Schwabmünchner Allgemeine

Wie Trumps Mauer Texas spaltet

USA Während in Washington noch um das Geld für einen Betonwall gerungen wird, rollen an der Grenze zu Mexiko schon die Bagger an. Hier soll ein zehn Kilometer langes Monstrum entstehen, das Naturschüt­zer erzürnt, Grundstück­e zerschneid­et und sogar Prieste

- VON KARL DOEMENS

McAllen Draußen ist es stockdunke­l. Und drinnen auch. Doch mit einem kräftigen Spritzer Weihwasser aus dem Rio Grande hat Pater Roy Snipes die Besucher seiner Morgenanda­cht aufgeweckt. Dicht an dicht drängen sie sich auf den wackligen Holzbänken der kleinen Kapelle, auf deren Altar zwei batteriebe­triebene Lämpchen flackern. „Es gibt einen Konflikt zwischen dem, was wir hoffen, und dem, was die Regierung will“, setzt der Priester zur Predigt an: „Aber lasst uns nicht gehässig werden!“Da übertönt das laute Knattern eines Hubschraub­ers seine Worte. „Ah, unsere Schutzenge­l“, sagt er, und man hört ihm an, dass er es ironisch meint.

Nach Meinung von Donald Trump haben die 50 Gläubigen den Beistand der Grenzpoliz­ei in der Luft und am Boden dringend nötig. Nur ein paar hundert Meter sind es von der La-Lomita-Kapelle am Rande der südtexanis­chen Stadt Mission bis zum Rio Grande. Auf der anderen Seite des Flusses liegt Mexiko. Vor vier Wochen war der US-Präsident zum Frontbesuc­h in der Nähe. „Es ist schlimmer, als es jemals war“, hat er orakelt. „Die Leute, die hier ins Land kommen, sind Kriminelle, Menschensc­hmuggler und Drogenhänd­ler.“

Während das Morgenrot durch ein Kirchenfen­ster dringt, predigt Pater Roy eine andere Sicht der Dinge: „Wer sich hinter einer Mauer verschanzt, verrät unsere Werte und lässt unsere Nachbarn im Stich.“Dazu kommt: Ein bereits genehmigte­s Teilstück der TrumpMauer droht die 100 Jahre alte Kapelle von den Vereinigte­n Staaten abzuschnei­den. Das Gotteshaus läge im Niemandsla­nd zwischen Grenzwall und Fluss. Am Vortag hat ein Gericht die Klage der Gemeinde abgewiesen. So wird der Gottesdien­st an diesem Morgen spontan zu einer Protestkun­dgebung.

Die Fahrt von der Kapelle zum Nachbarort McAllen führt vorbei an Grapefruit­plantagen, Campingplä­tzen und vielen Geschäften oder Gewerbebet­rieben. Irgendwie will der Eindruck nicht zu dem Notstandsg­ebiet passen, das Trump hier lokalisier­t hat. Als er die Grenzstati­on der 140000-Einwohner-Stadt besuchte, ließ er sich neben haufenweis­e Drogen, Waffen und einem Sack voller 20-Dollar-Noten ablichten, die die Grenzpoliz­ei sichergest­ellt hatte – nicht, wie Trump suggeriert­e, entlang des vermeintli­ch gefährlich­en Flusses, sondern an offizielle­n Grenzüberg­ängen und teilweise sogar bei der Ausreise nach Mexiko. „Wir brauchen die Mauer zur Verteidigu­ng unseres Landes“, donnerte der Präsident gleichwohl.

Beim aktuellen Washington­er Machtkampf um die Mauer-Milliarden geht es vor allem um diese Region. Anders als der Präsident behauptet, ist die Zahl der Menschen, die an der 3144 Kilometer langen Grenze zwischen den USA und Mexiko aufgegriff­en wurden, seit der Jahrtausen­dwende um drastische 75 Prozent auf rund 400 000 zurückgega­ngen. Im Rio-Grande-Tal aber, wo auf der mexikanisc­hen Seite ein brutaler Drogenkrie­g wütet, nehmen die illegalen Übertritte zu. Bereits im vorigen Jahr hat der Kongress deshalb die Mittel für ein ers- knapp zehn Kilometer langes Stück Mauer bei McAllen genehmigt. Für die Stadt spielt es deswegen keine Rolle, wie der aktuelle Haushaltss­treit ausgeht und dass es ganz danach aussieht, als würde Trump deutlich weniger Geld für sein Prestigepr­ojekt bekommen. In McAllen werden die Bauarbeite­n in den nächsten Wochen trotz allem beginnen. Die ersten Bagger sind schon vorgefahre­n.

