Schwabmünchner Allgemeine

„Jeder darf sich kaufen, was ihm gefällt“

Interview Rainer Zitelmann hat erforscht, was die Deutschen von Reichen halten. Ein Gespräch über Sozialneid, Statussymb­ole und die Rolex von Sawsan Chebli

- Interview: Sarah Schierack Rainer Zitelmann, 61, ist Historiker, Unternehme­r und Autor. In den 90er Jahren arbeitete er als Journalist für die „Welt.“

Herr Zitelmann, was haben die Deutschen gegen Reiche?

Rainer Zitelmann: Unsere Studie zeigt, dass sie vor allem negative Eigenschaf­ten mit ihnen verbinden, zum Beispiel Egoismus, Materialis­mus, Rücksichts­losigkeit, Gier und Überheblic­hkeit. Erst danach kommen positive Dinge wie Intelligen­z oder Fleiß.

Auch Friedrich Merz ist zuletzt viel Skepsis entgegenge­schlagen, weil er Millionär ist. Hätten Sie ihm schon vorher sagen können, dass er bei der Wahl zum CDU-Vorsitzend­en durchfalle­n wird?

Zitelmann: Er hat sich falsch verhalten: Erst antwortete er nicht auf die Frage, ob er Millionär sei, dann bejahte er es, fügte aber hinzu, dass er zur Mittelschi­cht gehöre, was natürlich abwegig ist. Andere Minderheit­en bekennen sich offensiver. Denken Sie an den ehemaligen Bürgermeis­ter von Berlin, Klaus Wowereit, der sagte: „Ich bin schwul, und das ist gut so.“Warum hat Merz nicht gesagt: „Ich bin Millionär und das ist gut so“? Weil er weiß, wie stark der Sozialneid ist. Aber er hat es durch sein Ausweichen nur schlimmer gemacht.

Wie erklären Sie sich, dass viele Menschen ein so schlechtes Bild von Reichen haben?

Zitelmann: 83 Prozent der Befragten kennen keinen einzigen Millionär persönlich. Sie haben sich ihre Meinung vielleicht aus Hollywoodf­ilmen gebildet, wo Reiche überwiegen­d negativ dargestell­t werden.

Sie schreiben in Ihrem Buch, Menschen, die viel Geld haben, würden oft wie kalte Roboter dargestell­t, ja sogar entmenschl­icht. Müssen wir Mitleid mit den Superreich­en haben?

Zitelmann: Es ist immer kritikwürd­ig, wenn man einen Menschen nicht mehr als Menschen wahrnimmt, sondern in die Nähe von Tieren oder Robotern rückt. Die RAF-Terroriste­n haben die Unternehme­r und Banker, die sie ermordeten, als „Schweine“oder „Charakterm­asken“bezeichnet.

Es klingt fast so, als hielten Sie Reiche für eine bedrohte Spezies …

Zitelmann: In Berlin gibt es derzeit eine Initiative zur Enteignung privater Wohnungsge­sellschaft­en. Der Initiator erklärte: „Wir wollen die Investoren aus der Stadt vertreiben.“Grüne und Linke unterstütz­en diese Initiative. Als Historiker habe ich gelernt, dass in der Geschichte die Herabsetzu­ng und Dif- famierung von Minderheit­en die Vorstufe zum Hass sind. In Krisen und instabilen Situatione­n kann das in der Tat dann in Gewalt, Vertreibun­g und Mord umschlagen. Nicht selten waren in der Geschichte des 20. Jahrhunder­ts Reiche Opfer – als „Kulaken“unter Stalin, in China unter Mao oder unter den Roten Khmer in Kambodscha.

Erleben wir heute eine digitale Diffamieru­ng? Die SPD-Politikeri­n Sawsan Chebli wurde vor einigen Monaten Opfer eines gigantisch­en Shitstorms, weil sie auf einem Foto eine teure Rolex trug …

Zitelmann: Ich fand das eine Frechheit. Obwohl ich ihre politische­n Positionen ganz und gar nicht teile, habe ich sie auf Facebook vehement verteidigt. Die Leute meinten, sie hätte nicht das Recht, sich eine Rolex zu kaufen, weil sie Wasser predigt und Wein trinkt. Ich habe gesagt: Dann kritisiert bitte, dass sie Wasser predigt, aber nicht, dass sie Wein trinkt. Übrigens: Ich hatte damals vermutet, dass sie die Uhr gar nicht gekauft, sondern von ihrem Partner geschenkt bekommen hat. Mir hat jetzt jemand, der sie gut kennt, gesagt, dass die Vermutung richtig war. Aber das ist letztlich egal. Jeder hat das Recht, sich zu kaufen, was ihm gefällt. Ein typisches Beispiel von Sozialneid.

Sie haben schon für Ihre zweite Doktorarbe­it mit dem Titel „Psychologi­e der Superreich­en“mit vielen Millionäre­n und Milliardär­en gesprochen. Was sind das für Menschen?

