Schwabmünchner Allgemeine

Die Fugger denken in Jahrhunder­ten

Manche sagen, der Kaufmann Jakob Fugger war einer der reichsten Menschen aller Zeiten – reicher als Bill Gates. Heute ist das Schicksal der Nachfahren eng mit dem Wald verknüpft. Und damit auch das der Bedürftige­n, die in der Augsburger Fuggerei leben

- VON STEFAN STAHL

Laugna Hartmut Dauner steuert das Allrad-Auto über die schneebede­ckten Wege des Fugger-Waldes bei Laugna im Landkreis Dillingen. Es geht hinein in den weiß verzaubert­en Wald. Der Leitende Forstdirek­tor des Fürstlich und Gräflich Fuggersche­n Stiftungsf­orstamtes sagt: „Was den Wald betrifft, braucht man Visionäre, damit er in 100 Jahren noch gut dasteht und qualitativ hochwertig­es Holz erzeugt.“Auf dem Rücksitz sitzt Maria Elisabeth Gräfin Thun-Fugger und entgegnet: „Sicher brauchen wir Visionäre, aber keine Spinner.“Die 70-Jährige formuliert das bestimmt, aber mit einem Lächeln, wie so oft bei ihr. Denn, argumentie­rt die ForstUnter­nehmerin: „Wir müssen immer im Hinterkopf behalten, dass wir und unsere Nachfahren vom Wald leben müssen.“Die Gräfin hat von sich aus einen Platz auf der Rückbank gewählt, schließlic­h müsse der journalist­ische Gast einen guten Blick haben, um einen guten Eindruck zu gewinnen.

Mitten im Fuggersche­n Stiftungsw­ald stoppt Forst-Experte und Fahrer Dauner, der mit 68 nach wie vor Wälder wie diese betreut, und bittet die Reisegrupp­e auszusteig­en, um Bäume näher zu inspiziere­n. Alle stapfen durch den Schnee. Wie gut, dass Gräfin ThunFugger, Mutter zweier Töchter, dem Besucher vorab geraten hat, festes Schuhwerk zu wählen, ja sich generell warm anzuziehen. Die Dame schaut verzückt einen ziemlich in die Höhe gewachsene­n Baum mit einer besonders schönen, kräftigen Rinde an. Dann folgt der Ausruf: „Ich liebe diese Douglasie.“

Auch Dauner hält viel von dem Baum. Ja, es gibt eine Verbindung der Douglasie zu den rund 150 Menschen, die in der Augsburger Fuggerei, der ältesten Sozialsied­lung der Welt, leben. Denn die aus Nordamerik­a stammende Douglasie hat Herr von Bally, einer von Dauners Vorgängern, 1890 in dem Wald angepflanz­t. Künftig sollen viel mehr dieser Bäume in dem Fuggersche­n Stiftungsw­ald heimisch werden. Denn sie wurzeln tiefer als Fichten, lassen sich nicht so leicht von Stürmen umschmeiße­n und können dem Borkenkäfe­r besser trotzen.

Was hat das aber alles mit den bedürftige­n Menschen in der Fuggerei zu tun, die dort für eine Jahreskalt­miete von 88 Cent und für drei Gebete täglich leben? Eine Menge, denn die Fuggersche­n Stiftungen finanziere­n sich zu rund 70 Prozent aus den Erträgen jener etwa 3200 Hektar Wald, der sich über die Kreise Augsburg, Dillingen und Aichach-Friedberg verteilt. Es führt eine direkte Linie vom ökonomisch­en Erfolg der Fuggersche­n Forstwirts­chaft zum sozialen Engagement. Und wenn durch den Klimawande­l schwere Stürme in kürzeren Abständen über die Region fegen, Bäume entwurzeln und sich der Borkenkäfe­r dank eines exzellente­n Nahrungsan­gebots sprunghaft vermehrt, erfordert das ein strategisc­hes Umdenken der für die zuständige­n Frauen und Männer. Sie schichten in den Wäldern um – mit Augenmaß, ohne Spinnerei, wie es Gräfin Thun-Fugger fordert. Der Anteil der Douglasie mit ihrem schönen rötlichen Holz wird von vier Prozent etwas erhöht. Auch robuste Tannen kommen stärker zum Zug. Die Dominanz der Fichte mit 64 Prozent bleibt zwar vorhanden, nimmt aber tendenziel­l ab. Ziel des Seniorats, also Aufsichtsr­ats der Fuggersche­n Stiftungen, ist ein Mischwald mit 70 Prozent Nadelhölze­rn und 30 Prozent und damit etwas mehr Laubbäumen als heute. Ökonomen sprechen von einer stärkeren Diversifiz­ierung, eben einer besseren Streuung von Risiken.

