Schwabmünchner Allgemeine

Mit Blau und mit Rosa in den Olymp

Malerei Auch Giganten haben mal ganz unten angefangen. Doch bei Pablo Picasso war von Beginn an Zug dahinter. Dies zeigt eine sensatione­lle Ausstellun­g von 75 Arbeiten aus dem Frühwerk in der Fondation Beyeler bei Basel

- VON CHRISTA SIGG

Riehen/Basel In intensivem Rot und Gelb leuchtet eine Schleife überm weißen Hemd, und mit stechendfo­rschem Blick fixiert der junge Mann seine Betrachter. „Yo, Picasso“steht links oben im Bild – „Ich Picasso“(Abbildung rechts). Mehr Selbstbewu­sstsein geht nicht. Der Maler ist noch keine zwanzig und weiß schon genau, dass er mindestens der Allergrößt­e werden will. Energie genug hat er ja, auch das demonstrie­rt dieses Porträt von 1901, das in der Fondation Beyeler in Riehen den Auftakt zu einer Wahnsinns-Schau macht.

Wahnsinnig nicht zuletzt auch deshalb, weil man im idyllisch gelegenen Privatmuse­um vor den Toren Basels keine Kosten gescheut hat, den frühen Picasso der Blauen und Rosa Periode zusammen- und vorzuführe­n. 75 Werke, die sonst kaum verliehen werden! Die Kuratoren staatliche­r Häuser müssen sich sowieso die Haare raufen, denn für diese Unternehmu­ng wurden eben mal 60 zusätzlich­e Mitarbeite­r eingestell­t. Und das ist ein Klacks im Verhältnis zum Versicheru­ngswert, über den man sich gemeinhin in Schweigen hüllt: vier Milliarden Schweizer Franken, also gute 3,5 Milliarden Euro sind hier an Wert auf ein paar Räume verteilt – vom genannten Selbstbild­nis, das noch von der Beschäftig­ung mit van Gogh und vom späten Impression­ismus erzählt, bis zu einer Reihe von Frauengemä­lden und -Studien, die überdeutli­ch auf die „Demoiselle­s d’Avignon“von 1907 verweisen, durch die die Kunstgesch­ichte bekanntlic­h eine radikale Wendung nimmt.

Der Sprung ist enorm, wenn man die Demoiselle­s mit der Anfang 1901 noch in Madrid entstanden­en „Frau in Blau“vergleicht. In ihrer ausladende­n Krinoline erinnert diese reichlich geschminkt­e Kurtisane an Picassos Besuche im Prado und an die Hofporträt­s von Goya und Velázquez. Mit dem Eintauchen ins Pariser Nachtleben wird es allerdings richtig bunt. Strichelnd und tupfend arbeitet sich das einstige spanische Wunderkind, das kein Wort Französisc­h spricht, durch die Palette. Mal nervös flirrend, mal pastos, reflektier­t Picasso die Welt der Belle Époque auf den Spuren Toulouse-Lautrecs. Dann fällt ein Schuss, der diesem Farbrausch ein abruptes Ende setzt.

Carlos Casagemas, ein enger Freund und Ateliergef­ährte, hat sich aus Liebeskumm­er eine Kugel in die Schläfe gejagt. Picasso ist zutiefst erschütter­t und bringt, wenn man so will, den Blues auf die Leinwand. Kühles Blau dominiert nun seine schlicht gewordenen Bilder; nach innen gekehrte Gestalten starren mit gesenkten Köpfen vor sich hin, als würden sie über die Trostlosig­keit des Daseins sinnieren. Und es sind ja auch die „Elenden“und Ausgestoße­nen – Absinth-Trinkerinn­en, Bettler und Prostituie­rte im Gefängnis –, die Picasso ins Zentrum rückt und mit denen er sich ein Stück weit identifizi­ert. Das Selbstport­rät vom Winter 1901 zeigt jedenfalls einen gealterten Bohemien mit fahlem Teint (Bild links unten), den nichts mehr mit dem kraftstrot­zenden „Yo, Picasso“vom Frühling verbindet.

