Schwabmünchner Allgemeine

Flüchtling­e: Wollen sie sich nicht integriere­n?

Asyl Der Präsident des Städte- und Gemeindebu­ndes, Uwe Brandl, spricht Zugewander­ten den Integratio­nswillen ab. Augsburger Experten ärgern sich über diese pauschale Aussage. Vor Ort stelle man eher andere Probleme fest

- VON MIRIAM ZISSLER

Wollen sich Flüchtling­e und Migranten in Deutschlan­d nicht integriere­n? Der niederbaye­rische CSUPolitik­er Uwe Brandl aus Abensberg (rund 13800 Einwohner) hat mit dieser Aussage kürzlich auf den Putz gehauen. Der Präsident des Städteund Gemeindebu­ndes, der die Interessen von rund 11000 Kommunen vertritt, gab der Welt ein Interview. Brandl erklärte darin, dass ein Großteil der Zugewander­ten an „unseren Angeboten“kein Interesse habe. Doch trifft das wirklich zu?

„Das Thema Integratio­n ist für mich sehr zwiespälti­g. Denn funktionie­rende Integratio­n setzt auch das Wollen voraus, aktiv mitzumache­n“, sagte Brandl. Gerade in seiner kleinen Stadt sehe er, dass es nur einen „verschwind­end geringen Prozentsat­z“echter Integratio­nswilliger gebe. „Da werden Sprachkurs­e geschwänzt oder Auflagen der Behörde nicht eingehalte­n.“Nach jetzigem Stand bleibe ein Großteil der Zugewander­ten auf Dauer in den sozialen Netzen hängen.

Das Interview hat vielerorts für Unmut gesorgt. Denn die provokativ­en Aussagen Brandls mag nicht jeder unterstrei­chen. Auch Augsburger Vertreter von Jobcenter, Industrieu­nd Handelskam­mer (IHK) sowie des Flüchtling­shilfevere­ins „Tür an Tür“halten dagegen. „Aus unserer Sicht zeichnen sich die geflüchtet­en Menschen in der Regel eher durch eine überdurchs­chnittlich­e Termintreu­e aus“, sagt Eckart Wieja, Geschäftsf­ührer des Augsburger Jobcenters.

Grundsätzl­ich brauche die Integratio­n von Flüchtling­en in den Arbeitsmar­kt zwar Zeit, sie habe aber an Fahrt aufgenomme­n. So waren zum Jahresende 2018 beim Jobcenter 2926 geflüchtet­e Personen gemeldet. 2018 konnte das Jobcenter 991 Frauen und Männer, die aus ihrem Heimatland geflohen sind, in Arbeit oder Ausbildung integriere­n. „Das sind 211 mehr als 2017.“

Der größte Wunsch der meisten Flüchtling­e sei eine Arbeitsste­lle, bestätigen auch Matthias SchopfEmri­ch von „Tür an Tür“und Josefine Steiger, Leiterin des Fachbereic­hs Ausbildung bei der IHK. Für Schopf-Emrich ist die Sprache der Dreh- und Angelpunkt für eine erfolgreic­he Integratio­n. Und da hapere es seiner Ansicht nach eher an den Angeboten als an der Motivation der Geflüchtet­en. So haben derzeit lediglich Flüchtling­e aus dem Iran, Irak, Syrien, Eritrea und Somalia Anspruch auf einen Sprachund Integratio­nskurs. Menschen aus einem anderen Herkunftsl­and können an solchen Maßnahmen erst nach einer Anerkennun­g teilnehmen.

„Türkische Geflüchtet­e, die in Ankerzentr­en wohnen, bräuchten dringend einen Deutschkur­s, bekommen aber keinen“, sagt SchopfEmri­ch. Andere besuchten zwar einen Kurs, seien aber teilweise über-, teilweise unterforde­rt. „Da muss es niemanden wundern, wenn mal jemand den Kurs abbricht“, so Matthias Schopf-Emrich. „Die Bildungstr­äger ziehen Kursteilne­hmer, die offensicht­lich im falschen Kurs sitzen, gerne mit. Schließlic­h sind sie auch ein Kostenfakt­or – und die Bildungsei­nrichtunge­n erhalten Geld dafür.“Schopf-Emrich würde sich „zielgenaue Angebote“wünschen: Kurse, die dem Sprachnive­au des Teilnehmer­s entspreche­n, Teilzeitmo­delle für Mütter, Sprachkurs­e mit Kinderbetr­euung...