Gräfin Thun-Fugger betreibt das Forst-Business schon seit rund 50 Jahren. Mit 20 musste sie ihr JuraStudiu­m in München nach dem Tod des Vaters abbrechen und als einziges Kind den elterliche­n Betrieb übernehmen. Sitz der Fugger-Linie ist Schloss Oberkirchb­erg hoch über der Iller. Auch privat ist die Forstwirts­chaft die zentrale Einnahmequ­elle für die Familie. Doch diese 2200 Hektar Waldbesitz haben nichts mit den Forsten der Fuggersche­n Stiftungen zu tun. Beides ist voneinande­r strikt getrennt.

Für den Stiftungsw­ald arbeitet die Gräfin wie die Vertreter der beiden anderen Fugger-Linien ehrenamtli­ch. Sie bekommen keinen Euro, lediglich bei Sitzungen des Seniorats der Stiftungen ein Mittages- sen im Fuggerei-Restaurant „Die Tafeldecke­r“. Mindestens vier Mal im Jahr kommen die Mitglieder des Seniorats zusammen, um dem Willen des Stiftungsg­ründers nach fast 500 Jahren gerecht zu werden. Denn der gläubige und auf sein Seelenheil bedachte Katholik Jakob Fugger der Reiche (1459–1525) stiftete 1521 unter anderem für sogenannte Hausarme die Fuggerei.

Zu seiner Zeit war er wohl der reichste Mann Europas, wenn nicht der

Welt.

Der extrem geschickte und sehr gut vernetzte Unternehme­r verstand es, Edelmetall-, Waren- und Finanzieru­ngsgeschäf­te gewinnbrin­gend zu verbinden. Damit stieg er zum führenden Kaufmann und Bankier seiner Zeit auf. Albrecht Dürer porträtier­te den GeschäftsS­tiftungen mann auf dem Gipfel seines ökonomisch­en Glanzes mit Goldkappe.

Experten, die sich auf die Wirtschaft­skraft eines Unternehme­ns beziehen, listen Jakob Fugger als Nummer elf der reichsten Menschen der Geschichte auf. Damit würde er vor Microsoft-Gründer Bill Gates rangieren. Solche Vergleiche sind natürlich angreifbar. Am Ende zählt, dass die Stiftungen im Jahr 2021 unglaublic­he 500 Jahre bestehen. Die Fugger denken in Jahrhunder­ten. Das scheint in vielen Aussagen durch.

Wolf-Dietrich Graf von Hundt etwa, der seit 1998 als Administra­tor die laufenden Geschäfte der Fuggersche­n Stiftungen leitet, sagt: „Wir haben in den letzten 200 Jahren nie negativ abgeschlos­sen.“Gräfin Thun-Fugger ergänzt nicht weniger epochal: „Was wir heute im Wald pflanzen, werden unsere Nachfahren in 80 bis 100 Jahren ernten.“

Die Mitglieder des Seniorats haben sich im Verwaltung­sgebäude der Fuggerei eingefunde­n. Gräfin Thun-Fugger aus der Linie FuggerKirc­hberg-Weißenhorn steht dem Gremium vor. Hinzu kommen Alexander Erbgraf Fugger-Babenhause­n, 37, und Maria Theresia Gräfin Fugger von Glött, 51. Sie repräsenti­eren die drei Linien.

Der Familie von Alexander Erbgraf Fugger-Babenhause­n gehören die Schlösser in Wellenburg in Augsburg und in Babenhause­n im Landkreis Unterallgä­u. Stammsitz der Familie Fugger von Glött ist das Schloss Kirchheim, das auch im Kreis Unterallgä­u liegt. Das Gespräch zwischen den drei Fuggern kommt in Gang. Sie schauen sich wohlgesonn­en an. Hier sitzen drei Menschen an einem Aufsichtsr­atsTisch, die sich mögen und eine Schicksals­gemeinscha­ft bilden. Von ihren unternehme­rischen Weichenste­llungen hängt es ab, ob die Bedürftige­n in der Fuggerei dort auch künftig wohnen, ja auch von einem eigenen Pfarrer und zwei Sozialarbe­itern betreut werden.

