Die Fugger denken in Jahrhunderten
Manche sagen, der Kaufmann Jakob Fugger war einer der reichsten Menschen aller Zeiten – reicher als Bill Gates. Heute ist das Schicksal der Nachfahren eng mit dem Wald verknüpft. Und damit auch das der Bedürftigen, die in der Augsburger Fuggerei leben
Laugna Hartmut Dauner steuert das Allrad-Auto über die schneebedeckten Wege des Fugger-Waldes bei Laugna im Landkreis Dillingen. Es geht hinein in den weiß verzauberten Wald. Der Leitende Forstdirektor des Fürstlich und Gräflich Fuggerschen Stiftungsforstamtes sagt: „Was den Wald betrifft, braucht man Visionäre, damit er in 100 Jahren noch gut dasteht und qualitativ hochwertiges Holz erzeugt.“Auf dem Rücksitz sitzt Maria Elisabeth Gräfin Thun-Fugger und entgegnet: „Sicher brauchen wir Visionäre, aber keine Spinner.“Die 70-Jährige formuliert das bestimmt, aber mit einem Lächeln, wie so oft bei ihr. Denn, argumentiert die ForstUnternehmerin: „Wir müssen immer im Hinterkopf behalten, dass wir und unsere Nachfahren vom Wald leben müssen.“Die Gräfin hat von sich aus einen Platz auf der Rückbank gewählt, schließlich müsse der journalistische Gast einen guten Blick haben, um einen guten Eindruck zu gewinnen.
Mitten im Fuggerschen Stiftungswald stoppt Forst-Experte und Fahrer Dauner, der mit 68 nach wie vor Wälder wie diese betreut, und bittet die Reisegruppe auszusteigen, um Bäume näher zu inspizieren. Alle stapfen durch den Schnee. Wie gut, dass Gräfin ThunFugger, Mutter zweier Töchter, dem Besucher vorab geraten hat, festes Schuhwerk zu wählen, ja sich generell warm anzuziehen. Die Dame schaut verzückt einen ziemlich in die Höhe gewachsenen Baum mit einer besonders schönen, kräftigen Rinde an. Dann folgt der Ausruf: „Ich liebe diese Douglasie.“
Auch Dauner hält viel von dem Baum. Ja, es gibt eine Verbindung der Douglasie zu den rund 150 Menschen, die in der Augsburger Fuggerei, der ältesten Sozialsiedlung der Welt, leben. Denn die aus Nordamerika stammende Douglasie hat Herr von Bally, einer von Dauners Vorgängern, 1890 in dem Wald angepflanzt. Künftig sollen viel mehr dieser Bäume in dem Fuggerschen Stiftungswald heimisch werden. Denn sie wurzeln tiefer als Fichten, lassen sich nicht so leicht von Stürmen umschmeißen und können dem Borkenkäfer besser trotzen.
Was hat das aber alles mit den bedürftigen Menschen in der Fuggerei zu tun, die dort für eine Jahreskaltmiete von 88 Cent und für drei Gebete täglich leben? Eine Menge, denn die Fuggerschen Stiftungen finanzieren sich zu rund 70 Prozent aus den Erträgen jener etwa 3200 Hektar Wald, der sich über die Kreise Augsburg, Dillingen und Aichach-Friedberg verteilt. Es führt eine direkte Linie vom ökonomischen Erfolg der Fuggerschen Forstwirtschaft zum sozialen Engagement. Und wenn durch den Klimawandel schwere Stürme in kürzeren Abständen über die Region fegen, Bäume entwurzeln und sich der Borkenkäfer dank eines exzellenten Nahrungsangebots sprunghaft vermehrt, erfordert das ein strategisches Umdenken der für die zuständigen Frauen und Männer. Sie schichten in den Wäldern um – mit Augenmaß, ohne Spinnerei, wie es Gräfin Thun-Fugger fordert. Der Anteil der Douglasie mit ihrem schönen rötlichen Holz wird von vier Prozent etwas erhöht. Auch robuste Tannen kommen stärker zum Zug. Die Dominanz der Fichte mit 64 Prozent bleibt zwar vorhanden, nimmt aber tendenziell ab. Ziel des Seniorats, also Aufsichtsrats der Fuggerschen Stiftungen, ist ein Mischwald mit 70 Prozent Nadelhölzern und 30 Prozent und damit etwas mehr Laubbäumen als heute. Ökonomen sprechen von einer stärkeren Diversifizierung, eben einer besseren Streuung von Risiken.
