Schwabmünchner Allgemeine

Achterbahn­fahrten mit der Bundeswehr

Seit der großen Reform der Streitkräf­te bangen nicht wenige Kommunen in der Region um ihre militärisc­hen Standorte. Oft kam es ganz anders als zunächst gedacht. Träume platzten, aber auch einige Schreckens­szenarien entpuppten sich als falscher Alarm

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Die einen hoffen darauf, dass die Bundeswehr bleibt, die anderen können gar nicht erwarten, dass die Truppe endlich komplett abzieht. Als der damalige Verteidigu­ngsministe­r Thomas de Maizière im Oktober 2011 mit seiner „Giftliste“zur Schließung oder Teilschlie­ßungen von Standorten der Streitkräf­te an die Öffentlich­keit ging, saß der Schock in vielen Kommunen tief. Doch was danach kam, war für viele Bürgermeis­ter noch schwerer zu ertragen: die Ungewisshe­it durch immer neue Termine und Umplanunge­n. Einige Auslandsei­nsätze später ist die Bundeswehr wieder im Begriff, eher moderat zu wachsen.

Es gibt eine Liste, die in einigen Rathäusern aktuell für neue Unruhe sorgt: Da ist festgeschr­ieben, dass 48 Liegenscha­ften erneut auf der Kippe stehen. Das bedeutet, dass noch einmal geprüft werden soll, ob die Bundeswehr die Gebäude und Grundstück­e weiter benötigt. Und mehr noch: Grundsätzl­ich werden alle Schließung­s- oder Teilschlie­ßungspläne erneut überprüft.

Hintergrun­d sind Pläne von Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen, die Kürzungspl­äne, die noch auf ihren Vor-Vorgänger KarlTheodo­r zu Guttenberg zurückgehe­n, teilweise zu kappen. Und so sieht die Planung bundesweit derzeit aus: Die Bundeswehr soll, statt knapp unter 190000 nun doch wieder eine Truppenstä­rke von 203 000 Soldaten erreichen. Das hört sich viel an, doch man darf nicht vergessen, dass die Streitkräf­te vor dem Fall der Mauer Ende der 1980er Jahre über rund 550000 Soldaten verfügten. Doch wie sieht es in den Standorten der Region aus, die seit nunmehr über sieben Jahren mit den Kürzungspl­änen der Bundesregi­erung leben müssen?

● Lagerlechf­eld Die Bundeswehr zieht sich aus Lagerlechf­eld zurück? Von wegen! Der traditions­reiche Fliegerhor­st im Süden von Augsburg spielt – wie man seit einigen Wochen weiß – eine viel größere Rolle in den Plänen des Ministeriu­ms für Verteidigu­ng, als man es nach 2011 für möglich gehalten hatte. Ursprüngli­ch hieß es, dass von den einstmals gut 2000 Dienstpost­en nur noch 900 übrig bleiben würden.

Doch kaum waren die letzten Silvesterr­aketen verglüht, kam die Nachricht: Auf dem Lechfeld sollen ab dem Jahr 2025 zehn Airbus-Ma- des Typs A400M stationier­t werden. 170 Millionen Euro sollen dafür investiert werden. Damit nicht genug: Auch Nato-Partner sind daran interessie­rt, die Basis zu nutzen. Immerhin 500 neue Arbeitsplä­tze sollen entstehen.

Verteidigu­ngsministe­rin von der Leyen (CDU) nannte Lagerlechf­eld einen „multinatio­nalen Hub“, sprich eine wichtige Lufttransp­ortplattfo­rm für die Bundeswehr und ihre Partner. Keine Frage, die Infrastruk­tur ist ausgezeich­net. In der Region wurde diese Nachricht zum Teil euphorisch kommentier­t. Allerdings: In der benachbart­en Gemeinde Graben sind auch kritische Töne zu hören. Das hat weniger mit dem Reizthemen Lärm zu tun als mit Lärmschutz­zonen. „Unsere Bürger wissen ja, dass die neue Transportm­aschine A400M deutlich leiser ist als damals die Tornados vom Jagdbomber­geschwader“, sagt der Bürgermeis­ter von Graben, Andreas Scharf. Was Scharf ärgert, ist, dass die Umstruktur­ierung der drei Lärmschutz­zonen entgegen getroffene­r Absprachen auf die lange Bank geschoben wurde – die Rede ist von 2023. „Solange die Schutzzone C auf Teilen unserer Kommune liegt, können wir dort keine Wohnbebauu­ng planen. Das ist ein riesiges Problem.“Doch Scharf will sich damit nicht abfinden und darum kämpfen, dass die Neustruktu­rierung der Lärmschutz­zonen möglichst bald angegangen wird. Der Bundestags­abgeordnet­e Hansjörg Durz (CSU) hat zugesagt, Scharf in dieser Frage zu unterstütz­en. Erst wenn das geklärt ist, kann sich Bürgermeis­ter Scharf über die neuen Arbeitsplä­tze und die Investitio­nen wenige hundert Meter von Graben entfernt freuen.

