Schwabmünchner Allgemeine

Die unsichtbar­e Gefahr

Wir sehen nicht, was wir jeden Tag einatmen. Eckart B. aus Augsburg schon. Wie das Schicksal eines Mannes den Blick auf die Schadstoff-Debatte verändert

- VON JESSICA STIEGELMAY­ER

Wenn Eckart B. etwas sagen möchte, muss er auf einen Knopf an seinem Hals drücken. Zwischen seiner Speise- und seiner Luftröhre sitzt eine Stimmproth­ese. Doch manchmal kommen statt Worten nur gurgelnde oder krächzende Geräusche heraus. Dann probiert es der 77-Jährige einfach noch mal, drückt den Knopf ein bisschen fester. „Ich muss damit leben“, sagt er und macht eine kurze Pause. Der nächste Satz braucht ein paar Anläufe. Eckart B., der seinen ganzen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, lächelt ermutigend. „Mit Humor“, stößt er hervor. „Ich trag’s mit Humor.“

Seine Lebensfreu­de hat sich der ehemalige Lehrer nicht nehmen lassen. Nicht vom Kehlkopfkr­ebs, nicht von den vielen Fehldiagno­sen und auch nicht von den schweren Operatione­n. Jeden Tag spaziert er zwei bis drei Stunden durch die Augsburger Innenstadt, gestützt auf seinen Rollator. Zum Königsplat­z, die Bürgermeis­ter-Fischer-Straße hinunter, kurze Station in St. Moritz. Danach geht er über die Maximilian­straße weiter, zurück nach Hause. Nachdem er diesen Weg das erste Mal gelaufen war und am Abend den Filter seiner Stimmproth­ese wechselte, hielt er überrascht inne. Auf dem hellen Grund zeichnete sich deutlich eine graue Spur ab. Feinstaub.

Dort, wo der Rentner jeden Tag vorbeiläuf­t, am Königsplat­z, steht eine der vielen Messstatio­nen in Bayern. Die Feinstaubw­erte der vergangene­n Tage liegen laut Umweltbund­esamt zwischen 21 und 32 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, also weit unter dem Grenzwert von 50 Mikrogramm.

Zahlen, die für Eckart B. keine unmittelba­re Rolle spielen. Sie sind abstrakt, weit weg. Die graue Spur dagegen ist ganz nah, jeden Abend sieht er sie. Bei ihm lande der Staub in einem Filter, bei den meisten Menschen hingegen in der Lunge, erklärt der 77-Jährige. „Feinstaub ist eine unsichtbar­e tödliche Gefahr.“Eckart B. möchte den Leuten zeigen, was sie Tag für Tag einatmen. Ihnen bewusst machen: Auch sie könnten krank werden, so wie er. „Ihren Beruf werden Sie dann nicht mehr ausüben können. Und von BMW oder Audi werden Sie keine Rente bekommen.“

Was die Schadstoff­e in der Luft mit unserem Körper machen, untersucht das Helmholtz Zentrum in München seit 30 Jahren. Ende Januar veröffentl­ichten die Wissenscha­ftler zusammen mit internatio­nalen Kollegen eine Stellungna­hme, in der sie betonen: „Feinstaub, Ozon und Stickstoff­dioxid schaden der Gesundheit in Deutschlan­d.“Sie verkürzten die Lebenszeit, lösen Lungen- und HerzKreisl­auf-Erkrankung­en aus. Und: „Die krebserzeu­gende Wirkung von Feinstaub gilt inzwischen als gesichert“, heißt es weiter.

Immer mehr Studien belegen zudem, dass die winzigen Partikel Schwangers­chaften negativ beeinfluss­en, erklärt Holger Schulz vom Helmholtz Zentrum. Einige Forscher sehen sogar einen Zusammenha­ng zwischen den Schadstoff­en und Demenz sowie der geistliche­n Entwicklun­g von Kindern.

Was muss sich also ändern? „Die Politik dürfte nicht so eng mit der Wirtschaft zusammenar­beiten“, meint die Ehefrau von Eckart B., Gerhild. „Es ist ein Witz, was da gerade mit der Diesel-Geschichte passiert.“Dass viele Autofahrer sich nun einfach einen neuen Wagen kaufen sollen, sei weit entfernt von einer brauchbare­n Lösung. Ihr Mann Eckart wundert sich schon länger darüber, dass die Augsburger Maximilian­straße gepflaster­t wurde. Das bedeute mehr Abrieb und damit mehr Feinstaub. Trotz alledem sagt er: „Eigentlich muss man Augsburg ein Kompliment machen. Hier gibt es super verkehrsbe­ruhigte Zonen.“Nur, warum sind es so wenige?

Ganz so einfach sei das nicht, entgegnet Richard Goerlich, Sprecher der Stadt Augsburg. „Wir arbeiten konsequent an der Verbesseru­ng der Luftqualit­ät, speziell an Verkehrspu­nkten mit höherer Feinstaubb­elastung.“Doch dabei müssten immer verschiede­ne Interessen miteinbezo­gen werden. „Das gilt auch für verkehrsbe­ruhigte Zonen, die sicher wünschensw­ert, aber nicht beliebig einrichtba­r sind“, erklärt Goerlich.

„Vielleicht müssen wir wieder lernen, dass wir auch ohne Auto eine hohe Lebensqual­ität haben“, sagt Experte Holger Schulz. Die Städte sollten sich einmal überlegen, wie viel öffentlich­en Raum parkende Auschon tos einnehmen und wie viele Quadratmet­er im Vergleich an Spielplätz­e gehen. Zwar könne jeder Einzelne etwas gegen die Schadstoff­belastung machen, ist Schulz überzeugt. Nämlich einfach öfter das Auto stehen lassen. Aber: „Das Wir sollte nicht nur auf der individuel­len Ebene liegen, sondern auch auf der politische­n und der industriel­len.“

Als Eckart und Gerhild B. 2014 von Leutkirch im baden-württember­gischen Allgäu nach Augsburg zogen, war der pensionier­te Lehrer noch gesund. Erst später begann seine Stimme immer heiserer zu werden. Kam da nicht der Gedanke auf, zurück aufs Land zu ziehen? Wo sich nicht so viele Autos durch die Straßen drängen, die Luft unbelastet­er ist? Nein, nie, sagt Gerhild B. „Wir fühlen uns in Augsburg sehr wohl.“

Seine Geschichte erzählt der 77-Jährige, weil er hofft, etwas bewegen zu können. „Es geht nicht um mich, sondern um die Sache.“Um diese Sache mit dem Feinstaub, die uns alle betrifft. Auch wenn wir es nicht so deutlich sehen.

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Foto: Jessica Stiegelmay­er Nach jedem Spaziergan­g durch die Augsburger Innenstadt hat sich eine Feinstaub-Spur auf die Filter seiner Stimmproth­ese gelegt, erzählt Eckart B.

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