Gräfin Thun-Fugger betreibt das Forst-Business schon seit rund 50 Jahren. Mit 20 musste sie ihr JuraStudium in München nach dem Tod des Vaters abbrechen und als einziges Kind den elterlichen Betrieb übernehmen. Sitz der Fugger-Linie ist Schloss Oberkirchberg hoch über der Iller. Auch privat ist die Forstwirtschaft die zentrale Einnahmequelle für die Familie. Doch diese 2200 Hektar Waldbesitz haben nichts mit den Forsten der Fuggerschen Stiftungen zu tun. Beides ist voneinander strikt getrennt.
Für den Stiftungswald arbeitet die Gräfin wie die Vertreter der beiden anderen Fugger-Linien ehrenamtlich. Sie bekommen keinen Euro, lediglich bei Sitzungen des Seniorats der Stiftungen ein Mittages- sen im Fuggerei-Restaurant „Die Tafeldecker“. Mindestens vier Mal im Jahr kommen die Mitglieder des Seniorats zusammen, um dem Willen des Stiftungsgründers nach fast 500 Jahren gerecht zu werden. Denn der gläubige und auf sein Seelenheil bedachte Katholik Jakob Fugger der Reiche (1459–1525) stiftete 1521 unter anderem für sogenannte Hausarme die Fuggerei.
Zu seiner Zeit war er wohl der reichste Mann Europas, wenn nicht der
Welt.
Der extrem geschickte und sehr gut vernetzte Unternehmer verstand es, Edelmetall-, Waren- und Finanzierungsgeschäfte gewinnbringend zu verbinden. Damit stieg er zum führenden Kaufmann und Bankier seiner Zeit auf. Albrecht Dürer porträtierte den GeschäftsStiftungen mann auf dem Gipfel seines ökonomischen Glanzes mit Goldkappe.
Experten, die sich auf die Wirtschaftskraft eines Unternehmens beziehen, listen Jakob Fugger als Nummer elf der reichsten Menschen der Geschichte auf. Damit würde er vor Microsoft-Gründer Bill Gates rangieren. Solche Vergleiche sind natürlich angreifbar. Am Ende zählt, dass die Stiftungen im Jahr 2021 unglaubliche 500 Jahre bestehen. Die Fugger denken in Jahrhunderten. Das scheint in vielen Aussagen durch.
Wolf-Dietrich Graf von Hundt etwa, der seit 1998 als Administrator die laufenden Geschäfte der Fuggerschen Stiftungen leitet, sagt: „Wir haben in den letzten 200 Jahren nie negativ abgeschlossen.“Gräfin Thun-Fugger ergänzt nicht weniger epochal: „Was wir heute im Wald pflanzen, werden unsere Nachfahren in 80 bis 100 Jahren ernten.“
Die Mitglieder des Seniorats haben sich im Verwaltungsgebäude der Fuggerei eingefunden. Gräfin Thun-Fugger aus der Linie FuggerKirchberg-Weißenhorn steht dem Gremium vor. Hinzu kommen Alexander Erbgraf Fugger-Babenhausen, 37, und Maria Theresia Gräfin Fugger von Glött, 51. Sie repräsentieren die drei Linien.
Der Familie von Alexander Erbgraf Fugger-Babenhausen gehören die Schlösser in Wellenburg in Augsburg und in Babenhausen im Landkreis Unterallgäu. Stammsitz der Familie Fugger von Glött ist das Schloss Kirchheim, das auch im Kreis Unterallgäu liegt. Das Gespräch zwischen den drei Fuggern kommt in Gang. Sie schauen sich wohlgesonnen an. Hier sitzen drei Menschen an einem AufsichtsratsTisch, die sich mögen und eine Schicksalsgemeinschaft bilden. Von ihren unternehmerischen Weichenstellungen hängt es ab, ob die Bedürftigen in der Fuggerei dort auch künftig wohnen, ja auch von einem eigenen Pfarrer und zwei Sozialarbeitern betreut werden.