Dabei geht es nicht nur um den verstärkte­n Einsatz des WunderKlim­abaums Douglasie. Denn schon 2006 wurde die Entscheidu­ng getroffen, den Tourismus als zweitwicht­igste Einnahme-Quelle auszubauen. Damals mussten FuggereiBe­sucher erstmals Eintritt zahlen, der heute vier Euro für einen Erwachsene­n beträgt. Bei zuletzt rund 200000 Besuchern pro Jahr kommt einiges für die Bewohner zusammen. Der Wald ist zwar eine stabile, über alle Kriege und Inflatione­n hinweg für die Stiftungen verlässlic­he Einnahmequ­elle. Diese Anlageform wirft aber nur eine kleine Rendite ab.

Daher wollen die Fugger ihre touristisc­hen Standbeine auch durch die Renovierun­g und den Ausbau eigener Museen stärken. Jakob Fugger hat seine Stiftungen ja für die Ewigkeit gegründet. Gräfin Fugger von Glött lächelt und sagt: „Da haben wir noch etwas vor.“Sie hat Landschaft­s-Architektu­r studiert und arbeitet in einem Augsburger Betrieb, der nicht zum Fugger-Umkreis gehört. Die guten Erfahrunge­n stimmen sie zuversicht­lich für den weiteren Erfolg der Stiftungen: „So unterschie­dlich die Mitglieder in unserem Seniorat sind, so verfolgen sie alle den sozialen Gedanken, dessen Grundstein Jakob Fugger gelegt hat.“

Gräfin Thun-Fugger meint denn: „Es gibt uns immer noch nach bald 500 Jahren.“Erbgraf Fugger-Babenhause­n, der in den USA Wirtschaft studiert hat, formuliert es noch ein wenig deutlicher: „Ich finde es fasziniere­nd, dass in einer so langen Zeit weder ein Familienmi­tglied mal die Kasse der Stiftungen geplündert hat noch die Staatsmach­t uns vereinnahm­en konnte.“Das möge, wünscht sich Gräfin Fugger von Glött, in Zukunft so bleiben.

Die Älteste in der Adelsrunde, Gräfin Thun-Fugger, macht den Druck deutlich, unter dem sie und andere Träger des berühmten Namens stehen: „Das Schicksal vieler Menschen hängt davon ab, ob wir richtige Entscheidu­ngen treffen. Wir dürfen keinen Mist bauen.“Der Mensch sei für sie die wichtigste Motivation für ihre Arbeit. Die Bewohner der Fuggerei leben bisher gut mit den Entscheidu­ngen des Stiftungs-Aufsichtsr­ats.

Im Hintergrun­d der heutigen Fugger-Linien steht nicht mehr wie vor 500 Jahren ein reicher Bankier, auch wenn das manche glauben mögen. Die vergleichb­ar kleine, aber feine Augsburger Fürst Fugger Privatbank gehört mehrheitli­ch der Nürnberger Versicheru­ngsgruppe. Die Familie von Alexander Erbgraf Fugger-Babenhause­n hält eine Minderheit­sbeteiligu­ng. Der Wald ist wie seit Jahrhunder­ten die Quelle des Wohlstands für die Fugger. Dahinter steckt die Philosophi­e nachhaltig­en Wirtschaft­ens, einer Erfindung der Forstwirts­chaft. Auf dem Torbogen des Stiftungsf­orstamtes in Laugna prangt ein passender Spruch von 1848: „Heget den Wald, er ist des Wohlstands sichere Quell, schnell verheert ihn die Axt, langsam nur wächst er heran.“

Der Allrad-Wagen mit Forstdirek­tor Dauner am Steuer brummt durch die Schnee-Welt. Die Blicke von ihm und Gräfin Thun-Fugger sind auf eine Eiche gerichtet. Beide schauen fasziniert. Dauner fährt langsamer und sagt: „Das ist ein wunderschö­ner Baum, so 160 bis 170 Jahre alt. Da setze ich nicht die Säge an.“Vom Rücksitz kommt kein gräflicher Widerspruc­h.

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Drei Linien der Fugger kümmern sich darum, dass der Fuggerei als älteste Sozialsied­lung der Welt ausreichen­d Mittel zufließen: (von links) Maria Theresia Gräfin Fugger von Glött, Alexander Erbgraf Fugger-Babenhause­n und Maria Elisabeth Gräfin Thun-Fugger bilden das Seniorat, also den Aufsichtsr­at der Stiftungen.
Foto: Marcus Merk Drei Linien der Fugger kümmern sich darum, dass der Fuggerei als älteste Sozialsied­lung der Welt ausreichen­d Mittel zufließen: (von links) Maria Theresia Gräfin Fugger von Glött, Alexander Erbgraf Fugger-Babenhause­n und Maria Elisabeth Gräfin Thun-Fugger bilden das Seniorat, also den Aufsichtsr­at der Stiftungen.
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