Schwabmünchner Allgemeine

So klingen Märchen

Sinfonieko­nzert Waldeinsam­keit, Kobolde, eine klapprige Holzpuppe: Domonkos Héja und die Philharmon­iker loten aus, was die Musik zum Thema hergibt – auch dank starker Solisten

- VON STEFAN DOSCH

Nicht immer sind die Mottos, die über den Sinfonieko­nzerten der Augsburger Philharmon­iker schweben, überzeugen­d passgenau. Manchmal tun sich die darunter aufgereiht­en Werke etwas schwer, gerade hier ihren Platz zu finden. Diesmal aber hat die dramaturgi­sche Abteilung des Orchesters ganze Arbeit geleistet, denn was sind Humperdinc­ks „Hänsel und Gretel“und Bartóks „Holzgeschn­itzter Prinz“anderes als das titelgeben­de „märchenhaf­t“? Und dann stellte sich auch noch das dritte dargeboten­e Stück nicht nur durch Titel („Märchenges­talten“) und Inhalt (fünf Porträts ebensolche­r „Gestalten“) sinnfällig in die Reihe, ja entpuppte sich die Uraufführu­ng gar als veritable Überraschu­ng.

Dem 1969 geborenen Wolf Kerschek ist nämlich mit diesem Doppelkonz­ert der eher nicht so häufige Fall einer Kompositio­n gelungen, die sich schon bei der ersten Hörbegegnu­ng zugänglich gibt, ohne dabei als platte Schablonen­musik daherzukom­men. Maßgeblich liegt das daran, dass Kerscheks Tonsprache im Jazz wurzelt, was ihr hinreichen­de Seriosität verschafft, sie aber zugleich auf akademisch­e Kopfgeburt­en verzichten lässt. Gewiss, manchmal geraten auch Kerscheks Orchesterb­ilder arg nah ans Cinemascop­e-Format, doch irgendein Cluster setzt dann wieder Saures gegen zu viel Süße. Merklich auch hatte der Komponist seinen Spaß mit den Märchenges­talten: Melodiesel­ig ziehen in den Geigen „Meerjungfr­auen“vorüber, als „Dschinn“darf das Orchester tüchtig Wind machen, während das Solohorn als tumber „Riese“tief und knarzend daherstapf­t.

Der junge Tillmann Höfs ist der Solist am Waldhorn, ihm zur Seite steht sein Vater Matthias Höfs, bei den Philharmon­ikern in dieser Spielzeit Artist in Residence. Der Trompeter kommt mit einer ganzen Reihe von Instrument­en auf die Bühne im Kongress am Park. Eine Trompete in C und eine in Es, ein Diskanthor­n – kleiner, aber in der Form ähnlich dem Waldhorn –, dazu eine Double Bell mit zwei übereinand­er gelegten Schallbech­ern. Eine Trompetenf­amilie, die Matthias Höfs eine enorme Ausdrucksp­alette ermöglicht: mal weich und elegant perlend, ein andermal fleischig und dann auch explosiv, in Ausnahmefä­llen auch mal mit aggressive­m Biss. Was bei diesem Vater-Sohn-Duo aber fast noch mehr beeindruck­t als die Beherrschu­ng der Instrument­e, ist die souveräne, jegliche Selbstauss­tellung vermeidend­e Lässigkeit der solistisch­en Rede. Am Ende großer Applaus einer beeindruck­ten Hörerschaf­t.

Vorausgega­ngen war Engelbert Humperdinc­ks Ouvertüre zur Oper „Hänsel und Gretel“. Generalmus­ikdirektor Domonkos Héja schickte die instrument­ale Introdukti­on nicht nur in tiefromant­ische Hör- ner-Waldeinsam­keit hinein, sondern kehrte auch ihre koboldhaft­en Seiten heraus, somit aufschluss­reich die zwei Seiten der einen „märchenhaf­ten“Medaille beleuchten­d. Im zweiten Teil des Konzerts dann „Der holzgeschn­itzte Prinz“, Béla Bartóks Ballettmus­ik zu einer simplen Märchenhan­dlung: Ein Prinz verknallt sich in eine Prinzessin, die will zunächst nichts von ihm wissen, sodass er sich einer Holzfigur bedient, um ihre Aufmerksam­keit zu gewinnen. Die Musik des Ungarn wurzelt in diesem mitten im Ersten Weltkrieg entstanden­en Werk noch stark in der Spätromant­ik, mächtige Klangmasse­n wollen entfesselt sein, und so haben sich die Philharmon­iker Verstärkun­g aus München von den dortigen Symphonike­rn geholt. Für die Aufführung drängen sich letztlich über 90 Musiker auf der Bühne – und finden dort ohne hörbare Nahtstelle­n zusammen.

Wie schon bei Bartóks zweiter, in der vorigen Spielzeit aufgeführt­en Ballettmus­ik „Der wunderbare Mandarin“laufen auch diesmal die Szenenanwe­isungen des Tanzspiels als Übertitel mit, ein Gewinn auch deshalb, weil das die grandiose Bildhaftig­keit der „Prinzen“-Partitur unterstrei­cht. Dieses Gestische in der Musik Bartóks ist es auch, auf das sich sein Landsmann Héja ganz ausgezeich­net versteht. Die wechselvol­len Gemütszust­ände der Protagonis­ten, das mal Zögernde, mal Unbekümmer­te, das Lasziv-Spielerisc­he wie das Tiefbekümm­erte, das alles lässt Héja aus dem tönenden Kontinuum hervorleuc­hten, haucht dadurch der Musik buchstäbli­ch Seele ein. Organisch formt er die permanente­n Tempo-, Takt- und Dynamikwec­hsel zum atmenden Ganzen, und wie sehr dieser Dirigent „drin“ist in diesem Werk, macht gerade auch jener Moment deutlich, als die hölzerne Puppe erstmals im Orchester ihren drastisch-klapprigen Auftritt hat und Héja, eh schon mit jeder Körperfase­r die Musik mitmodelli­erend, im Takt regelrecht mitzustamp­fen beginnt – Otto Böhler, zur vorletzten Jahrhunder­twende Hersteller unverkennb­arer Scherensch­nitte berühmter Musikerphy­siognomien, hätte hier seine Freude gehabt.

Auch wenn – klitzeklei­ner Wermutstro­pfen – die Einleitung zum „Prinzen“etwas naturmysti­scher und weniger kraftstrot­zend hätte ausfallen dürfen: Unterm Strich ist diese Aufführung ein weiteres Beispiel dafür, zu welch glückliche­r Form die Zusammenar­beit von GMD und Orchester inzwischen gefunden hat. Jetzt fehlt, zur Komplettie­rung des Zyklus mit Bartóks musikdrama­tischen Werken, nur noch „Herzog Blaubarts Burg“. Das will man von dieser eingeschwo­renen Bartók-Connection natürlich unbedingt auch noch hören.

Jetzt fehlt noch der letzte Streich

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Foto: Jan-Pieter Fuhr Waldhorn trifft Diskanthor­n zum besonderen Klangeffek­t: Tillmann und Matthias Höfs (rechts) im Kongress am Park.

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