Zitelmann: Es sind vor allem Menschen, die sehr kreativ sind und die Freude daran haben, gegen den Strom zu schwimmen. Nonkonform­isten. Wer alles so macht wie die Mehrheit, bekommt auch nur, was die Mehrheit hat. Ein wichtiges Merkmal: Die Reichen, mit denen ich sprach, machen nicht äußere Umstände oder andere Menschen verantwort­lich, wenn sie Niederlage­n erleiden, sondern suchen die Schuld bei sich selbst.

Wie sehen sich Reiche selbst?

Zitelmann: Ich habe keinen Reichen getroffen, der sich selbst als reich bezeichnet­e. Einer, der etwa drei Milliarden Euro besitzt, meinte, so richtig reich sei er auch nicht. Er begründete das damit, dass es etwa 600 Menschen auf der Welt gibt, die zum Teil viel reicher sind als er, also Leute wie Warren Buffett oder Jeff Bezos. Reiche definieren sich nicht als Reiche, sondern dadurch, wie sie zu ihrem Reichtum gekommen sind.

Aber viele definieren sich doch sicher auch über Statussymb­ole?

Zitelmann: Das ist ganz unterschie­dlich. Es gibt Reiche, für die teure Autos oder Jachten wichtig sind. Es gibt andere, die extrem bescheiden leben. Ein anderer Interviewp­artner, der hunderte Millionen besitzt, erklärte, dass er nie ein Hemd gekauft hat, das teurer als 30 Euro ist.

Wie wird man eigentlich reich?

Zitelmann: Die Reichtumsf­orschung sagt, dass die Mehrheit der Reichen als Unternehme­r reich geworden ist. Schauen Sie auf die Liste der reichsten Menschen der Welt: Leute wie Jeff Bezos, Bill Gates, Sergey Brin oder Larry Page von Google oder Mark Zuckerberg. Sie alle haben ihre Milliarden durch gute unternehme­rische Ideen verdient.

Unter Ihren Gesprächsp­artnern war damals auch Theo Müller von Müller- milch. Wie kommt man an so jemanden heran?

Zitelmann: Die Interviewp­artner wollten anonym bleiben, aber zwei waren einverstan­den, dass ihr Name in der Zeitung genannt wird. Einer davon war Theo Müller, den ich durch einen der Professore­n kennengele­rnt habe, der die Doktorarbe­it betreut hat. Er hat mit vier Mitarbeite­rn angefangen, hatte nicht einmal Abitur. Heute gehört er zu den reichsten Deutschen. Er hatte einige gute Ideen, zum Beispiel seine Buttermilc­h und den Joghurt mit der Ecke.

Über den Mann hinter den berühmten Produkten ist jedoch kaum etwas bekannt. Warum weiß man so wenig über die Superreich­en?

Zitelmann: Der Zugang zu Reichen ist nicht ganz einfach. Ich hatte den Vorteil, dass ich viele kenne, weil ich selbst vermögend bin. In der Wissenscha­ft hat man sich eher mit Armen als mit Reichen beschäftig­t, aber das ändert sich jetzt langsam.

Sie haben selbst Millionen verdient, bezeichnen sich als überzeugte­n Kapitalist­en. Schlägt Ihnen diese Ablehnung, über die Sie schreiben, auch manchmal entgegen?

Zitelmann: Ich polarisier­e. Ich habe viele Fans, die mich bewundern, vor allem junge Leute. Und dann gibt es welche, die mich stark ablehnen. Das ist für mich o. k. Was mich stört: Wenn ich abends den Fernseher anstelle und schaue mir Talkshows an, dass ständig gegen Reiche gehetzt wird, vor allem von Vertretern der Linken, aber auch von der SPD. Da wird beispielsw­eise pauschal behauptet, Reiche zahlten keine oder zu wenig Steuern. Ich habe meine Steuerbera­terin mal gebeten, auszurechn­en, was mein Durchschni­ttssteuers­atz – nicht der Grenzsteue­rsatz – in 15 Jahren war, als ich als Unternehme­r sehr gut verdient habe. Wenn man die Unternehme­nsteuern und die persönlich­en Steuern zusammenzä­hlt, kommt man bei mir auf etwa 50 Prozent. Und da ärgert es mich, so wie andere Reiche auch, wenn dann trotzdem immer wieder pauschal behauptet wird, Reiche seien Steuertric­kser. Das glauben übrigens 51 Prozent der Deutschen, wie die Umfrage belegt.

 ?? Foto: Jacob Ammentorp Lund, stock.adobe.com ?? Champagner, Yachten und ein gutes Leben: So stellen sich die meisten Menschen die Welt der Superreich­en vor.
Foto: Jacob Ammentorp Lund, stock.adobe.com Champagner, Yachten und ein gutes Leben: So stellen sich die meisten Menschen die Welt der Superreich­en vor.
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