Flüchtlinge: Wollen sie sich nicht integrieren?
Asyl Der Präsident des Städte- und Gemeindebundes, Uwe Brandl, spricht Zugewanderten den Integrationswillen ab. Augsburger Experten ärgern sich über diese pauschale Aussage. Vor Ort stelle man eher andere Probleme fest
Wollen sich Flüchtlinge und Migranten in Deutschland nicht integrieren? Der niederbayerische CSUPolitiker Uwe Brandl aus Abensberg (rund 13800 Einwohner) hat mit dieser Aussage kürzlich auf den Putz gehauen. Der Präsident des Städteund Gemeindebundes, der die Interessen von rund 11000 Kommunen vertritt, gab der Welt ein Interview. Brandl erklärte darin, dass ein Großteil der Zugewanderten an „unseren Angeboten“kein Interesse habe. Doch trifft das wirklich zu?
„Das Thema Integration ist für mich sehr zwiespältig. Denn funktionierende Integration setzt auch das Wollen voraus, aktiv mitzumachen“, sagte Brandl. Gerade in seiner kleinen Stadt sehe er, dass es nur einen „verschwindend geringen Prozentsatz“echter Integrationswilliger gebe. „Da werden Sprachkurse geschwänzt oder Auflagen der Behörde nicht eingehalten.“Nach jetzigem Stand bleibe ein Großteil der Zugewanderten auf Dauer in den sozialen Netzen hängen.
Das Interview hat vielerorts für Unmut gesorgt. Denn die provokativen Aussagen Brandls mag nicht jeder unterstreichen. Auch Augsburger Vertreter von Jobcenter, Industrieund Handelskammer (IHK) sowie des Flüchtlingshilfevereins „Tür an Tür“halten dagegen. „Aus unserer Sicht zeichnen sich die geflüchteten Menschen in der Regel eher durch eine überdurchschnittliche Termintreue aus“, sagt Eckart Wieja, Geschäftsführer des Augsburger Jobcenters.
Grundsätzlich brauche die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt zwar Zeit, sie habe aber an Fahrt aufgenommen. So waren zum Jahresende 2018 beim Jobcenter 2926 geflüchtete Personen gemeldet. 2018 konnte das Jobcenter 991 Frauen und Männer, die aus ihrem Heimatland geflohen sind, in Arbeit oder Ausbildung integrieren. „Das sind 211 mehr als 2017.“
Der größte Wunsch der meisten Flüchtlinge sei eine Arbeitsstelle, bestätigen auch Matthias SchopfEmrich von „Tür an Tür“und Josefine Steiger, Leiterin des Fachbereichs Ausbildung bei der IHK. Für Schopf-Emrich ist die Sprache der Dreh- und Angelpunkt für eine erfolgreiche Integration. Und da hapere es seiner Ansicht nach eher an den Angeboten als an der Motivation der Geflüchteten. So haben derzeit lediglich Flüchtlinge aus dem Iran, Irak, Syrien, Eritrea und Somalia Anspruch auf einen Sprachund Integrationskurs. Menschen aus einem anderen Herkunftsland können an solchen Maßnahmen erst nach einer Anerkennung teilnehmen.
„Türkische Geflüchtete, die in Ankerzentren wohnen, bräuchten dringend einen Deutschkurs, bekommen aber keinen“, sagt SchopfEmrich. Andere besuchten zwar einen Kurs, seien aber teilweise über-, teilweise unterfordert. „Da muss es niemanden wundern, wenn mal jemand den Kurs abbricht“, so Matthias Schopf-Emrich. „Die Bildungsträger ziehen Kursteilnehmer, die offensichtlich im falschen Kurs sitzen, gerne mit. Schließlich sind sie auch ein Kostenfaktor – und die Bildungseinrichtungen erhalten Geld dafür.“Schopf-Emrich würde sich „zielgenaue Angebote“wünschen: Kurse, die dem Sprachniveau des Teilnehmers entsprechen, Teilzeitmodelle für Mütter, Sprachkurse mit Kinderbetreuung...
„Es mag sein, dass 2015 keine Ärzte und Ingenieure nach Deutschland gekommen sind. Dafür kamen hoch motivierte junge Menschen“, weiß Josefine Steiger von der IHK. In den vergangenen Jahren hätten die jungen Geflüchteten, die bei ihr und ihrem Team vorstellig wurden, alles darangesetzt, eine Ausbildungsstelle zu erhalten. „Täglich kommen bis zu zehn Flüchtlinge, die eine Lehre machen wollen. Die meisten können schon gut Deutsch und haben teilweise einen qualifizierenden Hauptschulabschluss“, sagt sie. 1480 Mädchen und Jungen befänden sich derzeit im schwabenweiten IHK-Projekt „Junge Flüchtlinge in Ausbildung“. Gerade junge Menschen, die die Flucht aus ihrem Heimatland auf sich genommen haben, verfolgten ihre Ziele konsequent. Steiger: „Bei ihnen liegt die Abbruchquote bei nicht einmal zehn Prozent. Im Gegensatz zum allgemeinen Durchschnitt von über 20 Prozent in Schwaben und deutschlandweit 25 Prozent.“
Matthias Schopf-Emrich findet die pauschalen Äußerungen Brandls unmöglich: „Solche allgemeinen Aussagen verbieten sich. Dafür gibt es keine empirischen Belege.“Brandl bediene damit nur Vorurteile und Klischees. Schopf-Emrich fragt sich, anhand welcher Größen Brandl den Integrationserfolg von Flüchtlingen messe. Die Anzahl der vermittelten Arbeitsplätze jedenfalls ist Schopf-Emrich zu kurz gegriffen. Der Spracherwerb sei grundlegend wichtig, um sich erfolgreich integrieren zu können. In dem Punkt ist er einer Meinung mit Uwe Brandl, der im Interview sagt: „Wir bräuchten eine sofortige Spracherziehung vom ersten Tag des Hierseins – und zwar unabhängig von der Bleibeperspektive.“Für Schopf-Emrich ist es aber noch viel mehr. Ihm ist die Vermittlung von Alltagskompetenzen wichtig, die Hilfe zur Selbsthilfe. Flüchtlinge sollen sich selber um ihre Belange kümmern, selber Schritt für Schritt ihre Lage verbessern können. „Das setzt voraus, dass sie nicht in Billiglohnjobs hängen bleiben. Sie brauchen soziale Mobilität, es braucht Aufstiegschancen.“
Er rate geflüchteten Menschen zu einer Ausbildung. Er wisse aber, dass viele sofort einen Job wollen, weil sie Schulden begleichen müssen, ihre Familie nachholen wollen oder den Kopf schlichtweg nicht frei für eine mehrjährige Ausbildung haben. Eckart Wieja bestätigt: Gerade bei geflüchteten Menschen fehlten vielfach Sprachkenntnisse oder formale berufliche Qualifikationen. Viele kämen deshalb vorrangig für Helfertätigkeiten in Frage. „Hier sehen wir Erfolge: Gut die Hälfte der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus den Hauptasylherkunftsländern arbeiten im Helferbereich.“