Das verflixte klebrige Stück
Neulich im Konzert. Ein kleiner, intimer Saal, dazu passend das gebotene Programm: Kammermusik, zurückhaltend, nur selten ein Auftrumpfen. Gedämpfte Klänge, die den wahren Musikfreund – und gerade in diesen Zeiten – gedanklich bibbern lassen: Bloß nicht dazwischenhusten!
Aber der Teufel ist ein Eichhörnchen, das sich, wenn schon nicht bei einem selbst, so doch bei anderen anschleicht. Die Dame schräg vorne zuckt bereits mit dem Oberkörper, der aufsteigende Hustenreiz kann gerade noch zu halblautem Gehüstel herabgemildert werden, gleich wird die nächste Attacke heranrollen. Die Dame aber hat wohl Erfahrung mit der Situation, greift entschlossen in die Handtasche und holt ein Remedium hervor, ein Bonbon in Papier. Gut, der ganz große Musikliebhaber hätte jetzt mit dem Auswickeln gewartet, bis die Instrumente wieder im Forte spielen, doch die prekäre Lage der Dame – im Gesicht schon die Rötung des innerlichen Unterdrückungskampfs – ist nur zu verständlich.
Es knistert und knirscht also da vorne, gut hörbar, denn die Musik übt sich wie auf Verabredung gerade im Pianissimo. Was soll’s, zwei, drei Sekunden Störgeräusch, da müssen alle jetzt durch. Jedoch – das süße kleine Stück, es will nicht raus aus dem Papier. Ist offenbar warm geworden in der Handtasche und haftet mit seiner ganzen Klebrigkeit jetzt an der Umhüllung fest. Die Finger tun unter der Maßgabe, möglichst unauffällig vorzugehen, ihr Bestes, doch unablässig knistert und knirscht es weiter, erste Köpfe wenden sich in Richtung der Dame, missbilligende Blicke werden ausgesandt. Die Musik natürlich, ohn’ Erbarmen, immer leise, leise. Nach fünf, acht, vielleicht zehn knisternden Sekunden ist das verflixte Guazle endlich dort, wo es hinsollte: im Rachen.
Liebe Lebensmittelindustrie, die du mit deinen chemischen Zauberkünsten schon so viele Segnungen über uns gebracht hast, von der immer steif werdenden Sahne bis zum garantiert aufgehenden Hefeteig: Kannst du in deinen Laboren nicht mal ein Zuckerl kreieren, das weder am Papier kleben bleibt noch Geräusche macht, wenn man es auswickelt? Dürfte für deine Spezialisten doch ein Kinderspiel sein. Wir, die reizgeplagten Konzertbesucher, würden dafür gerne tiefer in die Tasche greifen.
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„Intermezzo“ist unsere KulturKolumne, in der Redakteure der Kultur- und Journal-Redaktion schreiben, was ihnen die Woche über aufgefallen ist.