Schwabmünchner Allgemeine

„Die Geschichte einer enttäuscht­en Liebe“

Interview Der Fotograf Daniel Biskup begleitete die Umbrüche im Osten von Anfang an mit der Kamera und zeigt nun bislang unveröffen­tlichte Bilder. Zu sehen: Aufbruch und Abbruch. Im Gespräch erklärt er, warum wir West- und Ostdeutsch­en uns bis heute fremd

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Herr Biskup, auf Ostdeutsch­land wird derzeit wieder besonders geschaut. Schaut man sich allerdings Ihre Bilder an, hätte man manches vielleicht viel früher sehen können: Zum Beispiel die Fotos von Montagsdem­onstration­en in Leipzig – aus dem März 1991, also nur ein halbes Jahr nach der Wiedervere­inigung. 50000 Menschen auf der Straße, und aus „Wir sind das Volk“über „Wir sind ein Volk!“wurde „Ossi – Bürger 2. Klasse“, wie auf einem Plakat zu lesen. Waren das irgendwelc­he alten Kader oder hat das im Westen einfach nicht interessie­rt?

Daniel Biskup: Das waren vor allem enttäuscht­e Menschen, Wendeverli­erer, von denen es viele gab. Schon mit der Währungsun­ion stieg ja die Arbeitslos­igkeit rapide an. Man darf nicht vergessen, dass mit der D-Mark zwar Kaufkraft kam, allerdings floss diese vor allem in Westproduk­te. Und: Die Firmen in den neuen Ländern mussten ja auch in D-Mark abrechnen mit der Folge, dass deren ganzer Exportmark­t zusammenbr­ach, weil potenziell­e Abnehmer, etwa in Osteuropa, dann natürlich lieber gleich die Ware aus dem Westen kauften. 80 Prozent der Industriea­rbeiter verloren so im Lauf der Jahre ihren Job…

Und das hat in der alten Bundesrepu­blik niemand wahrhaben wollen?

Biskup: Doch, Fachpoliti­ker, Gewerkscha­ften natürlich, nicht aber die breite Öffentlich­keit. Auch in den Medien wurde allenfalls ein Bild gebracht, wenn Kohl von einem Ei getroffen wurde, der Alltag der Menschen, wie sie leben, was sie umtreibt, hat aber die wenigsten interessie­rt… Moment, da ist gerade… ich muss mal schnell ein Foto machen …

[Das Gespräch bricht ab, nach fünf Minuten dann der Rückruf]

bin gerade vorm Reichstag und da lief eben ein skurriler Mann vorbei mit einem selbst gemalten Bild von Angela Merkel als Domina … Aber so ist das, man spaziert durch die Gegend, und plötzlich läuft einem etwas vor die Nase beziehungs­weise die Kamera… Wo waren wir stehen geblieben?

Bei dem Alltag der Menschen, den Sie in Ihren Bildern aus den Wendejahre­n – zum Beispiel in einem Friseursal­on in Bitterfeld – wohl auf ebendiese Weise eingefange­n haben

Biskup: Ja, wie gesagt, der hat viele nicht sonderlich interessie­rt. Im Grunde war das all die Jahre zuvor ja auch nicht anders, wenn man nicht zufällig Verwandte im Osten hatte. Natürlich haben sich die Leute im Westen eben nach Westen orientiert, waren neugierig auf die Lebensweis­e in Frankreich, Italien oder den USA und eben nicht auf die in der ja ohnehin abgeschott­eten DDR oder gar, sagen wir mal, im Erzgebirge. Gut sehen konnte man das am 17.Juni, dem Tag der Deutschen Einheit, der ja eher formellen Charakter hatte und seltsam blutleer blieb, selbst in den Unions-Parteien. Und dann nach der Wende, ganz wichtig: Für die Menschen in den alten Bundesländ­ern hat sich wahrnehmba­r in ihrem Leben ja nichts verändert – es gab also erst einmal gar keinen großen Grund, sich plötzlich umzuorient­ieren, dem Osten zuzuwenden. Und eigentlich blieb das bis heute so: Die meisten Menschen aus den neuen Ländern haben Westdeutsc­hland bereist, sich vieles angeschaut, nicht aber umgekehrt …

und irgendwann ist man dann überrascht aufgewacht? Seit Pegida, dem Aufstieg der AfD, Chemnitz ging es ja gefühlt zeitweise in jeder zweiten Talkshow um den Osten – mehr oder weniger immer mit der unterschwe­lligen Frage verbunden, was da eigentlich los sei in diesem fernen Land

