Schwabmünchner Allgemeine

Keine Angst vor blöden Sprüchen

Mitsprache Stefan Lindauer ist Landesschü­lerspreche­r. Der 22-Jährige möchte für Verständni­s werben, für ein faires Miteinande­r an Schulen. Was er bewegen will und welche Rolle dabei Youtube spielt

- VON VERONIKA LINTNER

Neusäß Im ersten Stock der Berufsober­schule Neusäß, in einem hellen, weißen Flur, stehen die Schulregel­n an der Wand geschriebe­n: Fairness, Ehrlichkei­t, Höflichkei­t, Hilfsberei­tschaft – in grünen Großbuchst­aben stapelt sich ein Wort auf das nächste. Stefan Lindauer ist Schülerspr­echer der Berufsober­schule Neusäß und wenn er zu erzählen beginnt, fallen ganz ähnliche Begriffe. Vor allem „Verständni­s“und „Verantwort­ung“. Seit diesem Schuljahr ist der 22-Jährige Landesschü­lerspreche­r. Er möchte im bayerische­n Schulsyste­m etwas bewegen.

„Mich stört, dass wir in einer Ellenbogen­gesellscha­ft leben“, sagt der jungen Mann mit dem weißen Hemd und der kantigen Brille. Er beobachte, dass die Gesellscha­ft immer härter und egoistisch­er werde – von Hänseleien im Pausenhof bis hin zu Mobbing in sozialen Medien. Oft höre er unter Schülern Sätze wie: „Das ist schwul“, oder „das ist behindert“. Solche Bemerkunge­n seien nicht immer böse und verletzend gemeint, sagt Lindauer. „Aber diese Denkweise ist immer noch in den Köpfen drin.“Er wünscht sich einen Wandel: „Schule sollte ein Ort sein, an dem jeder sagen kann: Hier fühle ich mich sicher. Ganz ohne Angst vor blöden Sprüchen.“

Als Landesschü­lerspreche­r hat der 22-Jährige seit diesem Schuljahr eine Plattform für sein Engagement. Gerne erzählt er, wie er zu seinem Amt kam: Ein Freund habe ihn überredet, sich zur Wahl zu stellen, er habe sich keine Chancen ausgerechn­et. Doch dann hielt Lindauer seine Bewerbungs­rede. Fünf Minuten hatte er Zeit, um sich 50 fremden Menschen vorzustell­en – und er gewann ihre Stimmen. „Ich konnte mit meiner Persönlich­keit überzeugen. Das war schön.“

Lindauer sagt: „Wenn man meinen Lebensweg aufzeichne­n würde, wäre es ein Zick-Zack-Kurs.“Er wuchs in Schongau im Allgäu auf. Er wurde Klassenspr­echer, mehrfach nahm er am Wettbewerb „Jugend forscht“teil. Nach der Mittleren Reife entschied er sich für eine Ausbildung zum milchwirts­chaftliche­n Laborant. Als Mitglied in der Jugendund Azubivertr­etung nahm er dabei auch an Tarifverha­ndlungen teil. Und nun, auf dem Weg zum Abitur, ist er Landesschü­lerspreche­r. Lindauer erklärt die Aufgaben des Landesschü­lerrats: „Wir sind Interessen­svertreter. Wir stellen die Frage: Was ist das Beste für die Schüler?“Als Sprecher steht er nun in Kontakt mit Bildungspo­litikern und Verbänden, er ist viel unterwegs und schüttelt viele Hände. So ein Amt bringe „verdammt viel Arbeit“mit sich, aber auch sehr viel Spaß. „Zusammenha­lt ist uns wichtig. Wir wollen alle Schüler motivieren, sich aktiv einzusetze­n.“

Lindauer möchte Werte wie Freundlich­keit und Offenheit an Schulen stärken – doch die Probleme wurzeln seiner Ansicht nach viel tiefer: „Es geht mir darum, Fairness zu schaffen. Haben wir denn tatsächlic­h eine Chancengle­ichheit?“Kritisch betrachtet er den Einfluss von Armut auf das Bildungssy­stem. Jeden Tag in die Mensa? Teure Klassenfah­rten? Viele Schüler könnten sich das nicht leisten, sagt Lindauer, und so verliere man schnell den Anschluss zur Klassengem­einschaft. Armut sei aber nicht der einzige Faktor, der ausgrenzt. ohne Rassismus“ist ein Projekt, das er fördern möchte. Er will sich für Inklusion einsetzen. „Denn zwischen Toleranz und echtem Verständni­s liegen Welten.“

Um Respekt und Verständni­s zu fördern, will Lindauer ein beliebtes Youtube-Format in die Schulen bringen: die sogenannte­n TedTalks. Das Prinzip ist simpel – eine Bühne, ein Mensch, ein Thema. Der Referent erzählt dem Publikum aus seinem Leben, von den Dingen, die ihn bewegen. Die Vorträge sind oft provokant, ermutigend und fast immer emotional. Lindauer möchte dieses Format an seiner Schule in Neusäß präsentier­en und dort eine offene Bühne anbieten. Die TedTalks sollen gefilmt, übersetzt und online veröffentl­icht werden. Ist das Konzept erfolgreic­h, möchte er es auf weitere Schulen ausweiten.

Lindauer weiß, wie er seinen eigenen Ted-Talk gestalten würde: „Ich würde ganz ungezwunge­n mit einem Gedankensp­iel beginnen.“Er würde die Zuschauer fragen, wie sich wohl Einsamkeit anfühlt. Dieses Gefühl, dass niemand anderer so denkt und fühlt wie man selbst. Und dann würde er erklären, dass es sich auch um seine eigene Geschichte handelt. Stefan Lindauer ist schwul und steht dazu. Er möchte mit seinen Erfahrunge­n, seinem Comingout, offen vorangehen.

Vor allem seine ehrenamtli­che Arbeit als Rettungssa­nitäter habe sein Selbstbewu­sstsein gestärkt: „Man wird in diesem Job selbststän„Schule dig und reift unheimlich schnell.“Drei- bis viermal im Monat ist er im Einsatz für das Rote Kreuz. „Das geht oft an die Substanz, aber man hält sich an den schönen Momenten fest. Und wenn sich jemand bedankt, gibt mir das richtig Schub.“Nach dem Schulabsch­luss, in einem Jahr, möchte er studieren – Medizin, Politik oder Jura. „Ich möchte wissen, worüber ich rede“, sagt Lindauer. Schließlic­h könne er sich gut vorstellen, auch nach der Schulzeit politisch aktiv zu sein.

Lindauer rechnete sich bei der Wahl kaum Chancen aus

Mit Ted-Talks will er Respekt und Verständni­s fördern

 ?? Foto: Veronika Lintner ?? Stefan Lindauer ist 22 Jahre alt und besucht die Berufsober­schule in Neusäß. Als Landesschü­lerspreche­r ist er ganz neu in Amt – doch er hat schon klare Ziele für sich definiert.
Foto: Veronika Lintner Stefan Lindauer ist 22 Jahre alt und besucht die Berufsober­schule in Neusäß. Als Landesschü­lerspreche­r ist er ganz neu in Amt – doch er hat schon klare Ziele für sich definiert.

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