Einer der ganz Großen
1999 schafft es ein spargeldünner Würzburger in die beste Basketball-Liga der Welt. Heute ist Dirk Nowitzki der beliebteste deutsche Sportler in den USA. Über eine außergewöhnliche Karriere, eine treue Seele und die Frage, wann das „German Wunderkind“Schl
Würzburg Nach all den Jahren sind die Erinnerungen ein wenig verblasst – aber dieser Moment hat sich in die grauen Zellen eingebrannt wie eines jener großflächigen Tattoos, die sich Basketballer auf Arme, Brust und Rücken gerne stechen lassen: Dirk Nowitzki kam in ein Café in seiner Heimatstadt Würzburg, grüßte höflich, setzte sich auf den Barstuhl gegenüber und versuchte dann, irgendwie seine Beine unter dem Stehtisch zu sortieren. Nicht so ganz einfach für einen Mann mit 2,13 Metern Größe.
Und auch wenn der 20-Jährige in den nächsten eineinhalb Stunden selbstverständlich häufiger mal herumrutschte und die Beine neu ordnete – er vermittelte zu keinem Moment das Gefühl, es eilig zu haben, genervt zu sein oder das Gespräch endlich beenden zu wollen. Es war, soweit die Erinnerung keinen Streich spielt, eine sehr angenehme Unterhaltung.
Gut 20 Jahre ist das nun her – und damals war zwar klar, dass der junge, außergewöhnlich talentierte Basketballer Dirk Nowitzki das ganz große Los gezogen hatte und in der stärksten Basketball-Liga der Welt, der NBA, sich wird versuchen dürfen. Dass er aber zu einer Ikone des Basketballs aufsteigen würde, zum beliebtesten deutschen Sportler in den USA, war zu diesem Zeitpunkt womöglich der Traum seines Mentors und Freundes Holger Geschwindner. Dass aber Nowitzki selbst daran dachte, darf bezweifeln, wer sich damals mal länger mit ihm unterhielt.
Heute kann man Dirk Nowitzki ohne Übertreibung einen nennen, der Basketball-Geschichte geschrieben hat: Er war der erste Europäer, der in der NBA zum wertvollsten Spieler einer Spielzeit gekürt wurde (Saison 2006/07). Als erster Deutscher gewann er den NBA-Titel (2011) und wurde zum wertvollsten Spieler der Finalserie auserkoren. Er ist Siebter auf der ewigen Punkte-Bestenliste der NBA. Für die Dallas Mavericks hat er 1492 Partien absolviert – die viertmeisten in der Geschichte der Liga.
An jenem Spätsommertag 1998 im Würzburger Café hat Nowitzki davon noch nicht einmal geträumt. Damals standen für Nowitzki das Abenteuer und der nächste, fast überdimensional erscheinende Karriereschritt im Mittelpunkt. Aus der Basketball-Provinz – die DJK Würzburg hatte er gerade in die Bundesliga geführt – stieg er in den Olymp seiner Zunft auf. Dass diese Geschichte dann dort so einen Verlauf nehmen würde, war in etwa so absehbar wie die US-Präsidentschaft eines schon mal in Konkurs gegangenen Multi-Milliardärs.
Am kommenden Wochenende wird Nowitzki, mittlerweile 40 Jahre alt, zum 14. Mal beim AllstarGame auflaufen, also dem Showspiel der Besten der Besten. Die Berufung, die Anfang Februar bekannt gegeben wurde, nennt er „eine unglaubliche Ehre“. Sie ist wohl auch ein Verdienst dafür, dass er sich nach zuletzt argen Verletzungspro- blemen doch noch einmal reingebissen hat in seine 21. Saison. So lang haben das nur vier andere Spieler vor ihm geschafft. Aber er ist der Einzige, der seine Knochen so lange für einen einzigen Verein hinhielt.
