Die unsichtbare Gefahr
Wir sehen nicht, was wir jeden Tag einatmen. Eckart B. aus Augsburg schon. Wie das Schicksal eines Mannes den Blick auf die Schadstoff-Debatte verändert
Wenn Eckart B. etwas sagen möchte, muss er auf einen Knopf an seinem Hals drücken. Zwischen seiner Speise- und seiner Luftröhre sitzt eine Stimmprothese. Doch manchmal kommen statt Worten nur gurgelnde oder krächzende Geräusche heraus. Dann probiert es der 77-Jährige einfach noch mal, drückt den Knopf ein bisschen fester. „Ich muss damit leben“, sagt er und macht eine kurze Pause. Der nächste Satz braucht ein paar Anläufe. Eckart B., der seinen ganzen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, lächelt ermutigend. „Mit Humor“, stößt er hervor. „Ich trag’s mit Humor.“
Seine Lebensfreude hat sich der ehemalige Lehrer nicht nehmen lassen. Nicht vom Kehlkopfkrebs, nicht von den vielen Fehldiagnosen und auch nicht von den schweren Operationen. Jeden Tag spaziert er zwei bis drei Stunden durch die Augsburger Innenstadt, gestützt auf seinen Rollator. Zum Königsplatz, die Bürgermeister-Fischer-Straße hinunter, kurze Station in St. Moritz. Danach geht er über die Maximilianstraße weiter, zurück nach Hause. Nachdem er diesen Weg das erste Mal gelaufen war und am Abend den Filter seiner Stimmprothese wechselte, hielt er überrascht inne. Auf dem hellen Grund zeichnete sich deutlich eine graue Spur ab. Feinstaub.
Dort, wo der Rentner jeden Tag vorbeiläuft, am Königsplatz, steht eine der vielen Messstationen in Bayern. Die Feinstaubwerte der vergangenen Tage liegen laut Umweltbundesamt zwischen 21 und 32 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, also weit unter dem Grenzwert von 50 Mikrogramm.
Zahlen, die für Eckart B. keine unmittelbare Rolle spielen. Sie sind abstrakt, weit weg. Die graue Spur dagegen ist ganz nah, jeden Abend sieht er sie. Bei ihm lande der Staub in einem Filter, bei den meisten Menschen hingegen in der Lunge, erklärt der 77-Jährige. „Feinstaub ist eine unsichtbare tödliche Gefahr.“Eckart B. möchte den Leuten zeigen, was sie Tag für Tag einatmen. Ihnen bewusst machen: Auch sie könnten krank werden, so wie er. „Ihren Beruf werden Sie dann nicht mehr ausüben können. Und von BMW oder Audi werden Sie keine Rente bekommen.“
Was die Schadstoffe in der Luft mit unserem Körper machen, untersucht das Helmholtz Zentrum in München seit 30 Jahren. Ende Januar veröffentlichten die Wissenschaftler zusammen mit internationalen Kollegen eine Stellungnahme, in der sie betonen: „Feinstaub, Ozon und Stickstoffdioxid schaden der Gesundheit in Deutschland.“Sie verkürzten die Lebenszeit, lösen Lungen- und HerzKreislauf-Erkrankungen aus. Und: „Die krebserzeugende Wirkung von Feinstaub gilt inzwischen als gesichert“, heißt es weiter.
Immer mehr Studien belegen zudem, dass die winzigen Partikel Schwangerschaften negativ beeinflussen, erklärt Holger Schulz vom Helmholtz Zentrum. Einige Forscher sehen sogar einen Zusammenhang zwischen den Schadstoffen und Demenz sowie der geistlichen Entwicklung von Kindern.
Was muss sich also ändern? „Die Politik dürfte nicht so eng mit der Wirtschaft zusammenarbeiten“, meint die Ehefrau von Eckart B., Gerhild. „Es ist ein Witz, was da gerade mit der Diesel-Geschichte passiert.“Dass viele Autofahrer sich nun einfach einen neuen Wagen kaufen sollen, sei weit entfernt von einer brauchbaren Lösung. Ihr Mann Eckart wundert sich schon länger darüber, dass die Augsburger Maximilianstraße gepflastert wurde. Das bedeute mehr Abrieb und damit mehr Feinstaub. Trotz alledem sagt er: „Eigentlich muss man Augsburg ein Kompliment machen. Hier gibt es super verkehrsberuhigte Zonen.“Nur, warum sind es so wenige?
Ganz so einfach sei das nicht, entgegnet Richard Goerlich, Sprecher der Stadt Augsburg. „Wir arbeiten konsequent an der Verbesserung der Luftqualität, speziell an Verkehrspunkten mit höherer Feinstaubbelastung.“Doch dabei müssten immer verschiedene Interessen miteinbezogen werden. „Das gilt auch für verkehrsberuhigte Zonen, die sicher wünschenswert, aber nicht beliebig einrichtbar sind“, erklärt Goerlich.
„Vielleicht müssen wir wieder lernen, dass wir auch ohne Auto eine hohe Lebensqualität haben“, sagt Experte Holger Schulz. Die Städte sollten sich einmal überlegen, wie viel öffentlichen Raum parkende Auschon tos einnehmen und wie viele Quadratmeter im Vergleich an Spielplätze gehen. Zwar könne jeder Einzelne etwas gegen die Schadstoffbelastung machen, ist Schulz überzeugt. Nämlich einfach öfter das Auto stehen lassen. Aber: „Das Wir sollte nicht nur auf der individuellen Ebene liegen, sondern auch auf der politischen und der industriellen.“
Als Eckart und Gerhild B. 2014 von Leutkirch im baden-württembergischen Allgäu nach Augsburg zogen, war der pensionierte Lehrer noch gesund. Erst später begann seine Stimme immer heiserer zu werden. Kam da nicht der Gedanke auf, zurück aufs Land zu ziehen? Wo sich nicht so viele Autos durch die Straßen drängen, die Luft unbelasteter ist? Nein, nie, sagt Gerhild B. „Wir fühlen uns in Augsburg sehr wohl.“
Seine Geschichte erzählt der 77-Jährige, weil er hofft, etwas bewegen zu können. „Es geht nicht um mich, sondern um die Sache.“Um diese Sache mit dem Feinstaub, die uns alle betrifft. Auch wenn wir es nicht so deutlich sehen.