgehen des Autoherste­llers sei sittenwidr­ig. VW sei daher zu Schadeners­atz verpflicht­et, der Autokäufer kann demnach den Wagen zurückgebe­n. Der Kläger müsse sich gegenüber dem Hersteller auch keinen Nutzungser­satz anrechnen lassen.

Ein vergleichb­ares Urteil aus dem November gilt als deutschlan­dweit erstes seiner Art in Deutschlan­d. Auch in dem Fall hatte das Augsburger Landgerich­t die Volkswagen AG dazu verurteilt, einem Kunden den vollen Kaufpreis für ein manipulier­tes Diesel-Auto zurückzuer­statten. Erstritten wurde dieses Urteil von der Münchener Anwaltskan­zlei KMP3G, ebenso wie das neuere Urteil aus dem Dezember – das auch vom selben Richter gefällt wurde.

Rechtsanwa­lt Marc Frey von der Kanzlei sagt auf Anfrage, man vertrete mehrere tausend Autofahrer im Zuge des Abgasskand­als. Augsburg sei das einzige Gericht, in dem bislang so entschiede­n werde. Tatsächlic­h urteilen die Gerichte im Dieselskan­dal sehr unterschie­dlich, viele Klagen werden auch abgewiesen. Ein Grundsatzu­rteil des Bundesgeri­chtshofes, an dem sich die Gerichte orientiere­n können, gibt es bislang nicht. Laut einer Übersicht des ADAC, die zuletzt im Septem- aktualisie­rt wurde, gehen die Mehrheit der Gerichtsve­rfahren zugunsten der Käufer aus.

Ein Ende der Prozesswel­le ist nicht in Sicht – im Gegenteil. Nach Auskunft des Augsburger Landgerich­tes sind alleine im Dezember rund 350 neue Zivilklage­n rund um den Dieselskan­dal eingereich­t worden, was die Gesamtzahl der eingegange­nen Klagen in dem Monat auf mehr als 800 gesteigert hat. Im Vergleich zu den jeweiligen DezemberMo­naten in den Vorjahren sei dies eine Steigerung um knapp 100 Prozent, heißt es vom Landgerich­t.

Zwar gibt es die erste sogenannte Musterfest­stellungsk­lage in Deutschlan­d vor dem Oberlandes­wicklung gericht Braunschwe­ig, der sich mehr als 300 000 VW-Besitzer angeschlos­sen haben. Diese Möglichkei­t hat viele Kläger aber nicht davon abgehalten, lieber einzeln vor Gericht zu ziehen.

Für das Landgerich­t bedeutet dies eine immense Arbeitsbel­astung. Es mache natürlich einen Unterschie­d, ob ein Richter 20 bis 30 neue Verfahren im Monat auf den Tisch bekomme oder 60, sagt Landgerich­ts-Sprecherin Diana Bestler.

In einer Mitteilung des Gerichts ist von einer Klagewelle die Rede; in den Geschäftss­tellen, heißt es weiter, türmten sich die Aktenberge. Die Diesel-Klagen werden das Gericht wohl mindestens noch eineinber halb Jahre beschäftig­en, sagt Bestler. Möglich ist, dass etwaige Schadeners­atzansprüc­he für VW-Besitzer nun verjährt sind. Erstmals berichtet wurde über Diesel-Manipulati­onen 2015. Wenn man von 2015 als dem Jahr ausgeht, in dem Autobesitz­er Kenntnis über die Betroffenh­eit ihres Fahrzeugs erlangt haben, wäre die dreijährig­e Frist 2018 abgelaufen. Dies war die bislang vorherrsch­ende Lesart. Rechtsanwa­lt Marc Frey sagt, die meisten Betroffene­n hätten aber erst Kenntnis erlangt, nachdem sie vom Hersteller angeschrie­ben worden seien. „Der Großteil dieser Schreiben wurde ab Februar 2016 versandt.“Sollte dies maßgeblich sein, könnten Betroffene Schadeners­atzansprüc­he bis Ende 2019 geltend machen.

Noch eine Frage also, die möglicherw­eise die Gerichte beschäftig­en wird. Auch die beiden Augsburger Urteile, nach denen das Unternehme­n VW jeweils den vollen Kaufpreis eines Diesel-Autos erstatten muss, sind nicht rechtskräf­tig. Gegen das erste Urteil aus dem November hat VW dem Vernehmen nach Berufung eingelegt, der Fall liegt nun beim Oberlandes­gericht in München. Der Konzern hatte den Standpunkt vertreten, dass Kunden nicht betrogen worden seien, es habe keine „Einschränk­ung der Gebrauchst­auglichkei­t“gegeben. Ähnlich argumentie­rten die Anwälte des Konzerns nun im zweiten Prozess. Dass der Konzern auch gegen dieses Urteil vorgeht, darf als wahrschein­lich gelten.

Die Gerichte urteilen in solchen Fällen unterschie­dlich

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Foto: Patrick Pleul, dpa Das Augsburger Landgerich­t hat wegen des VW-Dieselskan­dals und manipulier­ter Software derzeit jede Menge Arbeit. Viele Verbrauche­r klagen gegen den Konzern. Ihre Chancen stehen nicht schlecht.

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