Natürlich gehört auch ein wenig Glück dazu, von schweren Verletzungen weitestgehend verschont geblieben zu sein. Die Verlockungen waren bestimmt groß: Nowitzki, dessen Jugendidole angeblich Lucky Luke und dessen Pferd Jolly Jumper waren, hätte zu seiner Hoch-Zeit mit den Angeboten anderer Klubs die Wände seines Hauses in Dallas tapezieren können.
Ja, Dirk Nowitzki scheint eine ziemlich treue Seele zu sein. Und deshalb schmerzte es ihn vermutlich auch sehr, als er im Privaten zwischenzeitlich mal an eine Frau geraten war, die seine Popularität missbrauchen wollte. Die Rede ist von Chrystal Taylor. Drei Jahre kannten sie sich, ein Jahr lebten sie zusammen, am Silvesterabend 2008 machte er ihr einen Heiratsantrag. Erst als seine Anwälte einen Ehevertrag aufsetzen wollten und die Identität der Frau unter die Lupe nahmen, fiel ihr falsches Spiel auf. Dass die Frau, die sich im Laufe ihrer kriminellen Karriere mehr als zehn verschiedene Pseudonyme zugelegt hatte, in Wirklichkeit Chrystal Taylor heißt und eine Betrügerin ist, gegen die in gleich mehreren US-Bundesstaaten ein Haftbefehl vorlag. „Ich war wohl ein bisschen naiv“, sagte Nowitzki danach nur.
Der Boulevard stürzte sich damals auf den introvertierten Basketballstar. Dirk Nowitzki überstand auch diese schwierige Phase erstaunlich unbeschadet. Seit 2012 ist er – allem Anschein nach – glücklich verheiratet mit der Schwedin Jessica Olsson, Schwester zweier erfolgreicher Profi-Fußballer. Gemeinsam haben sie drei Kinder – Tochter Malaika ist fünf, die Söhne Max und Morris drei und zwei.
Nun also Halter unzähliger Rekorde in der NBA. Nicht schlecht für einen, der früher lieber Handball und Tennis spielte und Basketball für Frauen-Sport hielt – vermutlich, weil seine Mutter und seine ältere Schwester Silke Basketball-Nationalspielerinnen waren. All diese Geschichten und noch viele mehr über Dirk Nowitzki und all seine Meilensteine sind – nicht nur in Deutschland – so oft erzählt worden.
Im Grunde ist dieses Epos schon lange auserzählt. Es ist schwierig, ihm etwas Neues hinzuzufügen. Vielleicht heute das noch: „Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen“, sagt sein ebenfalls aus Würzburg stammender Teamkollege Maximilian Kleber: „Der Junge, den wir vor der Saison geholt haben“, er meint Luka Doncic, eines der vielleicht größten BasketballTalente auf diesem Planeten, „der ist noch nicht mal 20 Jahre alt.“Nowitzki spielte schon in der NBA, da wurde sein jetziger Teamkollege gerade gezeugt.
Telefoniert man dieser Tage mit dem 26-jährigen deutschen Nationalspieler, der seine zweite Saison neben Nowitzki spielt, kann man aus jedem Satz den Respekt heraushören, den Kleber gegenüber Nowitzki empfindet. Kleber erzählt eine kleine Geschichte: Am ersten Februarsamstag haben die Mavericks bei den Cleveland Cavaliers, dem NBA-Finalisten der vergangenen vier Jahre, 111:98 gewonnen, die Mannschaft ist spät in der Nacht heimgekehrt. Die Spieler hatten den Sonntag frei, er sollte im Zeichen der Pflege und Regeneration stehen. Allenfalls Massagen und so.
