„Ich war ein leichtes Opfer“Kirche Doris Reisinger beschuldigt einen Priester, sie mehrfach vergewaltigt zu haben. Im Gespräch erzählt die ehemalige Nonne, wie sie zurück ins Leben fand
gewaltigung sprechen wollte, nur Vorwürfe gemacht. Sie wurde vom Opfer zur Täterin. Sie sei schuld daran, was ihr passiert sei und wenn sie nicht schweigen würde, schade sie der Gemeinschaft, hieß es. Diese Einschüchterungen folgten dem üblichen Muster. Auch andere Opfer haben diese Manipulation erlebt, entweder vom Täter selbst oder von den Menschen, denen sie sich anvertrauen wollten. Diese Geschichten wurden und werden immer wieder von Betroffenen erzählt. Das Verhalten hat System.
Mittlerweile wurde Doris Reisinger immer mehr bewusst, dass ihrem sexuellen Missbrauch ein geistlicher beziehungsweise ein spiritueller Missbrauch vorausging. Sie sei nach Belieben geformt worden und von Forderungen eingezwängt gewesen. Das habe keine vernünftige Auseinandersetzung mit ihrem Glauben ermöglicht. Im Gegenteil. Sie bezeichnet es als „einfach nur gefährlich, wenn jemand verlangt, sich aufzugeben, nicht mehr selbst zu denken und zu handeln“. Das sei mit nichts zu rechtfertigen – „auch nicht mit Religion“.
An diesem Samstag wird Doris Reisinger in Würzburg bei einem theologischen Fachgespräch einen Vortrag halten. Sie freut sich darauf, denn die Theologie gehört zur Kirche und sei beim Thema Missbrauch viel zu lange still gewesen. In Würzburg wird wohl auch die Aussage von Papst Franziskus Thema sein. Er räumte während seines Rückflugs von Abu Dhabi nach Rom am Dienstag den sexuellen Missbrauch von Nonnen in der katholischen Kirche ein, sprach von einem Problem. Doris Reisinger spricht von einem „Meilenstein“, erstmals habe jemand in dieser Position in der katholischen Kirche sich „so offen“dazu geäußert. Andererseits ist die 35-Jährige aber auch enttäuscht, dass der Papst „keinen Plan hat“. Sie befürchtet, dass es bei dem Bekenntnis bleiben, aber keine systematische Aufarbeitung und Bestrafung der Täter geben wird. „Erst wenn Frauen auf allen Ebenen der Kirche auf Augenhöhe sind mit Männern und wenn überhaupt niemand in der Kirche mehr in die Position gebracht wird, dass er sich einem anderen unterwerfen muss, erst dann wird es keinen Missbrauch mehr geben“, sagt die Theologin.