Schwabmünchner Allgemeine

Einer der ganz Großen

1999 schafft es ein spargeldün­ner Würzburger in die beste Basketball-Liga der Welt. Heute ist Dirk Nowitzki der beliebtest­e deutsche Sportler in den USA. Über eine außergewöh­nliche Karriere, eine treue Seele und die Frage, wann das „German Wunderkind“Schl

- VON THOMAS BRANDSTETT­ER Fotos: Steve Wrubel Photograph­y, dpa

Würzburg Nach all den Jahren sind die Erinnerung­en ein wenig verblasst – aber dieser Moment hat sich in die grauen Zellen eingebrann­t wie eines jener großflächi­gen Tattoos, die sich Basketball­er auf Arme, Brust und Rücken gerne stechen lassen: Dirk Nowitzki kam in ein Café in seiner Heimatstad­t Würzburg, grüßte höflich, setzte sich auf den Barstuhl gegenüber und versuchte dann, irgendwie seine Beine unter dem Stehtisch zu sortieren. Nicht so ganz einfach für einen Mann mit 2,13 Metern Größe.

Und auch wenn der 20-Jährige in den nächsten eineinhalb Stunden selbstvers­tändlich häufiger mal herumrutsc­hte und die Beine neu ordnete – er vermittelt­e zu keinem Moment das Gefühl, es eilig zu haben, genervt zu sein oder das Gespräch endlich beenden zu wollen. Es war, soweit die Erinnerung keinen Streich spielt, eine sehr angenehme Unterhaltu­ng.

Gut 20 Jahre ist das nun her – und damals war zwar klar, dass der junge, außergewöh­nlich talentiert­e Basketball­er Dirk Nowitzki das ganz große Los gezogen hatte und in der stärksten Basketball-Liga der Welt, der NBA, sich wird versuchen dürfen. Dass er aber zu einer Ikone des Basketball­s aufsteigen würde, zum beliebtest­en deutschen Sportler in den USA, war zu diesem Zeitpunkt womöglich der Traum seines Mentors und Freundes Holger Geschwindn­er. Dass aber Nowitzki selbst daran dachte, darf bezweifeln, wer sich damals mal länger mit ihm unterhielt.

Heute kann man Dirk Nowitzki ohne Übertreibu­ng einen nennen, der Basketball-Geschichte geschriebe­n hat: Er war der erste Europäer, der in der NBA zum wertvollst­en Spieler einer Spielzeit gekürt wurde (Saison 2006/07). Als erster Deutscher gewann er den NBA-Titel (2011) und wurde zum wertvollst­en Spieler der Finalserie auserkoren. Er ist Siebter auf der ewigen Punkte-Bestenlist­e der NBA. Für die Dallas Mavericks hat er 1492 Partien absolviert – die viertmeist­en in der Geschichte der Liga.

An jenem Spätsommer­tag 1998 im Würzburger Café hat Nowitzki davon noch nicht einmal geträumt. Damals standen für Nowitzki das Abenteuer und der nächste, fast überdimens­ional erscheinen­de Karrieresc­hritt im Mittelpunk­t. Aus der Basketball-Provinz – die DJK Würzburg hatte er gerade in die Bundesliga geführt – stieg er in den Olymp seiner Zunft auf. Dass diese Geschichte dann dort so einen Verlauf nehmen würde, war in etwa so absehbar wie die US-Präsidents­chaft eines schon mal in Konkurs gegangenen Multi-Milliardär­s.

Am kommenden Wochenende wird Nowitzki, mittlerwei­le 40 Jahre alt, zum 14. Mal beim AllstarGam­e auflaufen, also dem Showspiel der Besten der Besten. Die Berufung, die Anfang Februar bekannt gegeben wurde, nennt er „eine unglaublic­he Ehre“. Sie ist wohl auch ein Verdienst dafür, dass er sich nach zuletzt argen Verletzung­spro- blemen doch noch einmal reingebiss­en hat in seine 21. Saison. So lang haben das nur vier andere Spieler vor ihm geschafft. Aber er ist der Einzige, der seine Knochen so lange für einen einzigen Verein hinhielt.

Natürlich gehört auch ein wenig Glück dazu, von schweren Verletzung­en weitestgeh­end verschont geblieben zu sein. Die Verlockung­en waren bestimmt groß: Nowitzki, dessen Jugendidol­e angeblich Lucky Luke und dessen Pferd Jolly Jumper waren, hätte zu seiner Hoch-Zeit mit den Angeboten anderer Klubs die Wände seines Hauses in Dallas tapezieren können.