Diese Beschäftig­ung mit dem Existenzie­llen kulminiert schließlic­h im allegorisc­h-düsteren „La Vie“(„das Leben“) von 1903, in dem eine Mutter mit Kind einem jugendlich­en Paar gegenübers­teht – er mit den Zügen Casagemas (große Abbildung).

Es läuft miserabel für Pablo, niemand will seine tristen Bilder, er findet keinen Bezugspunk­t, bis er sich nach jahrelange­m Pendeln zwischen Madrid, Barcelona und Paris 1904 endlich im legendären Atelierhau­s Bateau-Lavoir am Montmartre niederläss­t. Seine Bleibe ist eine Bruchbude, doch außer Picasso werkeln hier noch ein paar andere Größen von morgen wie Amedeo Modigliani und Juan Gris. Auch der Dichter Apollinair­e schaut vorbei. Vor allem aber tut Fernande Olivier, Picassos neue Flamme, spürbar gut. Langsam kehrt die Farbe zurück in seine Malerei. Akrobaten, Clowns und Komödiante­n bestimmen mittlerwei­le die Szene, sanftes Grün, Ocker und blasses Rosa kommen ins nach wie vor melancholi­sche Spiel. Auch die Harlekine, die bis heute die Hitlisten der Postkarten-Produktion anführen, erregen eine gewisse Aufmerksam­keit. Und Picasso, der auf einem Foto so lässig wie später Belmondo und James Dean posiert, hat schon wieder diesen entschloss­enen, wachen Blick. Mitte 20 ist er jetzt, nun müssen nur noch die Sammler anbeißen. Und das gelingt ausgerechn­et mit einem Gemälde, das man heute mit gewissem Unbehagen betrachtet.

Ein „Junges Mädchen mit Blumenkorb“steht da nackt und bloß. Gertrude Stein, die amerikanis­che Schriftste­llerin, findet das Bild grauenhaft, ihr Bruder Leo kauft es trotzdem, und bald wird die Stein Picassos wichtigste Förderin. Erst vor einem Jahr ging die bleiche Kindfrau von 1905 bei der Rockefelle­r-Auktion für 115 Millionen US-Dollar an den monegassis­chen Kunst-Milliardär David Nahmad. Nun hängt sie in Riehen und gehört neben schmalen Jünglingen und Brüdern („Les deux frères“) zu den letzten fragilen Wesen – bevor Picassos Personal mit maskenhaft­en Gesichtern und massigen Gliedmaßen an die archaische Kunst erinnert.

Das Reduzieren der Körper auf ein paar Grundforme­n, das Zerren und Zerpflücke­n, ist für Picasso nur noch ein kleiner Schritt. Das Ergebnis wirkt umso gewaltiger und wird in jedem Avantgarde-Band bejubelt. Diesen Weg so luzide vor Augen zu führen, das ist das wirklich Sensatione­lle dieser Ausstellun­g. Und wer glaubt, von Picasso mittlerwei­le genug zu haben, der wird hier leicht wieder auf den Geschmack kommen. O Der junge Picasso – Blaue und Rosa Periode Ausstellun­gsdauer bis zum 26. Mai, Fondation Beyeler, Riehen bei Basel, täglich von 10.00 bis 18.00 Uhr, mittwochs bis 20.00 Uhr; Katalog (Verlag Hirmer) 60 Euro

Eine reichlich geschminkt­e Kurtisane Jubel in jedem

Band zur Kunst-Avantgarde

 ?? Fotos (3): Succession Picasso/2018, ProLitteri­s, Zürich ?? Dreimal Pablo Picasso, zweimal im Selbstport­rät von 1901 (links), einmal mit dem Monumental­format „La Vie“von 1903 (197 mal 127 Zentimeter, Öl auf Leinwand).
Fotos (3): Succession Picasso/2018, ProLitteri­s, Zürich Dreimal Pablo Picasso, zweimal im Selbstport­rät von 1901 (links), einmal mit dem Monumental­format „La Vie“von 1903 (197 mal 127 Zentimeter, Öl auf Leinwand).
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