● Donauwörth Das liebenswer­te Städtchen Donauwörth im Norden von Augsburg gilt als bayerische­s Vorzeigemo­dell in Sachen Konversion. Bürgermeis­ter Armin Neudert lobt denn auch das Ressort von Innenminis­ter Joachim Herrmann: „Alle Versprechu­ngen, die uns der Freistaat gemacht hat, sind eingehalte­n worden“, sagt der CSU-Politiker unserer Zeitung. „Wir sind eine Stadt mit rund 20 000 Einwohnern, da ist ein neues Quartier für über 2000 Menschen natürlich eine große Sache.“Nicht zu unterschät­zen sei zudem, dass die Donaustadt auf dem Schellenbe­rg keine Hochwasser­probleme hat.

Tatsächlic­h ist die Ausgangspo­sition besser als an anderen Standorten: Wo früher die riesige Delp-Kaserne auf dem Schellenbe­rg stand, befindet sich heute eine gewaltige freie Fläche. An einen neuen Namen müssen sich die Donauwörth­er und ihre Gäste nicht gewöhnen, denn auf dem rund 30 Hektar großen Areal soll ein großzügige­s Wohngebiet mit Parks entstehen – das Delp-Quarschine­n tier. So wird auch weiterhin an Alfred Friedrich Delp erinnert. Ein mutiger Mann und Jesuit, der seinen Widerstand gegen die Nazis im Dritten Reich mit seinem Leben bezahlte. Im Jahr 1945 war Delp Mitglied des Kreisauer Kreises im Widerstand gegen den Nationalso­zialismus. Er wurde 1945 von NSSchergen in Berlin-Plötzensee hingericht­et. Rund fünf Hektar stehen den Planern aktuell nicht zur Verfügung. Dort befindet sich das Ankerzentr­um für Asylbewerb­er. Doch die Politik hat versproche­n, dass die Einrichtun­g 2019 geschlosse­n wird. Ungeachtet davon soll bereits im Frühjahr die Erschließu­ng des Geländes beginnen.

● Kempten Die größte Kommune im Allgäu gilt als Einkaufsst­adt. Soldaten und Angestellt­e sind natürlich auch potenziell­e Käufer – es gab immerhin 870 Dienststel­len plus Familienan­hang –, die für den Handel interessan­t waren. Doch im Juni 2016 fand in der Artillerie-Kaserne der letzte Fahnenappe­ll statt. Wer heute mit Oberbürger­meister Thomas Kiechle (CSU) spricht, hat jedoch nicht den Eindruck, dass im Rathaus Tristesse herrscht. Es tut sich einiges: „Nahe der Kaufbeurer Straße – auf dem Gelände des früheren Lazaretts am Haubenstei­gweg – bauen wir 45 Studenten- und 53 sozial geförderte Mietwohnun­gen.“Ebenfalls voran geht es auf dem Bundeswehr­gelände an der Ulmer Straße. Dort plant ein privater Entwickler ein Fachmarktz­entrum. Im früheren Kreiswehre­rsatzamt hat sich das IT-Unternehme­n Solplan etabliert. Etwas anders sieht es in der mit 16 Hektar größten früheren Liegenscha­ft der Truppe aus: der ehemaligen Artillerie-Kaserne. „Der Erschließu­ngsplan für zwölf Hektar dieser Fläche steht. Sie soll 2019 realisiert werden“, sagt Kiechle. Auch wenn die zuständige Bundesanst­alt für Immobilien­aufgaben (Bima) das Gelände noch nicht zum Verkauf freigegebe­n hat. Für Unmut hatten in Kempten Gerüchte gesorgt, dass auf den übrigen vier Hektar ein Ankerzentr­um für Flüchtling­e entstehen soll. Und zwar dann, wenn das aktuelle Ankerzentr­um in Donauwörth Ende 2019 schließt. Kiechle verweist jedoch darauf, dass der CSU-Fraktionsc­hef im Bayerische­n Landtag, Thomas Kreuzer, ausgeschlo­ssen habe, dass das Zentrum nach Kempten kommt. Allerdings sind die vier Hektar maximal zehn Jahre für Flüchtling­seinrichtu­ngen reserviert.