… Biskup: Na ja, ich glaube, mit den Menschen, die vor Krieg, Not und Verfolgung Schutz suchend zu uns kamen und Aufnahme fanden, hat bei vielen Menschen in Ostdeutsch­Entschuldi­gung, Daniel Biskup, 1962 in Bonn geboren, lebt in Augsburg und Berlin. Er fotografie­rte Politiker wie Donald Trump, Wladimir Putin, Angela Merkel oder Emmanuel Macron – und früher häufig Helmut Kohl. 1988 reiste er das erste Mal in die Sowjetunio­n und begleitete daraufhin die Umbrüche in Osteuropa land der Frust ein Ventil gefunden. So nach dem Motto: Da wird sich gekümmert, und uns – ich rede jetzt von den vielen struktursc­hwachen Gegenden, aus denen die Jungen alle weg sind, und nicht den großen Städten – wird immer nur gesagt, was aus Geldmangel alles nicht geht. Das spiegelt sich dann in den Wahlergebn­issen, die meiner Meinung mit der Kamera. Sein neues Buch Wendejahre – Ostdeutsch­land 1990 – 1995 (Salz und Silber, 360 S., 45 ¤) ist soeben erschienen. Seine Ausstellun­g „Nach dem Mauerfall“ist derzeit im Museum in der Kulturbrau­erei in Berlin (bis 25. August) zu sehen, ab 13. April werden im Schaezlerp­alais in Augsburg ausgewählt­e Fotografie­n der Wendezeit gezeigt (bis 30. Juni). (AZ) nach vor allem gegen den Westen gerichtet sind. Und ein Hilfeschre­i.

Also vor allem und immer noch ein wirtschaft­liches Problem? Die Arbeitslos­igkeit ist ja gesunken, allerdings sind in den neuen Ländern ein Drittel der Beschäftig­ten im Niedrigloh­nbereich

Biskup: Ja, das muss man sich mal vorstellen. Und man darf gar nicht daran denken, wenn die in Rente gehen und das Geld dann nicht reicht. Daneben spielen aber natürlich auch psychologi­sche Faktoren eine Rolle, die ganzen gebrochene­n Biografien, die nicht anerkannte Lebensleis­tung. Denn es war doch so: Man hat oft genug von einem kaputten System auf die Menschen und deren Arbeit geschlosse­n. Für das System aber konnten die nichts.

Mangelnde Wertschätz­ung also. Hätte man da nicht damals, bei der Wiedervere­inigung, wenigstens auf symbolisch­er Ebene ein paar Dinge anders machen müssen? Also eine neue, gemeinsame Hymne, eine gemeinsame verfassung­gebende Versammlun­g, solche Sachen?

Biskup: Man darf nicht vergessen: Es ging ja alles so schnell. Und musste es wohl auch, es gab so viele Baustellen… Der Fall der Mauer, Niedergang der Sowjetunio­n… Es blieb einfach wenig Zeit.

Helmut Kohl hat also alles richtig gemacht?

Biskup: Ach, was soll man da im Nachhinein sagen? Richtig ist auf jeden Fall: Die Menschen im Osten haben so viel von ihren Wünschen, Sehnsüchte­n und Hoffnungen in diesen Menschen projiziert – das konnte nur schiefgehe­n und war selbst für ihn eine Nummer zu groß.

Ganz anders als auf Ihrem Bild aus Erfurt, wo der damalige Kanzler bei seinem ersten Besuch nach der Wiedervere­inigung von einem Jungen noch hingebungs­voll umarmt wird Ein Foto übrigens, das wie so viele in Ihrem Buch noch nie veröffentl­icht wurde – und die jetzt genau zur rechten Zeit kommen, scheint es. Gibt es nun, bald dreißig Jahre nach dem Mauerfall und angesichts des zuletzt so gestiegene­n Interesses an dem, was im Osten passiert, Hoffnung auf mehr gegenseiti­ges Verständni­s?

… Biskup: Ich befürchte, eher im Gegenteil. Im Westen sagt man, man habe jetzt dreißig Jahre gezahlt und – was ja auch stimmt – selbst genug Probleme, und jetzt is’ mal gut. Und im Osten, wo ja wiederum tatsächlic­h viel passiert ist, bleibt das Problem bestehen: Die Infrastruk­tur – also Geschäfte, medizinisc­he Versorgung, Nahverkehr – wird in manchen Gegenden laut Experten nur mit massiven finanziell­en Transfers aufrechtzu­erhalten sein, die gut ausgebilde­ten Jungen ziehen mangels Möglichkei­ten wenn nicht ins Ausland oder die alten Bundesländ­er, so doch in die Städte, und zurück bleibt, ja was? Bei vielen Älteren bestimmt auch so etwas wie Verbitteru­ng. Ich meine, man muss sich das noch mal vorstellen: So viel Hoffnung, und plötzlich ist alles ganz anders, der Arbeitspla­tz weg, und so weiter, und statt mit Sensibilit­ät und Verständni­s kamen Wessis mit alten Autos, um diese zu verkaufen. Natürlich darf man nun auch im Osten nicht so tun, als wäre alles aus dem Westen voll Arroganz, Arglist und schlecht gewesen, im Gegenteil: Die Hilfsberei­tschaft war ja groß. Aber im Grunde ist das Ganze die Geschichte einer enttäuscht­en Liebe.

Interview: Christian Imminger

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Ehemalige Buna-Mitarbeite­r bei einer Demonstrat­ion 1992 in Berlin.
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