Die Taktung des NBA-Spielplans könnte bei anderen Sportlern neben Muskellähmungen Angstschweiß und Magengeschwüre verursachen. Es war Dallas’ drittes Auswärtsspiel in vier Tagen. Und am Sonntag? Dirk Nowitzki trainierte seine Muskeln und nahm auch noch ein paar Würfe in der Halle. „Ich habe ihn ausschließlich als absolutes Arbeitstier erlebt“, sagt Kleber, der es „sehr geil und spannend findet“, diese Einstellung und diesen „enormen Ehrgeiz“beobachten zu können: „Es zwingt ihn doch keiner dazu. Aber er verlangt es von sich. Das ist vor allem für die jungen Spieler wichtig, weil sie es vorgelebt bekommen und diese Arbeitseinstellung übernehmen können.“
Am 5. Februar 1999, vor 20 Jahren also, betrat Dirk Nowitzki erstmals das Parkett der besten Basket- ball-Liga der Welt. Die Saison begann mit fast halbjähriger Verspätung, weil Liga und Spielergewerkschaft einen heftigen Tarifstreit ausgefochten hatten, ehe sie sich kurz vor der Absage der kompletten Spielzeit noch einigten. Es war für NBA-Verhältnisse außergewöhnlich, dass ein Neuling wie der spargeldünne Deutsche im ersten Spiel von Anfang an mittun durfte.
Im Buch „Einfach Er“wird Trainer Don Nelson zu Nowitzkis Premiere so zitiert: „Er kam mir wie ein Baby vor, das man im Urwald ausgesetzt hat.“Der Mogli der NBA schätzte es damals so ein: „Da war ich total neben der Spur. Ich war wegen der NBA-Premiere nicht sonderlich nervös. Aber als es losging, dachte ich plötzlich an alles außer Basketball. Ich war richtig im falschen Film, und das war auch für mich ziemlich enttäuschend.“
Anschließend habe er sich im Hotelzimmer eine Ewigkeit seine Fehler anschauen müssen: „Bis zum Erbrechen, stundenlang das Video aufund abgespult.“Es sollte helfen: „Beim nächsten Spiel in Golden State habe ich 16 Punkte gemacht und gezeigt, dass ich mithalten kann.“Mithalten ... Es klingt putzig heute, wenn man weiß, welche Rekorde er später aufgestellt hat.
Basketball-Legenden wie Magic Johnson und Charles Barkley haben Dirk Nowitzki zu einem „der größten Basketballer aller Zeiten“erhoben. Nach dem Titelgewinn 2011 wurde er als erster Mannschaftssportler von deutschen Sportjournalisten zum „Sportler des Jahres“gekürt – und weit über 10000 Menschen feierten ihn bei einem Empfang auf dem Würzburger Residenzplatz,
Seine Ex-Verlobte hatte es auf sein Geld abgesehen
Beim ersten Spiel dachte er, er wäre im falschen Film
wo er entspannt von einem der Balkone herunterwinkte.
Bald acht Jahre ist das nun her, Nowitzki und seine Mavericks haben seitdem nicht mehr viel gerissen in der NBA, auch aktuell erscheint die Play-off-Teilnahme allenfalls rechnerisch möglich. Es ist eine frustrierende Saison, hat Nowitzki zuletzt eingeräumt. Der 40-Jährige denkt offen über ein Karriereende nach. „So, wie es jetzt läuft, neige ich dazu. Aber wir werden sehen, wie die letzten Spiele laufen.“
In New York, Boston oder Indianapolis – in den Städten an der Ostküste, in denen die Mavericks nur einmal pro Saison auflaufen – stehen in diesen Tagen selbst die gegnerischen Fans auf und applaudieren, wenn der große alte Mann das Parkett betritt. Der 40-Jährige hat sich in den USA einen Ruf erworben, den man in Deutschland kaum einschätzen kann – auch, weil uns hierzulande der amerikanische Starkult suspekt ist. Er wird als „Dunking Deutschman“gefeiert, als „German Wunderkind“verehrt, als „Dirkules“oder „Big German“. In den Staaten lieben ihn viele – gerade, weil er trotz seines Erfolgs bescheiden und umgänglich geblieben ist.
Dazu passt, was er sich für die Allstar-Show am Wochenende vorgenommen hat. „Ich denke nicht, dass ich viel spielen werde und den Jungs die Minuten wegnehme, die sie sich verdient haben. Ich will einfach Spaß haben.“