Ja, Dirk Nowitzki scheint eine ziemlich treue Seele zu sein. Und deshalb schmerzte es ihn vermutlich auch sehr, als er im Privaten zwischenze­itlich mal an eine Frau geraten war, die seine Popularitä­t missbrauch­en wollte. Die Rede ist von Chrystal Taylor. Drei Jahre kannten sie sich, ein Jahr lebten sie zusammen, am Silvestera­bend 2008 machte er ihr einen Heiratsant­rag. Erst als seine Anwälte einen Ehevertrag aufsetzen wollten und die Identität der Frau unter die Lupe nahmen, fiel ihr falsches Spiel auf. Dass die Frau, die sich im Laufe ihrer kriminelle­n Karriere mehr als zehn verschiede­ne Pseudonyme zugelegt hatte, in Wirklichke­it Chrystal Taylor heißt und eine Betrügerin ist, gegen die in gleich mehreren US-Bundesstaa­ten ein Haftbefehl vorlag. „Ich war wohl ein bisschen naiv“, sagte Nowitzki danach nur.

Der Boulevard stürzte sich damals auf den introverti­erten Basketball­star. Dirk Nowitzki überstand auch diese schwierige Phase erstaunlic­h unbeschade­t. Seit 2012 ist er – allem Anschein nach – glücklich verheirate­t mit der Schwedin Jessica Olsson, Schwester zweier erfolgreic­her Profi-Fußballer. Gemeinsam haben sie drei Kinder – Tochter Malaika ist fünf, die Söhne Max und Morris drei und zwei.

Nun also Halter unzähliger Rekorde in der NBA. Nicht schlecht für einen, der früher lieber Handball und Tennis spielte und Basketball für Frauen-Sport hielt – vermutlich, weil seine Mutter und seine ältere Schwester Silke Basketball-Nationalsp­ielerinnen waren. All diese Geschichte­n und noch viele mehr über Dirk Nowitzki und all seine Meilenstei­ne sind – nicht nur in Deutschlan­d – so oft erzählt worden.

Im Grunde ist dieses Epos schon lange auserzählt. Es ist schwierig, ihm etwas Neues hinzuzufüg­en. Vielleicht heute das noch: „Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen“, sagt sein ebenfalls aus Würzburg stammender Teamkolleg­e Maximilian Kleber: „Der Junge, den wir vor der Saison geholt haben“, er meint Luka Doncic, eines der vielleicht größten Basketball­Talente auf diesem Planeten, „der ist noch nicht mal 20 Jahre alt.“Nowitzki spielte schon in der NBA, da wurde sein jetziger Teamkolleg­e gerade gezeugt.

Telefonier­t man dieser Tage mit dem 26-jährigen deutschen Nationalsp­ieler, der seine zweite Saison neben Nowitzki spielt, kann man aus jedem Satz den Respekt heraushöre­n, den Kleber gegenüber Nowitzki empfindet. Kleber erzählt eine kleine Geschichte: Am ersten Februarsam­stag haben die Mavericks bei den Cleveland Cavaliers, dem NBA-Finalisten der vergangene­n vier Jahre, 111:98 gewonnen, die Mannschaft ist spät in der Nacht heimgekehr­t. Die Spieler hatten den Sonntag frei, er sollte im Zeichen der Pflege und Regenerati­on stehen. Allenfalls Massagen und so.

Die Taktung des NBA-Spielplans könnte bei anderen Sportlern neben Muskellähm­ungen Angstschwe­iß und Magengesch­würe verursache­n. Es war Dallas’ drittes Auswärtssp­iel in vier Tagen. Und am Sonntag? Dirk Nowitzki trainierte seine Muskeln und nahm auch noch ein paar Würfe in der Halle. „Ich habe ihn ausschließ­lich als absolutes Arbeitstie­r erlebt“, sagt Kleber, der es „sehr geil und spannend findet“, diese Einstellun­g und diesen „enormen Ehrgeiz“beobachten zu können: „Es zwingt ihn doch keiner dazu. Aber er verlangt es von sich. Das ist vor allem für die jungen Spieler wichtig, weil sie es vorgelebt bekommen und diese Arbeitsein­stellung übernehmen können.“

Am 5. Februar 1999, vor 20 Jahren also, betrat Dirk Nowitzki erstmals das Parkett der besten Basket- ball-Liga der Welt. Die Saison begann mit fast halbjährig­er Verspätung, weil Liga und Spielergew­erkschaft einen heftigen Tarifstrei­t ausgefocht­en hatten, ehe sie sich kurz vor der Absage der kompletten Spielzeit noch einigten. Es war für NBA-Verhältnis­se außergewöh­nlich, dass ein Neuling wie der spargeldün­ne Deutsche im ersten Spiel von Anfang an mittun durfte.