Dabei geht es nicht nur um den verstärkten Einsatz des WunderKlimabaums Douglasie. Denn schon 2006 wurde die Entscheidung getroffen, den Tourismus als zweitwichtigste Einnahme-Quelle auszubauen. Damals mussten FuggereiBesucher erstmals Eintritt zahlen, der heute vier Euro für einen Erwachsenen beträgt. Bei zuletzt rund 200000 Besuchern pro Jahr kommt einiges für die Bewohner zusammen. Der Wald ist zwar eine stabile, über alle Kriege und Inflationen hinweg für die Stiftungen verlässliche Einnahmequelle. Diese Anlageform wirft aber nur eine kleine Rendite ab.
Daher wollen die Fugger ihre touristischen Standbeine auch durch die Renovierung und den Ausbau eigener Museen stärken. Jakob Fugger hat seine Stiftungen ja für die Ewigkeit gegründet. Gräfin Fugger von Glött lächelt und sagt: „Da haben wir noch etwas vor.“Sie hat Landschafts-Architektur studiert und arbeitet in einem Augsburger Betrieb, der nicht zum Fugger-Umkreis gehört. Die guten Erfahrungen stimmen sie zuversichtlich für den weiteren Erfolg der Stiftungen: „So unterschiedlich die Mitglieder in unserem Seniorat sind, so verfolgen sie alle den sozialen Gedanken, dessen Grundstein Jakob Fugger gelegt hat.“
Gräfin Thun-Fugger meint denn: „Es gibt uns immer noch nach bald 500 Jahren.“Erbgraf Fugger-Babenhausen, der in den USA Wirtschaft studiert hat, formuliert es noch ein wenig deutlicher: „Ich finde es faszinierend, dass in einer so langen Zeit weder ein Familienmitglied mal die Kasse der Stiftungen geplündert hat noch die Staatsmacht uns vereinnahmen konnte.“Das möge, wünscht sich Gräfin Fugger von Glött, in Zukunft so bleiben.
Die Älteste in der Adelsrunde, Gräfin Thun-Fugger, macht den Druck deutlich, unter dem sie und andere Träger des berühmten Namens stehen: „Das Schicksal vieler Menschen hängt davon ab, ob wir richtige Entscheidungen treffen. Wir dürfen keinen Mist bauen.“Der Mensch sei für sie die wichtigste Motivation für ihre Arbeit. Die Bewohner der Fuggerei leben bisher gut mit den Entscheidungen des Stiftungs-Aufsichtsrats.
Im Hintergrund der heutigen Fugger-Linien steht nicht mehr wie vor 500 Jahren ein reicher Bankier, auch wenn das manche glauben mögen. Die vergleichbar kleine, aber feine Augsburger Fürst Fugger Privatbank gehört mehrheitlich der Nürnberger Versicherungsgruppe. Die Familie von Alexander Erbgraf Fugger-Babenhausen hält eine Minderheitsbeteiligung. Der Wald ist wie seit Jahrhunderten die Quelle des Wohlstands für die Fugger. Dahinter steckt die Philosophie nachhaltigen Wirtschaftens, einer Erfindung der Forstwirtschaft. Auf dem Torbogen des Stiftungsforstamtes in Laugna prangt ein passender Spruch von 1848: „Heget den Wald, er ist des Wohlstands sichere Quell, schnell verheert ihn die Axt, langsam nur wächst er heran.“
Der Allrad-Wagen mit Forstdirektor Dauner am Steuer brummt durch die Schnee-Welt. Die Blicke von ihm und Gräfin Thun-Fugger sind auf eine Eiche gerichtet. Beide schauen fasziniert. Dauner fährt langsamer und sagt: „Das ist ein wunderschöner Baum, so 160 bis 170 Jahre alt. Da setze ich nicht die Säge an.“Vom Rücksitz kommt kein gräflicher Widerspruch.