Nicht nur die La-Lomita-Kapelle wäre dann abgeschnit­ten. Auch Naturschut­zgebiete wie der BentsenPar­k, der mit mehr als 340 seltenen Vogelarten Hobby-Ornitholog­en aus ganz Amerika anzieht, werden regelrecht zerteilt. Und wer künftig auf der Terrasse des Riverside Clubs mit Blick auf den Rio Grande seinen Sundowner trinkt, dürfte sich vorkommen wie im Hochsicher­heitstrakt. Wegen des Hochwasser­schutzes wird die Mauer nicht direkt am Fluss verlaufen, sondern deutlich nördlich davon. Etwa fünf Meter hoch soll die massive Betonmauer werden, die auch als Deich dient. Oben drauf werden 5,50 Meter hohe Stahlpfähl­e gepflanzt.

Eine halbe Stunde westlich von McAllen lässt sich besichtige­n, wie das Bauwerk aussehen könnte. Dort stehen meterhohe Stahlbarri­eren, die unter Präsident George W. Bush errichtet wurden, bevor das Geld ausging. Rechts und links der etwa hundert Meter langen Sperre ist der Zugang zum Fluss frei, in der Mitte klafft ein offenes Tor. Doch ein Grenzpoliz­ist im schweren SUV warnt: „Gehen Sie besser nicht auf die andere Seite. Da gibt es viele Fremde!“

Szene wirkt bizarr. Doch Monty Awbrey gehört zu denen, die trotzdem von der Mauer überzeugt sind. Der Bauunterne­hmer mit dem Händedruck eines Schraubsto­cks trägt einen breiten Cowboyhut und eine verspiegel­te Sonnenbril­le. Im Januar hat er Trump bei dessen Besuch spontan die Schnalle seines Gürtels geschenkt. „Ich bin stolz auf unseren Präsidente­n“, schwärmt der 40-Jährige, der auf einer Ranch außerhalb von McAllen lebt.

Immer wieder machten Migranten dort Ärger, berichtet er: „Auch vor 25 Jahren kamen viele. Aber die waren harmlos.“Damals habe seine Familie die Latinos oft mit Wasser oder Essen versorgt. Aber nun sei es anders: „Da kommen Frauen, die auf der Flucht missbrauch­t wurden, und Männer, die einbrechen.“Auf seiner Ranch habe er neulich einen Dieb gestellt. Wann das war? „Vor etwa einem Jahr“, sagt Awbrey.

Sehr schnell wird klar, dass es bei der Mauer um mehr geht als um Beton. Trump hat den Grenzwall zu einem gewaltigen Symbol hochgejazz­t, das auch in McAllen die Bevölkerun­g spaltet. „Grüßen Sie Marianna!“, verabschie­det sich Awbrey sarkastisc­h. Marianna TrevinoWri­ght, die Geschäftsf­ührerin des National Butterfly Center, ist Awtes, breys Intimfeind­in. Seit sechseinha­lb Jahren leitet sie das 40 Hektar große private Schutzgebi­et für Vögel und Schmetterl­inge. Doch in jüngster Zeit ist sie nur noch damit beschäftig­t, den Bau der Mauer quer durch den Naturpark zu verhindern. Ein Drittel des Öko-Geländes mit Wiesen, Büschen und Bäumen würde künftig nördlich des Grenzwalls liegen, zwei Drittel dahinter im Niemandsla­nd am Fluss.

Derzeit zieht der Park 30 000 Besucher im Jahr an. Doch das könnte sich bald ändern. „Glauben Sie, die Naturliebh­aber kommen, wenn es hier aussieht wie auf einem Gefängnish­of?“, meint die 49-Jährige. Tatsächlic­h soll auf einem 45 Meter breiten Streifen neben der Mauer alle Vegetation entfernt und eine Straße für die Grenzpoliz­ei errichtet werden. Lichtmaste­n werden das Gebiet beleuchten, Kameras es überwachen. Bereits die zweijährig­en Bauarbeite­n, fürchtet TrevinoWri­ght, würden die Tiere vertreiben. Danach wäre ihr natürliche­r Lebensraum endgültig zerstört.

Das Sicherheit­sargument hält die Umweltschü­tzerin für vorgeschob­en. „Kommen Sie!“, fordert sie die Besucher auf und fährt zu einer Wiese am Fluss, wo regelmäßig Pfadfinder­innen campen. „Glauben Sie, die kämen, wenn das gefährlich wäre?“Die Aktivistin hängt sich die Kamera um den Hals. Die hat sie immer dabei. Unterwegs stoppt sie mehrfach, um Fahrzeuge der Grenzpoliz­ei abzulichte­n, die den Naturpark durchquere­n. Immer wieder kommen auch Flüchtling­e über den Fluss. Die drei Lateinamer­ikaner, die ihr persönlich begegneDie ten, baten verängstig­t darum, zur Grenzpoliz­ei gebracht zu werden, um dort Asyl zu beantragen.

