Würzburg
„Mir geht es heute gut“, sagt die ehemalige Ordensschwester Doris Reisinger. Das verwundert zunächst. Vor sechs Jahren hat sie die katholische Gemeinschaft „Das Werk“in Rom verlassen. Sie sei dort vor elf Jahren von einem Priester mehrfach vergewaltigt worden, berichtet sie. Ein anderer Geistlicher, Pater G., der ihr Hilfe anbot, habe sie im Beichtstuhl sexuell belästigt. Dies hat sie in ihrem Buch „Nicht mehr Ich. Die wahre Geschichte einer jungen Ordensfrau“beschrieben. Damals hieß sie Doris Wagner.
Heute ist Doris Reisinger, die im mittelfränkischen Ansbach geboren wurde, verheiratet mit einem Mann, der ihr, so sagt sie, wirklich geholfen habe, das Erlebte zu verarbeiten. „Ohne ihn hätte ich nicht überlebt.“Deshalb könne sie heute darüber reden, habe keinen „negativen Stress“mehr, sondern positiven. Ihr neues Buch ist auf dem Markt: „Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche“. Die Theologin ist derzeit jeden Tag zu Vorträgen unterwegs oder führt Gespräche. Ihr Telefon klingelt ständig, erzählt sie.
„Ich habe, wenige Monate nachdem ich vergewaltigt worden bin, den Mann getroffen, mit dem ich reden konnte und dem ich etwas bedeutet habe. Das hat alles verändert.“Auch er war ein Mitbruder. Mit ihm ist sie verheiratet und hat ein gemeinsames Kind. Er habe der jungen Nonne klargemacht: „Das hätte dir nicht passieren dürfen, das ist schlimm.“
Das klingt selbstverständlich. Sexualisierte Gewalt ist ein Verbrechen. Niemand sollte sie erleben müssen. Für die junge Doris Wagner, die kurz nach ihrem Abitur mit Anfang 20 ihre weltliche Familie verließ und in die selbst ernannte geistliche Familie „Das Werk“eintrat, war nichts selbstverständlich. Nach und nach wurde sie dort zu einer menschlichen Hülle. Sie stand von morgens bis abends in der Küche, durfte nicht mit der Außenwelt kommunizieren, sollte keine Bücher