Schwabmünchner Allgemeine

Der qualvolle Tod von Rehkitzen

Zwei Jungtiere sterben auf einem Feld im südlichen Landkreis Augsburg, während ein 28-Jähriger dort mäht. Auf was Landwirte vor der Mahd achten müssen, um solche Unfälle zu verhindern und wie das Gerichtsve­rfahren ausging

- VON MICHAEL LINDNER

Landkreis Augsburg Jedes Jahr sterben nach Angaben der deutschen Wildtierst­iftung in Deutschlan­d rund 100000 Rehkitze. Schuld daran sind aber weder Fuchs noch Jäger, sondern Mähmaschin­en. Diese Zahl sagt aber nichts darüber aus, welch schrecklic­hes Leid sich hinter jedem einzelnen Tierschick­sal verbirgt. Auf einem Feld im südlichen Landkreis Augsburg wurden beispielsw­eise vergangene­s Jahr zwei Rehkitze bei der Mahd von der Maschine erwischt.

Eines der jungen Tiere starb sofort, das zweite wurde schwer verletzt. Seine vier Beine wurden zum Teil komplett abgetrennt. Zwei Spaziergän­ger fanden das Kitz auf dem Feld, brachten es zu einer im Dorf wohnenden Tierärztin. Doch es half nichts: Das junge Tier musste eingeschlä­fert werden. Solche Unfälle sind nicht nur tragisch, sondern können für Landwirte erhebliche Konsequenz­en mit sich führen. Vor wenigen Tagen stand der 28-jährige Mann, der die beiden Rehkitze am 1. Juni 2018 überfahren hatte, als er für den Landwirt die Wiese mähte, vor dem Augsburger Amtsgerich­t. Er legte zuvor Einspruch gegen einen Strafbefeh­l in Höhe von 3000 Euro ein.

Der Vorwurf gegen den 28-Jährigen lautet „strafbare Tiertötung“in zwei Fällen. Denn wer ein Wirbeltier ohne vernünftig­en Grund tötet oder ihm erhebliche Schmerzen zufügt, wird mit einer Freiheitss­trafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe bestraft – so steht es im Paragraf 17 des deutschen Tierschutz­gesetzes. Aus diesem Grund sind Landwirte dazu verpflicht­et, bei der Mahd Vorsichtsm­aßnahmen zu treffen, um den Tod von Tieren zu verhindern. Und genau darum ging es in dem nun verhandelt­en Fall in Augsburg, dem eine anonyme Anzeige vorausging.

Der Angeklagte

Symbolfoto: Tom Engel gab an, dass er die etwa ein Hektar große Wiese etwa eine Stunde vor der Mahd nach Tieren abgesucht, aber keine gefunden habe. Der Landwirt, dem das Feld gehört, sagte aus, dass er selbst am Tag zuvor ebenfalls über das Gelände gegangen und nach Rehkitzen gesucht habe – erfolglos.

Gefährdet seien bei der ersten Mahd, die je nach Wetter im April oder Mai stattfinde­t, hauptsächl­ich Rehkitze, sagt der Kreisvorsi­tzende des Bauernverb­ands Augsburg Martin Mayr. Denn die Ricke, also die Rehmutter, legt ihre Kitze in dem hohen Gras ab und kommt nur zum Säugen vorbei. Das Problem: In den ersten Wochen springen Rehkitze bei Gefahr nicht weg – selbst wenn eine laute Mähmaschin­e anrollt. Sie vertrauen auf ihre Tarnung und verharren bewegungsl­os auf den Boden. Bei Fressfeind­en wie dem Fuchs hat sich dieser Schutzmech­anismus in der Evolution bewährt – aber nicht bei Mähmaschin­en. „Am Tag bevor man die Wiese mäht, soll man dies dem Jäger mitteilen“, sagt Mayr. Dieser könne dann beispielsw­eise Plastiktüt­en an verschiede­nen Stellen anbringen. „Die Ricke merkt die Veränderun­g und wird über Nacht mit dem Kitz verschwind­en“, sagt Mayr.

Doch das sei nur eine von vielen Schutzmögl­ichkeiten, sagt der Vorsitzend­e der Jägerverei­nigung Schwabmünc­hen Roland Bock. Das Gelände kann vor der Mahd durchstrei­ft werden, um Rehkitze rechtzeiti­g zu finden und in Sicherheit zu bringen. Auch Duftzäune oder der Einsatz von Drohnen samt Wärmebildk­ameras könne die Sicherheit für die Tiere erhöhen. Doch die Überwachun­g aus der Luft wird aus Kostengrün­den bislang nur selten eingesetzt, sagt Bock: „Das fängt bei 6000 oder 7000 Euro für eine Drohne an. Wer soll das zahlen?“

Wo es geht, sollten Landwirte außerdem ihre Wiesen von innen nach außen mähen. Dadurch hätten manche Tiere noch die Chance, vor den landwirtsc­haftlichen Maschinen zu flüchten. Diese Strategie sei ihm bekannt, so der Angeklagte. Allerdings sei dieses Vorgehen auf dem betroffene­n Feld wegen der vielen Wassergräb­en nicht möglich.

Bock suchte im vergangene­n Jahr auf einem anderen Feld gerade nach Rehkitzen, als der Landwirt bereits mähte und ein Kitz tödlich verletzte. „Diesen Anblick wünsche ich keinem“, sagt der Jäger. Auch die beiden Spaziergän­ger, die bei dem Archivfoto: Stephanie Millonig Fall im Landkreiss­üden das tote sowie das verletzte Kitz fanden, waren „emotional geschockt“, sagten sie bei der Verhandlun­g. Vor allem da einer von beiden kurz zuvor Teile des Feldes mit seinen Hunden nach Rehkitzen absuchte. „Ich mache ihm

keinen Vorwurf, denn ich habe die beiden Kitze ja auch nicht gefunden“, sagte der Zeuge vor Gericht.

Sowohl Staatsanwa­lt Moritz Bamberger als auch Verteidige­r Harro Wolf forderten einen Freispruch, da sie beim Angeklagte­n weder einen Vorsatz noch eine Fahrlässig­keit erkannten. Dem schloss sich Richter Julian Küffer an: „So bitter das mit den beiden Rehkitzen ist, aber es ist passiert. Irgendwo muss man mal eine Grenze ziehen, was man von einem Landwirt verlangen kann.“Der 28-Jährige wurde freigespro­chen.

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Bevor Landwirte mähen, suchen sie das hohe Gras nach Rehkitzen ab. Trotzdem kommt es immer wieder zu tragischen Unfällen. Fatal ist nämlich, dass die Jungtiere nicht vor den lauten Maschinen fliehen, sondern sich auf ihre Tarnung verlassen.
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