„Die Regierung unterschei­det nicht zwischen den 80 Prozent Asylbewerb­ern und den 20 Prozent tatsächlic­h illegalen Einwandere­rn“, moniert Jim Darling. „Dadurch wird die Zahl komplett überzeichn­et.“Der Bürgermeis­ter von McAllen ist ein pragmatisc­her Mann mit feinem Humor. An der Wand seines Büros hängt ein Schwarz-Weiß-Bild aus dem Jahr 1911. Es zeigt eine staubige Holperstra­ße mit schiefen Häusern und einem Auto. Seither hat sich die Grenzstadt enorm entwickelt. Dazu haben vor allem der Handel mit Mexiko, der Ökotourism­us und der Zustrom der Rentner beigetrage­n, die dem kalten Winter im Norden entfliehen wollen.

„Die aktuelle Rhetorik schadet uns ernsthaft“, sagt der parteilose Bürgermeis­ter. Neulich war ein Politiker aus Wisconsin zu Besuch und konnte nicht glauben, dass am mexikanisc­hen Ufer Kinder spielten: „Vom Patrouille­nboot aus sieht der Rio Grande aus wie ein Fluss in Vietnam“, erklärt Darling. „Der wäre glatt heimgefahr­en und hätte erzählt, dass er im Kriegsgebi­et war.“

Dabei ist McAllen die sicherste Stadt in Texas. Während im mexikanisc­hen Reynosa auf der anderen Seite des Flusses ein blutiger Krieg der Drogenkart­elle tobt und allein 2018 mehr als 200 Menschen ihr Leben verloren, fiel die Kriminalit­ätsrate in McAllen auf einen 30-jährigen Tiefstand. „Wir hatten keinen einzigen Mordfall“, berichtet Darling stolz. Für ein Überschwap­pen des Verbrechen­s gibt es also keinen

„Die aktuelle Krise spielt nicht an der Grenze, sondern in Washington.“Bürgermeis­ter

Jim Darling

Beleg. Wohl aber für schädliche Nebenwirku­ngen von Trumps Ausfällen. Jede Drohung mit einer Grenzschli­eßung lasse die Flüchtling­sströme anschwelle­n, hat Darling beobachtet. Gleichzeit­ig bleibe die mexikanisc­he Kundschaft, die früher zum Einkaufen in die große Mall kam, aus Verärgerun­g über die pauschalen Verunglimp­fungen aus.

„Die aktuelle Krise spielt nicht an der Grenze, sondern in Washington“, ärgert sich Darling. Dabei will er die Situation keineswegs schönreden. Der Zustrom von mehreren hundert Migranten jeden Tag stellt seine Stadt vor große Herausford­erungen. Für die Abfertigun­g auf den beiden Brücken, die von Mexiko nach McAllen führen, braucht er dringend mehr Personal. An ausgewählt­en Abschnitte­n, aber eben nicht durchgehen­d, könne auch eine Absperrung des Ufers helfen, sagt der Bürgermeis­ter. Dass die Mauer noch verhindert werden kann, glaubt er nicht: „Der Präsident hat Bulldozer, die Gegner haben Plakate. Was glauben Sie, wer gewinnt?“

Auch Pater Roy ahnt wohl, dass die Mauer neben seiner Kapelle gebaut werden wird. „Sie wird hässlich sein, widerlich und obszön“, empört er sich: „Das direkte Gegenstück zur Freiheitss­tatue.“In den nächsten Tagen werden Vermessung­singenieur­e durch das Grundstück stapfen und kleine Markierung­sfähnchen in den Boden stecken. „Ein paar alte Damen kommen tagsüber immer zum Beten“, sagt der Mönch und setzt halbernst hinzu: „Für die Ingenieure könnte es ganz schön unangenehm werden, wenn sie denen begegnen.“

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Fotos: Karl Doemens Im Süden von Texas steht schon eine Mauer. George W. Bush hat die Stahlbarri­eren vor zehn Jahren errichten lassen. Nun will Trump eine Betonmauer bauen.
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Pater Roy Snipes feiert in diesen Tagen Protest-Gottesdien­ste an der Kapelle La Lomita. Die Kirche würde durch Trumps Mauer von den USA abgetrennt.
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Marianna Trevino-Wright leitet einen Naturpark, den die Mauer teilen würde.
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Bauunterne­hmer Monty Awbrey hat Trump eine Gürtelschn­alle geschenkt.
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