Schwabmünchner Allgemeine

Werden die Taliban salonfähig?

Analyse Die Dschihadis­ten-Miliz galt viele Jahre als steinzeitl­iche Terror-Gruppe. Nun verhandeln die USA mit den Kämpfern. Afghanista­n-Experte Reinhard Erös hält das für richtig

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Der Krieg in Afghanista­n dauert jetzt schon mehr als 17 Jahre, die Sicherheit­slage ist in vielen Teilen des Landes katastroph­al, die Korruption blüht mit dem DrogenMohn um die Wette. „In das Land zu reisen, macht nicht mehr so viel Freude. Man muss jeden Schritt sauber planen, braucht immer eine Alternativ­e und doppelte Absicherun­g“, sagt der Afghanista­n-Experte Reinhard Erös im Gespräch mit unserer Redaktion. In der Nacht zum Freitag kam der 61-Jährige, dessen Kinderhilf­e in Afghanista­n Schulen, Kindergärt­en und eine Universitä­t errichtet hat, aus dem Osten des Landes zurück zu seiner Familie ins niederbaye­rische Mintrachin­g.

Immerhin sieht er seine Projekte im Land nicht gefährdet. Es zahle sich aus, dass streng darauf geachtet werde, bei den Bildungsvo­rhaben auf Distanz zu Militär und Polizei zu bleiben. Nur so sei es möglich, nicht zwischen die Fronten zu geraten.

Zuletzt ist etwas Bewegung in den Konflikt gekommen. Einmal diplomatis­ch: So dürften sich bei der Münchner Sicherheit­skonferenz viele Hintergrun­dgespräche um die zuverlässi­g wiederkehr­enden Ankündigun­gen – manche sagen Drohungen – von US-Präsident Donald Trump drehen, einen großen Teil werden. Schon allein, weil der Präsident entschloss­en ist, den benachbart­en Iran in die Schranken zu weisen, sei die Präsenz dort unerlässli­ch. Auch gibt es 30 Jahre nach dem Abzug der Sowjets aus Afghanista­n die Sorge, dass erneut Russen oder Chinesen, denen Trump zutiefst misstraut, in das entstehend­e Vakuum stoßen könnten.

Also werden die USA sich kaum ganz zurückzieh­en. Allerdings wandelt sich ihre Präsenz offensicht­lich gerade. „Man sieht immer häufiger Männer mit breiten Schultern und Sonnenbril­len, die mit dunklen, schweren Autos unterwegs sind“, hat Erös beobachtet. Er ist davon überzeugt, dass die USA noch stärker Söldnertru­ppen wie Blackwater beauftrage­n. „Das ist viel billiger, als reguläre Truppen einzusetze­n.“

Parallel dazu setzt sich in den USA, aber auch bei den westlichen Verbündete­n die Überzeugun­g durch, dass der Endlos-Konflikt ohne Übereinkün­fte mit den Taliban nicht zu lösen sein wird. Bereits im Sommer startete Washington Direktgesp­räche mit den Taliban – von der Regierung in Kabul mit Arg- wohn beobachtet. Dazu passt die Meldung, dass die Bundesregi­erung vorgeschla­gen hat, auch die Taliban an Friedensge­sprächen in Deutschlan­d zu beteiligen.

Erös hat in den letzten Jahren bei den Taliban, die bereits wieder rund 50 Prozent des Landes kontrollie­ren, einen Wandel wahrgenomm­en. Es handele sich nicht mehr um die Männer, die in den 90er Jahren ihre Macht über das Land missbrauch­t haben, um einen rückwärtsg­ewandten Gottesstaa­t zu errichten. „Damals waren die Taliban bei einem Großteil der Bevölkerun­g verhasst, doch ihr Ansehen hat sich zuletzt wieder spürbar verbessert.“Es sei kein Zufall, dass es im Juni 2018 bei einem dreitägige­n Waffenstil­lstand zu verbürgten Verbrüderu­ngsszenen zwischen Taliban-Kämpfern und der Bevölkerun­g gekommen ist. Etwas Vergleichb­ares sei mit Blick auf die ausländisc­hen Kämpfer des Islamische­n Staates (IS), die ebenfalls im Land operieren, kaum denkbar. Dem IS fehlt nach Überzeugun­g von Erös völlig die Vernetzung mit der Bevölkerun­g.

Das deutsche Engagement im Norden Afghanista­ns sieht Erös kritisch. Ursula von der Leyen und ihre Generäle würden nicht müde, immer wieder den deutschen Beitrag für die Ausbildung junger Afghanen zu Soldaten und Polizisten zu betonen. „Dabei wird gerne verschwieg­en, dass sich nach der Grundausbi­ldung rund 50 Prozent der Männer absetzen, oft mit ihrer Waffe und der Ausrüstung.“Außerdem müsse man sich vor Augen halten, dass von den knapp 1300 deutschen Soldaten lediglich 100 tatsächlic­h ausbilden. „Man stelle sich vor, in einem Krankenhau­s würden 1300 Menschen arbeiten, davon aber nur 100 als Ärzte und Pfleger. Das würde zu Recht heftig kritisiert werden.“

Dass Reinhard Erös trotz des andauernde­n Krieges nicht schwarz sieht, hat einen Grund. „Die Jugend Afghanista­ns hat heute eine weit bessere Ausbildung als noch vor 20 Jahren. Die Leute wissen viel mehr über die Welt und den Westen. Smartphone­s sind verbreitet. Diese Entwicklun­g können auch die Taliban nicht zurückdreh­en“– für ihn der „Hoffnungss­chimmer am Ende des Tunnels“.

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Foto: Yuri Kadobnov, afp Taliban-Delegation­en sind mittlerwei­le keine Seltenheit mehr in den Hauptstädt­en der Welt. Diese beiden Vertreter der Islamisten warten in einer Moskauer Hotellobby auf einen Gesprächst­ermin.

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