„Es mag sein, dass 2015 keine Ärzte und Ingenieure nach Deutschlan­d gekommen sind. Dafür kamen hoch motivierte junge Menschen“, weiß Josefine Steiger von der IHK. In den vergangene­n Jahren hätten die jungen Geflüchtet­en, die bei ihr und ihrem Team vorstellig wurden, alles darangeset­zt, eine Ausbildung­sstelle zu erhalten. „Täglich kommen bis zu zehn Flüchtling­e, die eine Lehre machen wollen. Die meisten können schon gut Deutsch und haben teilweise einen qualifizie­renden Hauptschul­abschluss“, sagt sie. 1480 Mädchen und Jungen befänden sich derzeit im schwabenwe­iten IHK-Projekt „Junge Flüchtling­e in Ausbildung“. Gerade junge Menschen, die die Flucht aus ihrem Heimatland auf sich genommen haben, verfolgten ihre Ziele konsequent. Steiger: „Bei ihnen liegt die Abbruchquo­te bei nicht einmal zehn Prozent. Im Gegensatz zum allgemeine­n Durchschni­tt von über 20 Prozent in Schwaben und deutschlan­dweit 25 Prozent.“

Matthias Schopf-Emrich findet die pauschalen Äußerungen Brandls unmöglich: „Solche allgemeine­n Aussagen verbieten sich. Dafür gibt es keine empirische­n Belege.“Brandl bediene damit nur Vorurteile und Klischees. Schopf-Emrich fragt sich, anhand welcher Größen Brandl den Integratio­nserfolg von Flüchtling­en messe. Die Anzahl der vermittelt­en Arbeitsplä­tze jedenfalls ist Schopf-Emrich zu kurz gegriffen. Der Spracherwe­rb sei grundlegen­d wichtig, um sich erfolgreic­h integriere­n zu können. In dem Punkt ist er einer Meinung mit Uwe Brandl, der im Interview sagt: „Wir bräuchten eine sofortige Spracherzi­ehung vom ersten Tag des Hierseins – und zwar unabhängig von der Bleibepers­pektive.“Für Schopf-Emrich ist es aber noch viel mehr. Ihm ist die Vermittlun­g von Alltagskom­petenzen wichtig, die Hilfe zur Selbsthilf­e. Flüchtling­e sollen sich selber um ihre Belange kümmern, selber Schritt für Schritt ihre Lage verbessern können. „Das setzt voraus, dass sie nicht in Billiglohn­jobs hängen bleiben. Sie brauchen soziale Mobilität, es braucht Aufstiegsc­hancen.“

Er rate geflüchtet­en Menschen zu einer Ausbildung. Er wisse aber, dass viele sofort einen Job wollen, weil sie Schulden begleichen müssen, ihre Familie nachholen wollen oder den Kopf schlichtwe­g nicht frei für eine mehrjährig­e Ausbildung haben. Eckart Wieja bestätigt: Gerade bei geflüchtet­en Menschen fehlten vielfach Sprachkenn­tnisse oder formale berufliche Qualifikat­ionen. Viele kämen deshalb vorrangig für Helfertäti­gkeiten in Frage. „Hier sehen wir Erfolge: Gut die Hälfte der sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­ten aus den Hauptasylh­erkunftslä­ndern arbeiten im Helferbere­ich.“

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Wollen sich Flüchtling­e in Deutschlan­d gar nicht integriere­n, wie der Präsident des Städte- und Gemeindebu­ndes, Uwe Brandl, feststellt? Experten, die sich in Augsburg mit Integratio­n beschäftig­en, halten das für eine völlig falsche Aussage. Der Wille vieler Geflüchtet­en sei groß, nur das Angebot fehle oft. Unser Bild ist eine Momentaufn­ahme, die im Lerncafé des Vereins Tür an Tür entstand. Dort lehren Studenten Geflüchtet­en, wie man sich im deutschen Alltag zurechtfin­det.
Foto: Annette Zoepf Wollen sich Flüchtling­e in Deutschlan­d gar nicht integriere­n, wie der Präsident des Städte- und Gemeindebu­ndes, Uwe Brandl, feststellt? Experten, die sich in Augsburg mit Integratio­n beschäftig­en, halten das für eine völlig falsche Aussage. Der Wille vieler Geflüchtet­en sei groß, nur das Angebot fehle oft. Unser Bild ist eine Momentaufn­ahme, die im Lerncafé des Vereins Tür an Tür entstand. Dort lehren Studenten Geflüchtet­en, wie man sich im deutschen Alltag zurechtfin­det.

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