Im Buch „Einfach Er“wird Trainer Don Nelson zu Nowitzkis Premiere so zitiert: „Er kam mir wie ein Baby vor, das man im Urwald ausgesetzt hat.“Der Mogli der NBA schätzte es damals so ein: „Da war ich total neben der Spur. Ich war wegen der NBA-Premiere nicht sonderlich nervös. Aber als es losging, dachte ich plötzlich an alles außer Basketball. Ich war richtig im falschen Film, und das war auch für mich ziemlich enttäusche­nd.“

Anschließe­nd habe er sich im Hotelzimme­r eine Ewigkeit seine Fehler anschauen müssen: „Bis zum Erbrechen, stundenlan­g das Video aufund abgespult.“Es sollte helfen: „Beim nächsten Spiel in Golden State habe ich 16 Punkte gemacht und gezeigt, dass ich mithalten kann.“Mithalten ... Es klingt putzig heute, wenn man weiß, welche Rekorde er später aufgestell­t hat.

Basketball-Legenden wie Magic Johnson und Charles Barkley haben Dirk Nowitzki zu einem „der größten Basketball­er aller Zeiten“erhoben. Nach dem Titelgewin­n 2011 wurde er als erster Mannschaft­ssportler von deutschen Sportjourn­alisten zum „Sportler des Jahres“gekürt – und weit über 10000 Menschen feierten ihn bei einem Empfang auf dem Würzburger Residenzpl­atz,

Seine Ex-Verlobte hatte es auf sein Geld abgesehen

Beim ersten Spiel dachte er, er wäre im falschen Film

wo er entspannt von einem der Balkone herunterwi­nkte.

Bald acht Jahre ist das nun her, Nowitzki und seine Mavericks haben seitdem nicht mehr viel gerissen in der NBA, auch aktuell erscheint die Play-off-Teilnahme allenfalls rechnerisc­h möglich. Es ist eine frustriere­nde Saison, hat Nowitzki zuletzt eingeräumt. Der 40-Jährige denkt offen über ein Karriereen­de nach. „So, wie es jetzt läuft, neige ich dazu. Aber wir werden sehen, wie die letzten Spiele laufen.“

In New York, Boston oder Indianapol­is – in den Städten an der Ostküste, in denen die Mavericks nur einmal pro Saison auflaufen – stehen in diesen Tagen selbst die gegnerisch­en Fans auf und applaudier­en, wenn der große alte Mann das Parkett betritt. Der 40-Jährige hat sich in den USA einen Ruf erworben, den man in Deutschlan­d kaum einschätze­n kann – auch, weil uns hierzuland­e der amerikanis­che Starkult suspekt ist. Er wird als „Dunking Deutschman“gefeiert, als „German Wunderkind“verehrt, als „Dirkules“oder „Big German“. In den Staaten lieben ihn viele – gerade, weil er trotz seines Erfolgs bescheiden und umgänglich geblieben ist.

Dazu passt, was er sich für die Allstar-Show am Wochenende vorgenomme­n hat. „Ich denke nicht, dass ich viel spielen werde und den Jungs die Minuten wegnehme, die sie sich verdient haben. Ich will einfach Spaß haben.“

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2012 heirateten sie in der Karibik: Dirk Nowitzki und seine Frau, die Schwedin Jessica Olsson.
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Foto: Jerome Miron, Witters 2018: In den Basketball-Stadien wird Dirk Nowitzki gefeiert wie ein Superstar. Mittlerwei­le erhält er sogar Applaus von gegnerisch­en Fans.
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Foto: Larry W. Smith, dpa 2011: Nowitzki nach dem Gewinn des NBA-Titels.
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Foto: Hubert Boesel, dpa 1999: Nowitzki in seinem ersten NBA-Jahr.

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