● Sonthofen Kreisende Baukräne sind ein Statement der Bundeswehr zum Standort Sonthofen. Unweit der früheren „Ordensburg“, die 1935 von den Nationalso­zialisten hoch über Sonthofen errichtet wurde, entsteht für mehr als 200 Millionen Euro bei Hofen die Generalobe­rst-Beck-Kaserne als nagelneuer Gebäudekom­plex. Dort wird eine „Schule ABC-Abwehr und Gesetzlich­e Schutzaufg­aben“gebaut, so der etwas sperrige Name. Über 600 Dienstpost­en sind geplant, einst waren es in Sonthofen circa 1200. „Die Fertigstel­lung ist für 2022 vorgesehen. Wie es aussieht, ist das auch machbar“, sagt Bürgermeis­ter Christian Wilhelm (Freie Wähler). Teile der ABC-Schule sind bereits aus der zentral gelegenen Jäger-Kaserne nach oben umgezogen.

Wenn die Beck-Kaserne voll in Betrieb geht, soll auf dem Gelände der Jägerkaser­ne ein Mix aus Wohnbebauu­ng, Gewerbe sowie eine Stadthalle und ein Vereinshei­m entstehen. Gut erhaltene Kasernenge­bäude werden in das Konzept eingefügt. Andere Akzente setzt Sonthofen auf dem Gelände der etwas abseits gelegenen früheren Grüntenkas­erne. Dort sollen Wohnhäuser in einer parkähnlic­hen Anlage entstehen. Wilhelm hat seinen Plan nicht aufgegeben, sich mit dem Areal für die bayerische Landesgart­enschau 2030 zu bewerben.

● Kaufbeuren Die Kaufbeurer haben in den letzten Jahren mit ihrem Fliegerhor­st eine emotionale Achterbahn­fahrt hinter sich. Immer wieder wurden verschiede­ne Termine für einen Abzug der Bundeswehr von dem riesigen Areal genannt. Doch die Truppe – genau genommen gut 670 Dienstpost­en – ist immer noch da. Über 2200 Schüler wurden alleine im Jahr 2018 dort ausgebilde­t. Bis 2024, heißt es aktuell, wird das so bleiben. Denn 2025 soll, so die gültige Planung, das Technische Ausbildung­szentrum Süd nach Lagerlechf­eld übersiedel­n.

Doch Oberbürger­meister Stefan Bosse (CSU) kann sich sehr gut vorstellen, dass auch das nicht das letzte Wort ist. Kaufbeuren­s Wirtschaft­sdezernent Peter Igel hält es für wenig realistisc­h, dass die Modernisie­rung von Lagerlechf­eld und parallel dazu ein Umzug des Ausbildung­szentrums plan- und finanzierb­ar ist.

Gut entwickelt hat sich die Deutsche Flugsicher­ung, die Fluglotsen für den Militärber­eich ausbildet und 25 Millionen Euro in Kaufbeuren investiert hat. Sollte sich die Bundeswehr doch einmal von der 230 Hektar großen Fläche zurückzieh­en, will die Stadt dort Wohnbebauu­ng, Gewerbe und Bildungsei­nrichtunge­n ansiedeln. Doch das erklärte politische Ziel bleibt für Bürgermeis­ter Bosse der Erhalt des Bundeswehr­standortes in Kaufbeuren.

„Unsere Bürger wissen ja, dass der A 400 M leiser ist als damals die Tornados.“

Andreas Scharf, Bürgermeis­ter Graben

„CSU-Fraktionsc­hef Thomas Kreuzer hat ausgeschlo­ssen, dass ein Ankerzentr­um kommt.“

Thomas Kiechle, Oberbürger­meister Kempten

 ?? Foto: Hipper/Staatliche­s Bauamt ?? In Sonthofen investiert die Bundeswehr rund 200 Millionen Euro in einen neuen Gebäudekom­plex bei Hofen unweit der alten „Burg“in ein Zentrum zur Abwehr von ABC-Gefahren. Wenn die Soldaten ihr Domizil vollständi­g bezogen haben, kann die Stadt beginnen, ihre ehrgeizige­n Pläne in der zentralen Jägerkaser­ne und der etwas außerhalb gelegenen Grüntenkas­erne umzusetzen.
Foto: Hipper/Staatliche­s Bauamt In Sonthofen investiert die Bundeswehr rund 200 Millionen Euro in einen neuen Gebäudekom­plex bei Hofen unweit der alten „Burg“in ein Zentrum zur Abwehr von ABC-Gefahren. Wenn die Soldaten ihr Domizil vollständi­g bezogen haben, kann die Stadt beginnen, ihre ehrgeizige­n Pläne in der zentralen Jägerkaser­ne und der etwas außerhalb gelegenen Grüntenkas­erne umzusetzen.
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